Drei Gedanken zu: DIE KLEINE HEXE

Die kleine Hexe, verfilmt von Mike Schaerer, basierend auf einem Roman von Otfried Preußler als Drehbuch adaptiert von Matthias Pacht. Ihr ahnt schon, wohin das führt: Bei einer Geschichte über Hexen wäre die Partizipation der einen oder anderen weiblichen* Stimme sicher sinnvoll gewesen. Der folgende Text bezieht sich ausschließlich auf die Verfilmung, aber wenn sich eine_r von euch an die Lektüre aus Kindheitstagen erinnert und eine Parallele zur Vorlage ziehen will, freue ich mich auf eure Kommentare.

1. Die gute Hexe ist das Ende der Freiheit

Warum sind Hexen eigentlich „hässlich“? Warum müssen sie lange Nasen, Warzen, Buckel, verfilzte Haare und dreckige Fingernägel haben? Diese Frage drängte sich mir zu Beginn von Mike Schaerers Inszenierung des Kinderbuchklassikers Die kleine Hexe immer wieder auf. Hexen erkennen wir dadurch, dass sie alt und hässlich sind – so mansplaint gleich am Anfang der kleine Thomas (Luis Vorbach) seiner Schwester Vroni (Momo Beier), denn Männer* egal welchen Alters, das ist ja klar, wissen grundsätzlich immer mehr als Frauen*. So lerne auch ich etwas dazu, denn ich hatte irgendwie völlig verdrängt, dass Hexen unansehnlich zu sein haben. Als die kleine Hexe (Karoline Herfurth) sich dann auf den Bloxberg schleicht, um heimlich mit den großen Hexen die Walpurgisnacht zu feiern, wird es mir aber schlagartig klar: Das derbe Gelage könnte mit etwas anderer Musikuntermalung und Kameraführung auch ein Horrorszenario darstellen. Völlig entfesselt, entrückt von der Feierei und ohne jede, aber wirklich jede Sexyness, zucken die Hexenkörper im Feuerschein. Und weil all das noch nicht abstoßend genug ist, muss eine von ihnen dann wiederholt einen fahren lassen, denn – ihr wisst schon – furzende Frauen* sind total eklig.

© Studiocanal

Und jetzt einmal tief durchatmen und nachdenken: Ist das nicht großartig? Die Hexen in diesem Film, und vermutlich die meisten wahren Hexen und einige der als solche gebrandmarkten, sprengen die Grenzen dessen, was die Gesellschaft für Frauen* vorsieht. Sie fügen sich nicht in ein Schönheitsideal, nicht in das Korsett von Verhaltensregeln. Sie tanzen nicht für andere, sondern nur für sich selbst. Sie furzen fröhlich, laut und stinkend. Sie sind absolut frei.

Diese Freiheit stellt natürlich eine Gefahr für ein strenges patriarchales System dar, dem sich Frauen* eigentlich unterzuordnen haben, um die Stabilität des großen Ganzen sicher zu stellen. Freie Frauen*, das ist bis heute so, sind eine Gefahr für den sexistischen Status Quo. Deshalb ist die Hexe ein Symbol für Empowerment und Emanzipation. Deshalb verdienen Hexen unsere Bewunderung, auch für den Mut zu einem Erscheinungsbild, dass gemeinhin als „hässlich“ verurteilt wird. Vielleicht sind all jene Frauen*, die sich dieser Tage öffentlich positiv zu ihrer Körperbehaarung bekennen, in gewisser Weise ebenfalls Hexen.

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Das Problem des Films „Die kleine Hexe“ ist jedoch, dass die Perspektive auf die Hexen eine äußere, eine fremde, exotisierende ist. Oder anders formuliert: eine männliche*. Denn die großen, alten, hässlichen Hexen sind weder eine Solidargemeinschaft noch haben sie der Welt irgendetwas anderes zu geben als Zerstörung. Freilich ließe sich fragen: Was hat die Welt denn ihnen jemals gegeben, dass sie etwas zurückerwarten darf? Aber das tut der Film nicht. So müssen wir uns als Zuschauer_innen gleich von Anfang an fragen, warum die kleine Hexe eigentlich unbedingt Teil dieser unsympathischen Gruppe sein will und wir wundern uns am Ende auch nicht über die Auflösung der Geschichte: dass die kleine Hexe nicht nur einen unabhängigen Weg geht, sondern dem bösen Hexenvolk gleich den großen Garaus macht.

Das ist aber durchaus ein problematischer Ausgang, denn mit den Hexen vernichtet die Heldin hier auch eine Form des weiblichen* Empowerments und der Freiheit. Sie wird zu einer guten Hexe im Sinne der Menschen, im Sinne der Männer*, eine ungefährliche, liebe und niedliche Frau*, vor der sich nieMANNd fürchten muss. Sie wird domestiziert. Und so sehr ich auch damit einverstanden bin, dass unschuldige Kinder nicht in Steine verwandelt werden sollten, so bitter ist doch der Nachgeschmack dieses Finales, das die Heldin für mein Verständnis nicht mehr, sondern weniger frei macht und im Grunde eine Hexenverbrennung als Happy End verkauft.

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2. Männer* müssen geläutert werden.

Dabei weiß der Film eigentlich, dass die Gesellschaft eine patriarchale ist, dass die Menschen, die den Gegenpol zu den Hexen bilden, männlich* sind. Denn im Zuge einer durchaus sexistischen Figurenzeichnung sind es eigentlich immer die Männer*, die hier von der kleinen Hexe auf die eine oder andere Weise geläutert werden. Der Oberförster repräsentiert dabei auf klassische Weise das Gesetz, der spielsüchtige Vater das Patriarchat. Und selbst bei den Kindern sind es immer die Jungen, die böse und destruktive Streiche spielen. Was eine Kritik toxischer Männlichkeit* sein könnte, verkommt allerdings durch die Einseitigkeit der Darstellung zu plattem Sexismus. Denn – Achtung, dies könnte ihren Horizont erweitern – es gibt tatsächlich auch Mädchen*, die fiese Streiche spielen, und grausame Staatsdienerinnen, die sich an den multiplen Möglichkeiten des Machtmissbrauchs erfreuen.

Mindestens genauso verstörend wie die sexistische Zeichnung männlicher* Figuren aber ist die Tatsache, dass Männer* grundsätzlich geläutert werden müssen, während Frauen* nicht geläutert werden können. Die bösen Frauen* gibt es in dieser Geschichte nämlich auch: Es sind die Hexen, die suspekten Weiber außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen, die Kinder hassen (denn wer selbst keine Kinder will, muss wohl psychische Probleme haben) und die Menschen (=Männer) verachten. Und diese bösen Frauen* können nicht geläutert, sondern müssen vernichtet werden. So die Moral von der Geschichte. Ich würde sagen, das ist weder emanzipatorisch noch pädagogisch wertvoll.

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3. Emanzipation bedeutet, die Wahl zu haben.

Es ist aber mitnichten alles schlecht an Die kleine Hexe, denn am Ende geht es immer noch um eine junge 127-jährige Frau*, die sich selbst findet. Die Heldin ist hin- und hergerissen zwischen den Moralvorstellungen einer Gruppe, zu der sie gehören möchte, und ihrer inneren Stimme. Das bildet eine klassische Adoleszenzkrise ab, die mitnichten Kindern und schon gar nicht Frauen* vorbehalten ist, sondern alle Menschen immer wieder einholt: Warum will ich zu dieser oder jener Gemeinschaft, Clique, Szene gehören? Und wie weit bin ich bereit mich anzupassen?

Nicht zur Mitläuferin zu werden, sondern den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben und damit einen unter Umständen einsamen, dafür aber in jedem Falle selbstbestimmten Weg zu gehen, ist ein emanzipatorischer Akt. Das macht die kleine Hexe schließlich doch zu einer brauchbaren Identifikationsfigur – und zwar geschlechtsübergreifend.

Kinostart: 1. Februar 2018

Sophie Charlotte Rieger
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