Blinded by the Light

Javed (Viveik Kaira) pubertiert Ende der 80er Jahre als Sohn pakistanischer Eltern in einer britischen Kleinstadt. Zuhause macht Vater und Vollblut-Patriarch Malik (Kulvinder Ghir) die Regeln, auf der Straße marschieren die Rechtsradikalen und in der Schule kann der zurückhaltende Javed der Grüppchenbildung nur von außen zugucken. Ach ja, und das mit den Mädchen* läuft leider auch nicht so gut, was vielleicht daran liegen mag, dass es sich Maliks Meinung nach für einen guten pakistanischen Jungen* nicht gehört, auf Partys zu gehen. Aber dann tritt jemand in Javeds Leben, der alles verändert: Bruce Springsteen. In den Texten des Rocksängers findet der frustrierte Teenager nicht nur Trost, sondern ebenso die Motivation, seinen Traum von einer Karriere als Autor zu verfolgen.

© 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

Auch in ihrem aktuellen Film Blinded by the Light erzählt Regisseurin Gurinder Chadha (Kick It Like Beckham) vom kulturellen Konflikt in Folge einer familiären Migrationsgeschichte. Im Konflikt zwischen den Traditionen seiner pakistanischen Eltern und dem Großbritannien der späten 80er ist Javed bei seiner Identitätsfindung im Vergleich mit anderen Jugendlichen mit einer zusätzlichen Hürde konfrontiert. Insbesondere das Thema Rassismus macht dieses Spannungsfeld trotz des historischen Settings des Films sehr zeitgenössisch, spiegelt sich in der erstarkenden Fremdenfeindlichkeit, aber auch der angespannten wirtschaftlichen Lage doch nicht nur die Situation junger Menschen im Vereinten Königreich unter Margaret Thatcher. 

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Aber Blinded by the Light ist kein Sozialdrama, sondern ein Mix aus Coming-of-Age-Komödie und Musical. Die Texte von Bruce Springsteen dienen nicht nur der vergnüglichen Untermalung, sondern bilden einen Teil der Narration, transportieren insbesondere das emotionale Innenleben des Helden. Zum Teil legt Gurinder Chadha Textteile wie in einem Musikvideo auf ihre Bilder, manchmal beginnen die Protagonist_innen zu singen. Jedoch nicht wie in einem Musical, gleichsam plötzlich wie selbstverständlich, sondern immer im Zusammenhang mit dem Abspielen der Springsteen-Songs innerhalb der Handlung, meist in Javeds Walkman.

© 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

Diese ungewöhnliche Mischung geht nicht nur auf, sondern ist gar die größte Stärke des Filmkonzepts, der deutlich mehr Raum hätte gegeben werden können. Insgesamt nämlich schmälern Pathos und Kitsch sowie die eindeutige Unterscheidung von Gut und Böse und die Unfehlbarkeit des Helden die Möglichkeiten zur Identifikation wie auch das Interesse an den Figuren und ihrer Entwicklung. Das mag nicht so recht zu einer Coming-of-Age-Geschichte passen, fügt sich aber nahtlos ins Setting eines Musicals. Dem Gesamtprodukt hätte es sicher gut getan, dieser Linie durchgehend treu zu bleiben, anstatt den musikalischen Mittelteil in einen melodramatischen Rahmen zu packen.

So nämlich gestaltet sich der Zugang zu den Charakteren und ihrer durchgehend vorhersehbaren Geschichte leider etwas beschwerlich. Spannung kann in dieser Geschichte, die bereits unendliche Male so oder so ähnlich erzählt wurde, leider zu keinem Zeitpunkt aufkommen. Der unbelehrbare Patriarch und seine ihm treu ergebene Ehefrau* wirken als Figuren ebenso konstruiert wie der dramatische Höhepunkt, bei dem die pakistanische Familie den offenen Konflikt mit einer rechtsradikalen Demonstration sucht (wer tut sowas?). Am Ende begräbt die obligatorische pathetische Rede gnadenlos jegliche Möglichkeit echter Rührung oder Anteilnahme.

© 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

Ein wenig befremdlich gestaltet sich in Blinded by the Light die Glorifizierung der USA als Land der Freiheit – freilich Teil der dargestellten Epoche der 80er, durch das Fehlen einer ironischen Brechung jedoch aus heutiger Sicht durchaus problematisch. Auch der Kitschfaktor der Inszenierung legt eine Verbindung der Regisseurin zum US-amerikanischen Kulturraum nahe. Vielleicht ist aber die Liebe zu Melodramatik und Pathos zumindest im filmischen Erzählen auch ein Element der pakistanischen Kultur, an die Gurinder Chadha, selbst Tochter indischer Eltern, hier stilistisch anknüpfen will. So wie auch die besondere Form des „Musicals“, die Blinded by the Light auszeichnet, vielleicht weniger „Musical“ ist als eine Springsteen-Rock-Version des Bollywood-Films. Letztlich versucht also auch Chadha, wie ihr Filmheld, zwei Kulturen miteinander zu vereinen. Was den Einsatz von Musik angeht, ist ihr dieses Unternehmen definitiv gelungen: Die Gesangs- und (europäisch ungelenken) Tanzeinlagen sind definitiv die Highlights ihres Films. Hier springt der Funke des Kino-Zaubers über, erwärmt das Herz und lässt die Füße im Takt mitwippen. Was die Geschichte ihres Helden angeht, setzt ein ungetrübter Filmgenuss jedoch definitiv eine Vorliebe für Kitschkino voraus.

Kinostart: 22. August 2019

Sophie Charlotte Rieger
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