Interview: Elisa Mishto über Stillstehen, Wut und Boxen

Stillstehen, das Spielfilmdebüt von Elisa Mishto, feierte beim Filmfest München 2019 Premiere. Darin erzählt die italienische Regisseurin von zwei Frauen*, die auf unterschiedliche Art und Weise an der Gesellschaft scheitern, die sie umgibt. Julie landet zum wiederholten Male in der Psychiatrie und Agnes arbeitet dort zwar als Pflegerin, ringt aber ebenfalls mit ihren Lebensumständen, insbesondere ihrer Mutterschaft. Kein Wunder also, dass die beiden schnell zueinanderfinden. Als Freundinnen und vielleicht sogar mehr.

©

Ich habe Elisa Mishto zwei Tage vor ihrer Premiere beim Filmfest getroffen und mit ihr nicht nur über ihren Film, sondern vor allem auch über das Thema Wut, Boxen (ja, Boxen!) und die Filmindustrie gesprochen.

___STEADY_PAYWALL___

Sophie: Du bist Italienerin, aber machst jetzt Filme in Deutschland. Wie kommt das?

Elisa Mishto: Ich bin in Italien geboren, habe dort erst mal studiert und bin dann nach Deutschland umgezogen, um weiter zu studieren. Insgesamt bin ich jetzt seit 20 Jahren hier. Am Anfang habe ich mich aber nicht getraut Filme zu machen oder Film zu studieren und habe mit Video Live Performance / Vj angefangen. Ich war aber technisch wahnsinnig unbegabt. Schließlich ist mir klar geworden, dass ich das fast als Entschuldigung benutze, weil ich eigentlich Filme machen und Geschichten erzählen möchte. Irgendwann habe ich mich getraut und ein Praktikum angefangen, dann habe ich Dokumentarfilme gemacht und mich schließlich getraut nach London zu gehen, um zu studieren. Und seitdem ist Film meine Arbeit geworden.

„Auf einmal war mir als Frau erlaubt, aggressiv zu sein, dreckig, zu schwitzen, schlecht drauf zu sein und mich zu schlagen“

Und Du bist außerdem Box-Promoterin. Wie passt das da rein?

Mit Anfang 20 hatte ich Aggressionsprobleme. Ich hatte das Gefühl, mir würde nicht erlaubt werden, so zu sein wie ich bin. Das hat mich aggressiv gemacht und ich merkte, irgendwann schlage ich mich mal auf der Straße mit jemandem und kriege auf die Fresse. Mit meinen 50kg habe ich da keine Chance. Also dachte ich, es sei gut, wenn ich zum Boxen gehe. Nicht weil ich Leute schlagen wollte, sondern weil ich dachte, das beruhigt mich vielleicht. Und das war tatsächlich so. Es war eine Offenbarung. Auf einmal war mir als Frau erlaubt, aggressiv zu sein, dreckig, zu schwitzen, schlecht drauf zu sein und mich zu schlagen. Für mich hat sich eine neue Welt aufgetan. Dann habe ich aber irgendwann aufgehört zu kämpfen, weil es zu zeitintensiv war, und habe kurz danach ein Angebot bekommen, Promotion zu machen. Und seitdem organisiere ich Boxkämpfe – für Männer und für Frauen.

© CALA Filmproduktion Gmbh / Francesco di Giacomo

Das Thema Wut ist in Deinem Film nur indirekt präsent. Deine Figur ist eine lethargische. Oder eine, deren Wut gedeckelt ist.

Für mich ist der Film der Anfang einer Figur, die ich gerne entwickeln würde. Da ist auch viel Autobiographisches drin: Dieses Gefühl, blockiert zu sein, nicht die Möglichkeiten ausschöpfen zu können, die man eigentlich hat, sich teilweise selbst im Weg zu stehen. Es ist ein Film über zwei Frauen, die Potential haben – vielleicht ein merkwürdiges oder skurriles Potential, aber definitiv eine Kraft – und die auf Grund der Erwartungen der Gesellschaft und auch ihrer eigenen Ängste diese Kraft nicht ausleben können. Der Film ist für mich ein Coming of Age Movie, weil die Frauen lernen, sich selbst, ihre Kraft und ihre Skurrilität zu akzeptieren.

„Ich hatte ein großes Bedürfnis zu erzählen, dass eben nicht alle Frauen sanft und einfühlsam sind“

Mir ist ein Wort aufgefallen, dass in Deinem Film mehrfach fällt: „Erregt“. Den Frauen* wird gesagt, sie seien zu „erregt“. Was hat es damit auf sich?

Einem Mann wird nie gesagt: Du bist erregt. Dem wird gesagt: Du bist sauer. Ich bin auch als Frau sauer, wenn mir etwas nicht gefällt – ob nun zu Recht oder zu Unrecht – und ich drücke das aus. Aber als Frau wird dir sofort gesagt: Das ist „hysterisch“ oder „erregt“. Und das macht mich wahnsinnig… sauer. (lacht)

Also ist es doch ein Film über Wut. Ein stiller Film über Wut.

Ja, über Wut und Frustration. Und Ungerechtigkeit. Und Privilegien. Und die Erkenntnis, dass man selber aktiv sein muss, um Sachen zu ändern. Dass man nicht nur zuschauen darf. Wenn Du anders bist, kannst Du Dich in einer Ecke verstecken und jammern oder Du kannst selbstbewusst und offen mit Deinem Anderssein umgehen.

© CALA Filmproduktion Gmbh / Francesco di Giacomo

Es ist auch ganz klar eine Geschichte über Mutterschaft. Wie kam das?

Während ich in London geschrieben habe, habe ich eine BBC Reportage über Frauen mit kleinen Kindern gehört, die mit ihrem Muttersein nicht klarkamen. Damals, vor 12 Jahren, war das ein absolutes Tabu. Der Konsens war, dass Frauen selbstverständlich Mütter sind. Und mir wurde bewusst: Das stimmt gar nicht. Für manche Frauen bestimmt, aber für andere ist das alles nicht so natürlich. Ich hatte ein großes Bedürfnis zu erzählen, dass eben nicht alle Frauen sanft und einfühlsam sind und eine mütterliche Seite haben. Ich bin zum Beispiel nicht so. Ich bin eher ein dominanter Charakter, energisch, ungeduldig. Ich habe nicht viel Mitgefühl für Menschen. Das ist vielleicht nicht schön, aber eben mein Charakter.

„Dieser Rückzug von der Gesellschaft hatte für mich eine politische Bedeutung.“

Warum hast Du Dich für dieses Setting in der Klinik entschieden?

Ich habe für meinen ersten Film, einen Dokumentarfilm, sehr lange in einer psychiatrischen Klinik gedreht. Und das war auch das erste Mal, dass ich diesen Stillstand, dieses „nichts tun können oder wollen“ beobachten konnte. Ich habe gemerkt, dass es bei manchen Patienten eine Unfähigkeit gibt, in der Gesellschaft zu sein, weil sie ihre Regeln nicht teilen. Das fand ich interessant. Dieser Rückzug von der Gesellschaft hatte für mich eine politische Bedeutung. Wenn Du – gewollt oder ungewollt – am Rande der Gesellschaft bist, siehst Du sie auf eine völlig andere Art und Weise als wenn Du in der Mitte bist und Privilegien genießen kannst. Wenn Du am Rand bist, siehst Du die Ungerechtigkeit anders. Und deshalb war es mir wichtig, dass diese Geschichte in einer Klinik spielt.

© CALA Filmproduktion Gmbh / Francesco di Giacomo

Gleichzeitig ist es aber kein realistisches Kliniksetting, sondern ein bisschen surreal. Warum?

Ich versuche immer Magie in die Realität zu bringen, auch weil die Realität für mich im wahren Leben zu trocken ist. Ich benutze Surrealität, um die Welt zu sehen wie ich sie sehen möchte. Und die Welt der Klinik hat mich schon damals fasziniert. Die Welt der Patienten war magisch, parallel zu unserer Realität, mit imaginären Figuren und Freunden. Und wenn man mit diesen Menschen Zeit verbracht hat, war man mit ihnen in dieser Welt. Das hat mich angesprochen.

„Da ist diese Lust zusammenzuarbeiten, sich zu stützen, gemeinsam Projekte zu machen.“

Beschäftigst Du Dich auch mit der Situation von Frauen* in der Filmindustrie?

Ja, ich bin seit ein paar Jahren Teil einer ganz tollen Filmfrauengruppe. Ich glaube, dass sich da in den letzten zwei Jahren etwas verändert hat. Früher hatte ich das Gefühl: Ich bin die ganze Zeit frustriert, aber nicht, weil ich ein frustrierter Charakter bin, sondern weil es mir als Frau in meinem Beruf schwerer gemacht wird. Das ist eine Ungerechtigkeit und die macht mich sauer. Am Anfang dachte ich, ich bin die einzige, die das denkt. Aber auf einmal habe ich bemerkt: Es gibt eine Menge Frauen da draußen, die genau das Gleiche denken. Da hat sich etwas verändert, von diesem Jammern darüber, dass man alleine und isoliert ist, dahin dass wir aktiv geworden sind.

Was meinst Du müsste sich ändern, damit sich die Situation von Frauen* in der Filmbranche verbessert?

Mehrere Sachen. Ich glaube, teilweise passiert das schon. Ich persönlich denke, dass der Schlüssel für eine Veränderung der ist, dass Frauen solidarisch miteinander sind und arbeiten. Man spürt das bei Festivals und im Business: Da ist diese Lust zusammenzuarbeiten, sich zu stützen, gemeinsam Projekte zu machen. Das ist für mich der Schlüssel.

Bei jeder einzelnen deutschen Förderung wurden wir beim ersten Mal abgelehnt“

Dein Film ist ohne Senderbeteiligung entstanden. In Deutschland sagt man ja, man braucht immer eine Senderbeteiligung. Wie hast Du das ohne hingekriegt?

Wir haben 1 ½ Jahre einen Sender gesucht. Es war ein langer und frustrierender Prozess. Ganz oft kamen die Redaktionen mit der Mutterfigur nicht klar. Uns wurde gesagt, das könne man nicht so machen, so leicht und frech nebenbei erzählt. Aber auch die Figur von Julie war schwierig, weil sie so frech, kalt und hart war. Und dann mussten wir irgendwann akzeptieren: Das hat leider nicht funktioniert, wir müssen in die Förderung gehen, ohne einen Sender zu haben. Wir haben es also probiert, obwohl der Produktion bewusst war, dass es so gut wie unmöglich war. Interessanter Weise waren es zuerst die Italiener, die dabei waren. Das hat uns sehr geholfen – auch psychologisch. Bei jeder einzelnen deutschen Förderung wurden wir beim ersten Mal abgelehnt und mussten es dann noch mal versuchen. Am Ende haben wir aber eigentlich fast alle bekommen. Ich bin ziemlich stolz, dass wir das geschafft haben.

© CALA Filmproduktion Gmbh / Francesco di Giacomo

Kannst Du auch sein. Es ist ja auch etwas besonderes, wenn in Deutschland ein Film abseits der Sender entsteht.

Ich kann nicht sagen, wie es ist mit Redaktionen zu arbeiten, weil ich das nicht erlebt habe. Aber für mich war es am Ende auf jeden Fall gut, dass ich alleine mit dem Editor im Schneideraum war. Außer der Produktion gab es wenig Einfluss von außen, keine fremden Stimmen, die den Film anders sahen. Mir machen Kompromisse große Angst. Ich glaube, wenn Regisseure Kompromisse machen, werden die Filme immer schlechter. Eine gute Regie ist eine konsequente Regie.

„Ich habe noch nie so viel Angst vor einer Premiere gehabt.“

Habt ihr einen Verleih?

Ja, Farbfilm. Das muss man tatsächlich haben, um Förderung zu bekommen. Der Kinostart ist im Frühjahr 2020.

Das ist ja noch hin. Das heißt der film geht jetzt auf Reisen zu verschiedenen Festivals.

Das war die Idee, also den Film nicht sofort nach München rauszubringen, weil es realistisch betrachtet kein Film ist, der sofort die Massen anziehen wird.

Elisa Mishto mit Team

© FILMFEST MÜNCHEN 2019 / Dominik Bindl

Morgen Abend ist Deine Premiere. Wie geht’s Dir damit?

Ich bin total nervös. Ich habe noch nie so viel Angst vor einer Premiere gehabt. Ich glaube, früher hatte ich so eine naive Sicht. Ich dachte: Ich liebe alle und alle lieben meinen Film. Also bin ich zur Premiere gegangen und habe das zelebriert. Aber bei diesem Film ist es das erste Mal, dass ich Angst habe. Auch weil es so lange gedauert hat, so viel Energie, Kraft und Geld, ihn zu machen.

Und weil es ein persönlicher Film ist?

Wahrscheinlich ja. Das macht mich schon nervös. Wenn diese zwei Figuren kritisiert werden, fühle ich mich persönlich kritisiert.

Dann umso mehr alles Gute für die Premiere und vor allem für den weiteren Weg Deines Films!

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)