Berlinale 2025: Beginnings

Eigentlich wollen sich Ane (Trine Dyrholm) und Thomas (David Dancik) trennen. Doch sie werden sich nicht einmal über den richtigen Zeitpunkt einig, wann die beiden Töchter von dieser traurigen Veränderung in ihrem Leben erfahren werden. Thomas hat mit seiner neuen Freundin Stine (Johanne Louise Schmidt) bereits eine Wohnung angemietet, erhält aber so lange mit Ane das bisherige Familienleben aufrecht, bis alle administrativen Fragen zu Haus, Krediten und Ähnlichem geklärt sind. Doch dann erleidet Ane einen Schlaganfall und ist auf die Unterstützung ihres Mannes angewiesen. Thomas‘ Auszug verzögert sich…

Die Gesichter von Ane und Thomas, mit der Stirn an einander gelehnt.

© Thomas Howalt Andersen, Danni Riddertoft

___STEADY_PAYWALL___In ihrem zweiten Spielfilm erzählt Jaenette Nordahl von Beziehung – von romantischer Liebe, von Elternschaft, von Verbundenheit, von erotischer Anziehung, aber auch Abhängigkeit. Durch Anes körperliche Behinderung verändert sich plötzlich die Dynamik zwischen den eigentlich schon getrennten Eltern. Thomas übernimmt mehr Sorgearbeit als früher, nicht zuletzt auch für Ane. Diese wiederum kämpft mit dem Verlust ihrer Unabhängigkeit, aber auch ihrer Rolle als Mutter. „Ich weiß nicht mehr, wie ich eure Mutter sein soll“, sagt sie an einer Stelle zu ihren Töchtern. Denn selbst wenn Ane ihr Selbstverständnis zuvor auch aus ihrem Job als Wissenschaftlerin und Dozentin an der Uni generiert hat, so ist es doch vor allem die Rolle der Kümmernden, mit der sie nach ihrem Schlaganfall am meisten hadert. Damit führt Jaenette Nordahl ihrem Publikum vor Augen, wie eng das Kümmern um andere für Frauen nicht nur mit ihrer Elternschaft, sondern auch mit ihrem Selbstwert und -verständnis verbunden ist.

Thomas wiederum, der sich seiner Liebe zu Stine und der Entscheidung zur Trennung zuvor absolut sicher war, ist plötzlich hin- und hergerissen zwischen seiner Verbundenheit mit Ane und der neuen Beziehung. Doch woraus genau entsteht diese Unsicherheit? Findet er in der Fürsorge für Ane eine Beziehungsebene, die zuvor verloren war, für ihn aber einen integralen Bestandteil von Liebe darstellt? Oder offenbart die Verletzlichkeit Anes, der vertraute Umgang des getrennten Paares auch in Angesicht schambesetzter Situationen, eine besondere Verbundenheit, die Thomas aus dem Blick verloren hatte? Dass Beginnings auf diese Frage keine Antwort gibt, ist vielleicht die größte Schwäche des Films. Jeanette Nordahl gelingt es nicht, ihrem Publikum die veränderte Beziehungsdynamik zwischen Ane und Thomas nachvollziehbar zu vermitteln, was ein Mitfühlen der Leinwandemotionen erschwert. 

Deutlicher ist Nordahls Umgang mit dem Thema Verantwortung – für das eigene Entscheiden, Handeln und Leben. Sowohl Ane als auch Thomas scheitern schließlich an der Illusion der Kontrolle, an dem Irrglauben, das Leben könne trotz gravierender Veränderungen weitergehen wie bisher. Ane muss Verantwortung für ihre Trauer, ihren Schmerz und ihre Angst in Anbetracht der veränderten körperlichen Möglichkeiten übernehmen, ohne diese Emotionen auf ihr familiäres Umfeld zu projizieren. Aber auch Thomas ist gefragt, die Konsequenzen seines Handelns anzuerkennen. Ohne dass der Film seine Beweggründe oder Beziehung zu Stine in Zweifel ziehen würde, zeigt Beginnings doch deutlich, dass seine Trennung von Ane familiäre Wunden hinterlässt, die anzuerkennen den ersten Schritt zur Heilung darstellt.

Und so ist Beginnings weniger ein Film über eine Schlaganfallpatientin und die Veränderungen ihres Lebens als über Beziehungsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Ane und Thomas müssen vor allem lernen, was bell hooks in ihrem Buch all about love so treffend formuliert: „Love is an act of will – namely, both an intention and an action. Will also implies a choice. We do not have to love. We choose to love.“

Beginnings ist als Weltpremiere bei der Berlinale 2025 in der Sektion Panorama zu sehen.

Sophie Charlotte Rieger
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