Berlinale 2025: Das Licht im Kontext seiner politischen Gegenwart
Es ist ein beliebter Sport unter Filmkritiker*innen, den Berlinale-Eröffnungsfilm zu kritisieren. Er ist grundsätzlich nicht gut genug, an dieser Stelle falsch platziert, zu Mainstream, zu prätentiös, zu was auch immer. Es ist außerdem ein großer Spaß, sich über den ungebrochenen Selbstdarstellungsdrang eines Lars Eidinger zu echauffieren und die Minuten zu zählen, bis er seine entblößten Genitalien in die Kamera hält (es sind im Fall von Das Licht übrigens etwa 20). Die eigentlichen Probleme dieses Films liegen allerdings woanders. Um diese darzulegen, komme ich nicht umhin, mich auch auf das Ende des Films zu beziehen. Dieser Text ist also unbedingt erst nach dem Kinobesuch zu lesen!

© Frederic Batier _ X Verleih AG
___STEADY_PAYWALL___Eine Berliner Familie des links positionierten akademischen Mittelstands kämpft mit den Problemen einer Berliner Familie des links positionierten akademischen Mittelstands. Vater Tim Engels (Lars Eidinger) wird in seiner PR Firma langsam von der nächsten Generation überholt und fühlt sich von Ehefrau Milena (Nicolette Krebitz) emotional und sexuell vernachlässigt. Milena wiederum ist chronisch davon überarbeitet, die Welt – genauer gesagt ein Kulturprojekt in den Slums von Nairobi – zu retten und an ihrer Mutterrolle zu verzweifeln. Tochter Frieda (Elke Biesendorfer) sucht nach ihrer (sexuellen) Identität, während sie sich durch die Berliner Club-Nächte tanzt. Sohn Jon (Julius Gause) existiert mehr in seinem liebsten VR-Videospiel als in der realen Welt. Und dann ist da noch Dio (Elyas Elridge), der aus Milenas kenianischer Affäre hervorgegangene Halbbruder der beiden, der jede zweite Woche bei der Familie wohnt, ohne jemals wirklich dazuzugehören. Und dann kommt die Haushaltshilfe Farrah (Tala Al-Deen), die zwar nur auf Minijobbasis arbeitet, aber in ihrer Omnipräsenz als durch und durch herzensgute Mary Poppins of Color (oder sollten wir sagen Mammy?) für alle Mitglieder zur geschätzten Vertrauten wird und der Familie zu einem Neuanfang verhilft. Doch warum will die aus Syrien geflüchtete Ärztin ausgerechnet diesen Berliner Haushalt ordnen und was hat es mit dem blinkenden Licht auf sich, vor das sie sich regelmäßig setzt?
Auf der Dialogebene verhandelt Tom Tykwer in Das Licht zahlreiche soziale Baustellen der Gegenwart, kritisiert die Indifferenz der Weltbevölkerung, insbesondere die des globalen Nordens, angesichts lebensbedrohlicher Krisen und die kapitalistische Kannibalisierung einer ehemaligen Linken, thematisiert Kolonialismus und Sexismus. Das klingt erst einmal progressiv und am Zahn der Zeit, aber gut gemeint ist wie so oft insbesondere beim Thema Diskriminierung und Awareness nicht automatisch auch gut gemacht. Es ist faszinierend, wie Das Licht gesellschaftspolitische Probleme gleichzeitig offenlegt und fortschreibt.
Dass Milena in ihrer Therapie Mutterscham thematisiert, die sich aus der unmöglichen Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit ergibt, gleichzeitig aber durchgehend als in ihren Beruf aufgesogene und für die Belange ihrer Kinder blinde „Rabenmutter“ auftritt, wäre vielleicht noch zu verschmerzen. Schwieriger ist dann schon der Subplot in Kenia, der irgendwie koloniale Strukturen in der Entwicklungshilfe kritisieren möchte, gleichzeitig aber Kenias Hauptstadt Nairobi nur als von stereotyp fröhlichen Menschen bewohnten Slum inszeniert und sich für die kenianischen Figuren sowieso ausschließlich in Bezug auf die weißen, deutschen Protagonist*innen und niemals um ihrer selbst willen interessiert.

© Frederic Batier _ X Verleih AG
Endgültig eine Grenze überschreitet der Film durch die Figur der Farrah, die nur scheinbar eine Hauptrolle spielt, tatsächlich aber vor allem durch ihre Funktion für den weißen Hauptcast charakterisiert ist. Denn obwohl Das Licht durchaus politisch sein möchte und sehr konkrete Diskurse und gesellschaftliche Herausforderungen benennt, bleibt das Thema Flucht und Migration, das Farrah verkörpern könnte, bis zum Ende seltsam unsichtbar. Dann bricht es in einer pervertierten White-Savior-Variante derart verfehlt über das Publikum herein, dass es mir physisch den Magen umdrehte. Die Familie des links positionierten akademischen Mittelstands wird zu Erlöser*innen der auf der Flucht über das Mittelmeer Verstorbenen. Sie dürfen sich wortwörtlich reinwaschen von der Schuld privilegierter Mitteleuropäer*innen, die sich – allermindestens durch Passivität, wenn nicht gar durch aktive Wahlentscheidungen – zu Mittäter*innen einer menschenverachtenden Migrationspolitik machen, die aus Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien ganze Familien ertrinken lässt.
Und jetzt muss ich vielleicht doch in den Eröffnungsfilm-Diskurs einsteigen. Das Licht eröffnet die Berlinale im Winter 2025, kurz vor der von Scheindebatten über Migrationspolitik geprägten Bundestagswahl. Während Olaf Scholz und Friedrich Merz im TV Duell Klimakrise, Gleichstellung und Kinderarmut ignorieren, um sich darüber zu streiten, welche Menschen sich wie am besten abschieben und die deutschen Grenzen am besten „schützen“ ließen, zeigt die Berlinale zum Auftakt einen Film, in dem Menschen im Mittelmeer ertrinken, ohne unterlassene Hilfeleistung durch Europa auch nur als Randnotiz zu erwähnen. Und als wäre das noch nicht pervers genug, gehen die „indifferenten“ Mitteleuropäer*innen auch noch als Held*innen aus der Geschichte hervor: „Wir haben euch auf dem Meer ertrinken lassen, aber dafür geleiten wir euch jetzt ins Jenseits. Nett, oder?!“
Der Film könnte diese Haltung auch entlarven und seinem Publikum damit den Spiegel vorhalten, es hinweisen auf die Verantwortung der Privilegierten, auf Menschlichkeit und Solidarität. Aber nichts dergleichen. Farrahs Familie versinkt im Meer, weil der Wellengang halt so hoch ist. Nicht weil Schiffe der Küstenwache tatenlos zusehen. Nicht weil eine europäische Migrationspolitik dies mindestens billigend in Kauf nimmt. Eine herrlich bequeme Darstellungsweise, die Tykwers Publikum nicht unnötig herausfordert, die eigene Indifferenz zu hinterfragen, sondern im Gegenteil darin bestärkt, dass ein tiefes, aber möglichst stilles Bedauern fürs Seelenheil vollkommen ausreichend und dieses eigene Seelenheil sowieso wichtiger als alles andere ist. Warum politisch aktiv sein, wenn wir auch einfach in blinkende Lichter schauen können? Oder auf Kinoleinwände?
Da hätte ich lieber 160 Minuten Nacktaufnahmen von Lars Eidinger gesehen.
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