Berlinale 2023: Sieben Winter in Teheran

Reyhaneh Jabbari ist 19 Jahre alt, als sie einen Mann tötet, der versucht sie zu vergewaltigen. Obwohl sie aus Notwehr handelt, wird sie zum Tode verurteilt. Mit ihrem Dokumentarfilmdebüt Sieben Winter in Teheran erzählt Steffi Niederzoll ihre Geschichte.

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Sieben Winter in Teheran lässt Reyhaneh Jabbari zunächst selbst zu Wort kommen und stellt ihr Empfinden in den Vordergrund.___STEADY_PAYWALL___ Zar Amir Ebrahimi (Holy Spider) spricht Passagen ihrer Briefe aus dem Gefängnis und Zeuginnenaussagen aus dem Off ein. Jabbari beschreibt die versuchte Vergewaltigung durch einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter und hält dem Druck stand, ihre Aussage zurückzuziehen. Auch in das Gefängnisleben gibt sie Einblicke. Insgesamt verbrachte sie siebeneinhalb Jahre in Haft – erst im Evin-Gefängnis, dann im Frauengefängnis Shahr-e Rey. Dort erlebte sie Folter und menschenunwürdige Haftbedingungen, lernte aber auch andere Frauen kennen, die von einer frauenfeindlichen Gesellschaft zu einem Leben in Gefangenschaft verurteilt wurden, und schloss sich mit ihnen zu einer Wahlfamilie zusammen.

Den Kern von Sieben Winter in Teheran bilden Video- und Audioaufnahmen aus dem Gefängnis, die Reyhanes Familie heimlich angefertigt und aus dem Iran geschmuggelt hat. Sie geben Einblicke, die der Öffentlichkeit sonst nicht zugänglich sind. Ergänzend nahmen iranische Filmemacher:innen Außenaufnahmen der wichtigsten Orte, wie den Gefängnissen oder Reyhaneh Jabbaris ehemaligen Wohnhaus auf. Modellbauten zeigen die Innenansicht von Jabbaris Gefängniszellen.

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Eine Drehgenehmigung für einen Film, der sich kritisch mit der Todesstrafe auseinandersetzt, hätte Steffi Niederzoll nicht bekommen. Da die Todesstrafe im Iran aus dem Wort Gottes abgeleitet wird, gilt eine Kritik daran als „Verdorbenheit auf Erden“ (ifsad fil-arz), worauf widerum Todesstrafe steht. Für Iraner:innen war die Beteiligung an einem solchen Film extrem gefährlich, einige von ihnen werden deshalb im Abspann als “anonym” angegeben.

Parallel zu Reyhaneh Jabbaris Schicksal erzählt Sieben Winter in Teheran, wie sich ihre Verhaftung und drohende Hinrichtung auf ihre Familie auswirken. In Interviews ergänzen die Eltern Shole Pakravan und Fereydoon Jabbari und Schwestern Sharare Jabbari und Shahrzad Jabbari die Aufnahmen und Erzählungen von Reyhaneh Jabbari. Ihre Perspektive überlagert die der Inhaftierten im Verlauf des Films zunehmend, ohne dass Steffi Niederzoll diesen Perspektivwechsel oder die Spannungen darin thematisieren würde.

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Reyhaneh Jabbaris Familie kämpfte bis zum Schluss für eine Begnadigung, Shole Pakravan ist bis heute Aktivistin gegen die Todesstrafe. Steffi Niederzoll geht den Ungerechtigkeiten, die zu Reyhaneh Jabbaris Hinrichtung führten, nach und spürt dabei tief in die Emotionen der Beteiligten hinein. 

Durch die Video- und Audioaufnahmen der Familie kommt Sieben Winter in Teheran seinen Protagonist:innen sehr nahe und kann Einblick in zutiefst bewegende Momente geben, wie Reyhaneh Jabbaris Geburtstagsfeier im Gefängnis, ihr letztes Telefonat mit der Familie oder Shole Pakravans Bangen und Hoffen am Tag der Hinrichtung. Die unmittelbare Emotionalität dieser Aufnahmen wäre für sich eindrucksvoll. Die Dramaturgie der Montage und die Filmmusik dramatisieren jedoch in unnötigem Maße und erschaffen somit statt Nähe Distanz.

Im Kontext der aktuellen Geschehnisse im Iran kommt Reyhaneh Jabbaris Geschichte eine besondere Bedeutung zu. Aus dem Gefängnis heraus kämpfte sie gegen die Unterdrückung von Frauen, der sie selbst zum Opfer fiel. Frauenrechte sind eine der Kernforderungen der aktuellen Proteste im Iran. Die iranischen Behörden setzen zur Unterdrückung  dieser Proteste weiterhin die Todesstrafe ein.

Sieben Winter in Teheran eröffnete die Sektion Perspektive Deutsches Kino, weitere Screenings auf der Berlinale 2023. 

Lea Gronenberg
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