Berlinale 2023: Geranien
Zur Beerdigung der geliebten Großmutter reist Schauspielerin Nina (Friederike Becht) in ihre Heimat, die nordrhein-westfälische Provinz. Doch kaum hat sie die Schwelle ihres Elternhauses überschritten, fangen die Probleme an. Die Beerdigung ist verschoben worden, doch niemand hat Nina Bescheid gesagt. Später stichelt Ninas Mutter Konnie passiv-aggressiv, dass sie ihre Enkeltochter ja schon viel zu lange nicht gesehen habe. Und überhaupt fehlt von Wiedersehensfreude ebenso jede Spur wie von einem familiären Zusammenrücken im Angesicht des Trauerfalls.
Debütregisseurin Tanja Egen widmet sich mit Geranien eingangs der Perspektive Ninas, so dass wir als Zuschauer:innen deren Enttäuschung und Frustration nachempfinden können. Längst in die Großstadt Amsterdam ausgewandert, fühlt sich die junge Frau in ihrem provinziellen Geburtsort spürbar fehl am Platz und es ist lediglich ihrer tiefen Zuneigung zur verstorbenen Oma zu verdanken, dass sie überhaupt angereist ist. Zur Mutter findet sie keinen Zugang und diese keinen zu ihr. Und der Vater bleibt ein unbeteiligter Zaungast dieses stillen Familiendramas. ___STEADY_PAYWALL___
Die große Stärke von Geranien ist, dass Tanja Egen sich nicht auf diese Perspektive beschränkt, sondern immer wieder die Nähe zu Konnie und ihrer Sicht auf die Dinge, ihrer emotionalen Erfahrungswelt sucht. Denn auch Konnie kämpft mit ambivalenten Gefühlen in Anbetracht des Todes ihrer Mutter.
Of Mothers and Daughters – Von Müttern und Töchtern – lautet der internationale Titel von Egens Film, der gleich zwei Mutter-Tochter-Beziehungen in den Blick nimmt und zueinander in Beziehung setzt. Der diffusen Mauer zwischen den Generationen steht die zärtliche Zuneigung zwischen Oma und Enkelin gegenüber – ein Phänomen, das wohl einige Zuschauer:innen kennen dürften. Doch wo Nina und Konnie sich voneinander entfernt und entfremdet fühlen, zieht Tanja Egen eine unleugbare Verbindung, indem sie immer wieder auf höchst subtile Weile Parallelen und Ähnlichkeiten inszeniert. Manchmal in alltäglichen Tätigkeiten wie dem Entkernen von Zwetschgen oder der exakt mit denselben Handgriffen ausgeführten Reinigung der Küchenspüle. Manchmal durch eben jene schmerzlich empfundene Kluft, die sowohl Nina als auch Konnie gegenüber ihren Müttern empfinden.
Das 4:3 Format des Films erlaubt dabei den notwendigen Fokus auf die Figuren und ihre Gefühlswelt, der diese subtile Erzählung von unter der Oberfläche schlummernden Konflikten, Sehnsüchten und Schmerzen erst ermöglicht. Auch transportiert das heutzutage ungewohnt schmale Bild jene Enge, die Nina in ihrem Heimatort und Elternhaus empfindet. Und beides fließt auf der Handlungsebene geschickt ineinander, denn es ist natürlich gerade die räumliche Enge, die sonst verdrängte familiäre Konflikte unvermeidbar an die Oberfläche treten lässt.
Weniger gut gelungen ist in Geranien bedauerlicherweise die Schauspielführung. Während Friederike Becht als Nina stets überzeugt, wirken die Texte von “Mutter” Marion Ottschick zuweilen wie aufgesagt. Es entsteht also auch auf der sprachlichen Ebene ein – vielleicht als solcher intendierter – Kontrast zwischen Nina und ihrer Mutter. Leider erschwert die gestelzte Sprache den Zugang zur eigentlich interessanteren Figur der Konnie, denn während es reichlich Geschichten von heimkehrenden jungen Menschen gibt, ist die Perspektive der zurückgelassenen Mutter eine Seltenheit.
Es bleibt zwar ein bisschen Luft nach oben in dem kleinen, auf wenige Spielorte und Figuren beschränkten Erstlingsfilm, doch wirkt dies fast wie ein Versprechen von Tanja Egens zukünftiger Entwicklung als Regisseurin. Denn gerade auf den letzten Metern bezaubert ihr Film dann mit einer glaubwürdigen, von jeglichem Pathos befreiten Auflösung, die eigentlich gar keine ist und gerade deshalb berührt. Mit wenigen, aber gekonnt eingesetzten Mitteln legt Geranien den Finger ungemein treffsicher in die Wunde eines ganz alltäglichen Generationenkonflikts und fängt die Ratlosigkeit über seine Ursache und Beschaffenheit ebenso ein wie den hiermit verbundenen Schmerz.
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