Berlinale 2021: As I Want

ACHTUNG: Der folgende Text enthält Trigger zu sexualisierter Gewalt.

Die Kamera fährt langsam über einen hochschwangeren Bauch, das Bild ist in stimmungsvollem schwarzweiß gehalten, repetitiv wird gesungen „Sage ich, es wird ein Junge, fühle ich mich stark und unterstützt, sage ich, es wird ein Mädchen, stürzen die Wände über mir ein“. Regisseurin Samaher Alqadi setzt hier gleich zu Beginn den intimen Ton ihres eindringliches Debüts As I Want, ein filmisches Essay, das sehr kraftvoll persönliche Erinnerungssequenzen mit dem Kampf um Befreiung und Emanzipation verknüpft.

© Prophecy Films

Ausgangspunkt ist der 25. Januar 2011, der zweite Jahrestag der Revolution unter dem damaligen ägyptischen Präsidenten Mohamed Morsi: Bei einer Kundgebung auf dem Tahrir-Platz in Kairo kommt es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen. Nach der öffentlichen Vergewaltigung ihrer besten Freundin entscheidet Samaher Alqadi, ihre Kamera gleichzeitig als Schutz und Waffe einzusetzen. Sie beginnt, die Revolution aus der Perspektive der Frauen zu dokumentieren. Dabei folgt sie den teils turbulenten Szenen auf der Straße und scheut keine direkten Konfrontationen. Dementsprechend ist die Kamera sehr verwackelt, die Bildsprache mutet eher dem Stil einer Reportage an. ___STEADY_PAYWALL___

Es sind die Zeitzeugnisse, die hier in den Bann schlagen, beispielsweise das Gespräch mit einer Gruppe von Schüler:innen auf einem Spielplatz, die Gelerntes wiedergeben: Der Körper und die Stimme einer Frau sind schändlich. Die Umkehr dieses Narrativs wird zum Slogan der Frauenbewegung, die sich vernetzen, auf die Straße gehen und sich gegenseitig vor Übergriffen schützen. Sie diskutieren in Cafés und Wohnzimmern und demonstrieren lautstark, kritisch beäugt von umstehenden Passant:innen. Aktivist:innen zeigen die diskriminierenden Strukturen in der DNA der Stadt auf, etwa fehlendes Licht in den U-Bahn Zugängen. 

© Prophecy Films

Auf der zweiten Erzählebene von As I Want geht die Regisseurin in einen Dialog mit ihrer verstorbenen Mutter und erforscht im Spannungsfeld der Generationen – zum Ende des Films wird ihr zweiter Sohn geboren – ihre Rolle als Frau, Mutter und Tochter. Samaher Alqadi ist im Flüchtlingslager Jalazon und in Ramallah aufgewachsen und hat schon früh darum gekämpft, ihre Unabhängigkeit gegenüber den Erwartungen ihrer Familie gewinnen zu können. In alten Familienvideos und Fotos entfaltet sich ein Dialog mit ihrer Mutter, ein Hinterfragen der unterdrückenden Strukturen, die von ihr mitgetragen wurden.

In dieser Selbstbetrachtung entwickelt der Film eine überzeugende Tiefe, wird zu einem intimen Porträt einer Familien-und Frauengeschichte, dass aber auch über sich hinausreicht. In einer Szene wird etwa deutlich, dass sie belästigt wurde während sie mit ihrem Sohn unterwegs war und er nicht versteht warum und was passiert ist, „und es doch auch nicht wirklich, wirklich schlimm sei“. Zusammen mit ihrem Mann versucht die Regisseurin ihrem Sohn zu vermitteln, dass sie nicht überreagiert, wenn sie den Angreifer der Polizei überstellen möchte. Hier kommt die Generationserzählung an einen entscheidenden Punkt, wenn wir die patriarchalen Narrative in unserer eigenen Erziehung erkannt haben und vor der Herausforderung stehen, Worte für zuvor Unbenanntes zu finden. 

© Prophecy Films

Die Erzählung ist eingebettet in die Klammer der beiden Schwangerschaften und Geburten, das Weibliche als Ursprung des Lebens. Die visuelle Kraft dieser Bilder lässt Aussagen von Männern auf der Straße noch absurder erscheinen, die darauf bestehen, „dass Eva nun mal aus Adams Rippe entstanden ist“. Samaher Alqadi gelingt es, den schmerzhaften Bruch mit den Tabuthemen und die daran geknüpfte, selbstbewusste Ermächtigung der Frauen zu dokumentieren, schon lange vor der MeToo-Bewegung. 

As I Want lief in der Encounters Sektion der Berlinale 2021 und feiert Kinopremiere zur  Sommerausgabe der Berlinale, die noch bis zum 20.06.2021 stattfindet. Der Film war auch im Wettbewerb um den F:act Award auf dem CPH:DOX 2021.

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