Diagonale 2021: Sargnagel – Der Film

„feedback meiner mutter zum film, die normal alles abfeiert, was ich mach: „hätt die steffi net mitgespielt, hätt ich ihn nicht fertig geschaut“, twittert die Wiener Schriftstellerin Stefanie Sargnagel kurz nach der Premiere auf der Diagonale in Graz, dem Festival des Österreichischen Films. Der erste Tweet-Kommentator gründet sein Lob auf einer niedrigen Latte: „das gute an dem Film ist das [sic!] Til Schweiger nicht mitspielt“. Es kommt immer darauf an, welche Erwartungen eins setzt. Til Schweiger wäre in der tief österreichischen Kabarett-Mockumentary mit der aus Prinzip aneckenden und intendiert politisierenden Kunstfigur Sargnagel jedenfalls so Fehl am Platz wie die selbsternannte Anarcho-Linke bei einem FPÖ Kirtag. So gleicht der Film viel mehr einem selbstironisierendem Szenetreff, der die österreichische Filmbranche mitsamt ihrer Preise, Förderinstitutionen und Eitelkeiten aufs Korn nimmt. Das macht mehr oder weniger Spaß je nachdem was eins erwartet.

© Golden Girls Filmproduktion / Filmladen ___STEADY_PAYWALL___

Die Mitte 30-jährige Stefanie Sargnagel, die bekannt für ihre provokanten Tweets ist, landete bereits mit ihrem Erstlingswerk Binge Living: Callcenter Monologe, in dem sie ihre Arbeit im Callcenter thematisierte, einen Erfolg. Die zynische Frau mit der roten Baskenmütze ist außerdem für ihre Cartoons bekannt, die etwa in der Wochenzeitung Der Falter oder in der Süddeutschen Zeitung erscheinen. Worum kann es also im Film Sargnagel gehen? Das Regie-Duo Sabine Hiebler und Gerhard Ertl präsentieren uns kein Doku-Porträt sondern gehen es in österreichischer Kabarettfilm-Manier an: humorvoll-übertrieben, überhöhtes Szenenspiel, Lokalkolorit. Formal setzen das Duo dabei ganz auf Mockumentary-Stil also auf die inszenierte Parodie einer fiktionalen Dokumentation.  Dabei kann eins nicht jeder Pointe etwas abgewinnen – etwa langen Aufzählungen von Vulgärausdrücken –, findet aber zahlreiche Momente zum lauten Auflachen – darunter viele Anspielungen auf die Kulturlandschaft und Politik Österreichs. Die Sargnagel wirkt hier selbstironischer und deshalb sympathischer als in so manch ihrer schriftlichen Selbstinszenierungen, in denen sie auf andere häufig bitterböse von oben herab blickt. 

© Golden Girls Filmproduktion / Filmladen

Am Anfang der Mockumentary steht die Idee einen Film über Stefanie Sargnagel zu drehen: Die Schlüsselpositionen Regie (Michael Ostrowski) und Hauptdarstellerin (Hilde Dahlik) fallen, ganz nach Freunderlwirtschaft-Manier (Vetternwirtschaft), in die Hände etablierter österreichischer Kulturschaffender. Doch nach einiger Zeit wird klar: Hilde Dahlik passt als Besetzung der Kultfigur mehr schlecht als recht, auch wenn sie zahlreiche Privataufnahmen des Twitter-Stars studiert und mit einer identen roten Baskenmütze herumläuft. Darum ändert sich kurzerhand der Plan und Stefanie Sprengnagel (ihr bürgerlicher Name) soll sich für den geplanten Spielfilm selbst darstellen. Um dem Narrativ eine logischen Rahmen zu geben, setzt der Film auf ein imaginiertes Praktikant:innenteam, das Sargnagel mit der Making Off-Kamera in ihre Wohnung, zu ihrem Freund, in ihre Lieblingsbeisl und zur Burschenschaft Hysteria folgt.

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„Der erste weibliche Kabarettfilm Österreichs“, ruft der Regisseur, der sonst eher abstruse Ideen und keinerlei Szenengespür hat, euphorisch. Damit behält er jedenfalls auch de facto Recht, denn Österreichs Kabarettszene wird seit jeher von männlicher Seite dominiert. Eine Frau, die von Mensturationsblutschmiere schreibt und sich am feministischen Projekt Burschenschaft Hysteria mit seinen radikalen Forderungen beteiligt, zeigt sich als Novum in der Kabarettfilmlandschaft. Sarnagels feministische Haltung lässt sich aber nicht klar einordnen, besteht sie doch stellenweise vor allem aus derben Wortkatapulten, die sich deutlich von einer feministischen Sensibilität unterscheiden, andererseits entfernt sie sich damit auch deutlich von postfeministischer Verblendung, also einer nur oberflächlich feministisch geprägten Haltung, die viel mehr von Konsum und diskriminierenden Anforderungen an den Körper geprägt ist. „Ist Abnehmen antifeministisch?“ fragt die Protagonistin, als sie ihr Probeabo im Fitnessstudio antritt. Die Sargnagel stellt manchmal als einzige die Fragen, die sonst keine:r laut ausspricht. Dabei verweigert sie sich zeitweise dem neoliberalen Karriereeifer und der Selbstoptimierung und darin liegt wohl das Anarchische ihres Daseins. Lieber im Café Weidinger am Wiener Gürtel rauchend prokrastinieren, als auf Lesereise durch Österreich und Deutschland tingeln viel zu mühsam, oida. Doch durch antikapitalistische Haltung allein zahlen sich zehn Bier pro Barabend nicht und so klappert sie dann doch auf einer Lesereise die Fangemeinden von Wien bis Hamburg ab.

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Auch Jan Böhmermann meldet sich als Talking Head zu Wort, dazu kommt noch eine persiflierende Ibiza-Affären-Szenerie – funktioniert. Die in den 1990er Jahren noch gemeinsam in der Avantagarde-Szene aktiven Hiebler und Ertl befüllen ihren nunmehr vierten Spielfilm mit einem ganzen Ensemble an Anspielungen und Prominenz in ironischer Besetzung. So spielt die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler die Hausbesorgerin in Sargnagels klischeebehafteten Gemeindebau – der soziale Schmelztiegel, der mitsamt seiner Schablonendarstellungen des Subalternen scheinbar in keinem österreichischen Kabarettfilm fehlen darf. Der ehemalige Direktor des Österreichischen Filmmuseums Alexander Horwath sitzt in der Jury der Filmförderung und lauscht dem Projekt-Pitch des überdrehten Ostrowksi. Etwas überladen wirkt die Fülle an Anspielungen, die so auch den Anschein erwecken, als sollten sie vor allem den Feuilleton erreichen – wer den Film gesehen hat, versteht diesen Satz.

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Die „Dokumödie“ Sargnagel lässt sich auf jeden Fall einmal ansehen, eins muss aber für diese Art von Humor empfänglich sein oder sich besonders am liebevollen Lokalkolorit – oida, heast, bist deppat – erfreuen. Die Frage, ob ohne Kenntnisse der zahlreichen Kontexte der Unterhaltungswert des Films groß genug ist, kann ich nur laut in die Runde werfen. Ein Höhepunkt des Projekts liegt jedenfalls in der Tatsache, dass das Regie-Duo tatsächlich den in ihrem Film erzählten Weg bestritten hatte: sie reichten das Projekt zuerst als Spielfilm ein, es bekam keine Förderung, beim zweiten Versuch in der Förderschiene Dokumentarfilm klappte es dann – mit entsprechend geringerem Budget. Und dann kam Corona und der Plan Stefanie Sargnagel dokumentarisch in ihre Stammlokale zu begleiten, wich der Form einer inszenierten Film-im-Film Doku. Für die richtige Stimmung sorgt in jedem Fall der Musiker Voodoo Jürgens, der nicht zum ersten Mal mit der Schriftstellerin zusammenarbeitete. Hilde Dahlik hat für ihre Doppel-Darstellung (hierin liegt noch ein lustiger Kniff) einen der beiden Schauspielpreise der Diagonale bekommen. Hier treffen Realität und Fiktion wieder humorvoll zusammen, ist es doch der sehnlichste Wunsch ihrer satirischen Rolle einen Preis für den Film abzustauben.

Filmstart Deutschland: noch nicht bekannt
Filmstart Österreich 20.08.2021

Link zum Trailer: SARGNAGEL – Der Film

Bianca Jasmina Rauch
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