Unsere Liebsten auf LaCinetek

Im Rahmen der Kooperation mit unseren Freund*innen von LaCinetek haben wir die Kinemathek der VoD-Plattform durchforstet und freuen uns, euch hier fünf unserer Lieblinge vorzustellen:

© Czech Film Fund, source: Národní filmový archiv, Prague

Tausendschönchen von Věra Chytilová

Tausendschönchen von Regisseurin Věra Chytilová ist ein bahnbrechendes Werk des tschechischen New Wave-Kinos und ein feministisches Manifest in Filmform. Erzählt wird die Geschichte von Marie I und Marie II, die in einer Welt der Konventionen und Normen rebellieren – sie brechen bewusst und lustvoll mit gesellschaftlichen Erwartungen. Die Maries sind wild, unabhängig und provokativ.
Der Film nutzt eine bunte Mischung aus Bildsprache, Humor, Tanz- und Slapstickeinlagen, um die Unterdrückung der weiblichen Identität zu thematisieren und zu kritisieren. Die Figuren sind sich ihrer Rolle im Film bewusst und nutzen dies voller Freude, stellen beispielsweis die Welt narrativ auf den Kopf stellen und zerschneiden das Filmmaterial. In einer wilden, alles-ist-möglich Ästhetik werden die Maries zu Figuren ohne jede Regel, und der Film zu einem surrealistischen und anarchischen Spektakel.
Damals ein Skandal: Nach dem Prager Frühling verboten, und die Regisseurin wird mit Arbeitsverbot belegt.Tausendschönchen ist eine liebevoll gedrehte Ode an die Freiheit und die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, die mit großem Humor und kreativer Energie präsentiert wird – im Grunde alles, was wir uns von Barbie gewünscht hätten!

© 1985 Ciné-Tamaris / films A2

Vogelfrei von Agnès Varda

Vogelfrei ist ein herausragendes Werk des feministischen Kinos der Regisseur*in, die sagte: „Nichts ist banal, wenn Du es mit Liebe filmst“. Der Film erzählt die Geschichte von Mona (Sandrine Bonnaire), die nach ultimativer Freiheit sucht und alles hinter sich lässt. Mit nur einem Zelt und einem Rucksack ausgestattet, trampt sie durch Südfrankreich und erlebt dabei unterschiedliche Begegnungen mit Menschen, die ihr Leben prägen – Agnès Varda Blick bleibt dabei stets nüchtern. Mona wird ausschließlich von außen charakterisiert, durch kurze Interviewsequenzen mit Menschen, die sie im Laufe ihres Lebens getroffen hat. Ihre Identität wird nebensächlich, und die Sichtweisen der anderen werden zur Realität. Der Film zeigt die schmerzhafte Unausweichlichkeit von Monas Reise und bricht mit konventionellen Erzählstrukturen.
Agnès Vardas Kontrolle über diese verleiht jedem Moment von Vogelfreieine schmerzliche Tiefe. Obwohl wir von Anfang an wissen, wie Monas Reise enden wird, schmerzt die Unausweichlichkeit mit jedem Teil von sich, den sie bei ihren Begegnungen hinterlässt. Vardas beinahe dokumentarischer Blick hält das Publikum auf Distanz und verweigert eine einfache emotionale Erlösung durch Mitleid. Dieser stilistisch einzigartige Film ist vor allem auch ein wunderbares Beispiel für weibliche Identitätssuche im Coming-of-Age Film.
Mit 89 Jahren wurde die Regisseurin Agnès Varda, deren Oeuvre 2018 erstmalig für einen Oscar nominiert (den sie dann übrigens nicht erhielt). Damit war sie die älteste jemals für einen Oscar nominierte Person. Interessanterweise hatte sie schon ein Jahr vorher, im November 2017, einen Ehrenoscar für ihr Lebenswerk erhalten, obwohl sie noch nie für einen ihrer Filme nominiert worden war. Das sagt schon wieder schrecklich viel über die Position von FLINTA in der Filmbranche.

© Stiftung Deutsche Kinemathek

Von wegen Schicksal von Helga Reidemeister

Der nicht unumstrittene DFFB-Abschlussfilm von Helga Reidemeister war fast vier Jahrzehnte im Archiv bevor das Arsenal – Institut für Film-und Videokunst die digital restaurierte Fassung zum 75. Geburtstag der Regisseur*in zeigte. Sie selbst beschreibt ihren Film als eine Auseinandersetzung mit den Gewaltverhältnissen in der Familie, die auf existenziellem Druck und unterdrückter Liebesfähigkeit basieren. In dieser Alltagsnot zeigt der Film den Mut zur Selbstkonfrontation und den Versuch, aus dieser Situation auszubrechen.
Irene Rakowitz, 48 Jahre alt, entscheidet sich nach 20 Jahren Ehe, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Sie ist es leid, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Mit ihren beiden jüngeren Kindern lebt sie in einem der Hochhäuser im Märkischen Viertel, während ihr geschiedener Ehemann immer noch im gleichen Haus wohnt. Trotz der Unterstützung des Sozialamtes weigert sie sich, die Alltagszwänge als unvermeidliches Schicksal hinzunehmen und aufzugeben. Sie möchte neben ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau auch aktiv sein und ihre anderen Bedürfnisse nicht vernachlässigen. Dies tut sie auch, um ihren Kindern zu zeigen, dass sie den Mut haben sollten, für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen.
Irene Rakowitz stellt beim Bügeln wichtige Fragen, die auch heute in der Debatte zur Care-Revolution von großer Relevanz sind: Sie fragt sich, warum sie für jahrelange Hausarbeit keinerlei Bezahlung erhält, keine Rentenansprüche hat und weniger Rechte als ein Dienstmädchen besitzt.
Helga Reidemeister hat als Sozialarbeiterin im Märkischen Viertel gearbeitet und so die Familie kennengelernt, das teils sehr intime Filmmaterial spiegelt diese Beziehung und war aber Anlass heftiger Kritik zum Thema Distanz und dokumentarische Arbeitsweise. Im Kontext der Zeit brach der Film mit seinem Fokus auf einer alleinerziehenden Mutter und ungeschönten Darstellung der Verhältnisse Bahn für neue Perspektiven im Deutschen Kino.

Collections CINEMATEK – © Chantal Akerman Foundation

Hotel des Acacias von Chantal Akerman

Hotel des Acacias ist ein bemerkenswerter Film von Chantal Akerman, der eine subtile und melancholische Atmosphäre einfängt. In der Hauptrolle ist  Hélène Fillières zu sehen, die eine Hotelangestellte in einer kleinen französischen Stadt darstellt. Die kontemplative Erzählung des Films entwickelt sich durch die verschiedenen Besucher*innen des Hotels, wobei das Thema des Begehrens, das eines von Akermans zentralen Themen ist, im Mittelpunkt steht.
Der Film entstand als Studienleistung am INSAS (Institut National Supérieur des Arts du Spectacle et Techniques de Diffusion) unter der Leitung von Chantal Akerman. Für uns besonders spannend ist hier, dass der Film, eher unbekannt, deutlich von ihrer einzigartigen künstlerischen Handschrift geprägt ist – die fragile und symmetrische Stilisierung des Films ist charakteristisch. So wie in Akermans Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles, welcher  2022 von Sight&Sound als bester Film aller Zeiten gelistet wurde.

© 2013 Universum Film GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Rechte: Studiocanal GmbH

Persepolis von Satrapi Narrante, Paronnaud Vincent

Persepolis, die autobiografische Comic-Adaption von Marjane Satrapi, die gemeinsam mit Vincent Paronnaud Regie führte, verdichtet politische Ereignisse und persönliche Erlebnisse im Iran von den 1970er-Jahren bis zur Gegenwart. Der Film konzentriert sich auf Marjane selbst, die unter dem Einfluss ihrer unkonventionellen Großmutter und ihrer politisch oppositionellen Eltern im Iran unter dem Schah-Regime zu einer rebellischen Teenagerin heranwächst. Trotz des obligatorischen Kopftuchs trägt sie eine Jacke mit der Aufschrift „Punk is not ded“ und hört Iron Maiden, was den Mullahs und Revolutionswächtern ein Dorn im Auge ist. Da ihre Eltern erkennen, dass es für ihre unangepasste Tochter in Teheran zu gefährlich wird, schicken sie Marjane auf ein Internat nach Österreich. Ironischerweise führen auch dort ihre Punk-Neigungen zu Problemen, da sie zunächst in einem katholischen Internat landet. Marjane sehnt sich nach ihrer Heimat, doch als sie zurückkehrt, fühlt sie sich dort wie eine Fremde. Persepolis erzählt auf leichte, schwungvolle und humorvolle Weise, ohne den Ernst des Themas zu vernachlässigen, eine sowohl persönliche als auch universelle Geschichte. Der Film vermittelt das Verständnis für die alltäglichen Zwänge in einem repressiven Land sowie die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und die Schwierigkeit, sich selbst treu zu bleiben. Persepolis belebt das oft vernachlässigte Stilmittel Schwarz-Weiß-Film auf eindrucksvolle Weise wieder. Der Film ist ein vielschichtiges Werk, das Realismus und Poesie auf eine einzigartige Weise verbindet.

Die Liste findet ihr ab jetzt auch als kuratierten Fokus auf LaCinetek.


Über LaCinetek

LaCinetek ist die erste VoD-Plattform, die sich den großen Filmen der Kinogeschichte widmet. Die Plattform bietet eine umfassende Sammlung von mehr als 850 Filmen, die von über hundert internationalen Regisseur*innen handverlesen wurden. Für LaCinetek haben die mitwirkenden Regisseur*innen jeweils eine Liste ihrer 50 Lieblingsfilme erstellt, ihre ideale Kinemathek. Der Katalog besteht aus der Verbindung all dieser Listen und wächst Monat für Monat durch eine neue Liste und Neuerwerbungen. Die Plattform bietet einen kostenlosen Zugang zur Website, auf der man sich umschauen, exklusives Bonus-Material ansehen und die Filmlisten der Regisseur*innen entdecken kann. Nur die Ausleihe und der Kauf eines Films sind kostenpflichtig.

Getragen durch die französische Vereinigung La Cinémathèque des Réalisateurs, verfolgt LaCinetek das Ziel, dem internationalen Filmerbe online eine Plattform zu bieten und seine Online-Präsenz zu stärken.

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