Berlinale 2019: Searching Eva

von Sophie Charlotte Rieger

Immer dieses Selbstdarstellerinnentum bei Facebook und Instagram. Ehrlich jetzt mal: Müssen denn die Menschen wirklich jedes Detail ihres Lebens mit der ganzen Welt teilen?

Model, Sexarbeiterin und Musikerin Eva Collé ist eine dieser Personen, die ihr ganzes Leben öffentlich machen. Oder anders formuliert: Eva Collé ist eine dieser Personen, die ein Leben öffentlich machen. Der direkte Blick in den Alltag und die Gedankenwelt der jungen Frau könnte die tatsächliche Aufgabe von Privatsphäre darstellen oder einfach nur eine sehr gelungene Inszenierung sein. Oder ist das Leben am Ende immer eine Art von Inszenierung?

Mit ihrem Dokumentarfilm Searching Eva nimmt sich Regisseurin Pia Hellenthal unter anderem auch dieser Frage an. „the film starts now“ steht zu Beginn auf der Leinwand, auf dass niemand vergessen möge, dass es sich hier nicht um ein Fenster zur Realität, sondern eine Inszenierung handelt. Der Verweis auf die eigene Künstlichkeit bleibt als Stilelement erhalten, wenn die Protagonistin immer wieder in statischen Kameraperspektiven durch die vierte Wand direkt auf die Zuschauer_innen blickt.

© Janis Mazuch / CORSO Film

Und so ist da stets ein gesundes Maß an Zweifel, ob dieses Portrait von Eva Collé eine wahre oder eine erfundene Geschichte erzählt. Da wäre beispielsweise ihr Bericht über eine Kindheit mit heroinsüchtigen Eltern, die den Plot eines TV-Dramas darstellen, aber natürlich ebenso gut auch wahr sein könnte. Einmal dürfen wir der Protagonistin sogar beim Sex mit einem ihrer Kunden zuschauen. Kann das wirklich sein? Ist diese Szene wirklich echt?

Die nicht selten expliziten Bilder werden begleitet von Auszügen aus Evas Blog, in denen sie nicht nur ihre Lebensgeschichte erzählt, sondern auch über feministische Diskurse und den Sexismus in ihrem Heimatland Italien referiert sowie tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewährt. Zwischendurch erscheinen Kommentare und Fragen ihrer Follower_innen. Diese Zwischentitel auf schwarzem Hintergrund stehen nicht immer in direktem Zusammenhang mit den vorangegangen oder folgenden Bildern, sondern bilden eher Puzzlesteine im Mosaik von Evas (virtueller) Persönlichkeit.

Auch die Ordnung der Momentaufnahmen ist nicht klar ersichtlich. Eva datiert einzelne Tagebucheinträge nur scheinbar, da sie zwar Tag und Monat, niemals aber das Jahr erwähnt. Nur anhand ihrer wechselnden Frisur lässt sich eine zeitliche Abfolge erahnen. Im Grunde aber geht es in Searching Eva auch nicht um Chronologie, da sich das Leben der Hauptfigur ohnehin eher in einer Dauerschlafe befindet: Ihre Berliner WG-Zimmer wechseln ebenso permanent wie die Menschen an ihrer Seite. Konstanten der einen oder anderen Art scheinen völlig zu fehlen.

© Janis Mazuch / CORSO Film

Und in diesem Zusammenhang entwickelt Editorin Yana Höhnerbach durch ihre Montage der vielgestaltigen Elemente dann doch eine Form der Narration. Während Evas Leben nämlich zu Beginn des Films noch überaus aufregend erscheint, entsteht mit fortschreitender Laufzeit eine dumpfe Traurigkeit. Ist die absolute Freiheit der jungen Frau zu Beginn noch zu beneiden, so drängt sich mehr und mehr die Frage auf, ob wir als Zuschauer_innen unser geregeltes Leben wirklich dafür einzutauschen bereit wären. Vorausgesetzt natürlich, das was wir da sehen ist wirklich Evas Leben und nicht eine Version davon, die sie gemeinsam mit der Regisseurin für uns entwirft.

Vielleicht sind die Zweifel an der Echtheit dieser Bilder auch der Irritation über die Intimität der Inszenierung geschuldet. Eva Collé macht sich im doppelten Sinne nackig, steht nicht nur ausgesprochen gerne ohne Kleider vor der Kamera, sondern bietet durch die Offenlegung ihrer Schwächen auch eine emotionale Angriffsfläche. Dabei spielt die Gefahr dieser Schutzlosigkeit gegenüber verbaler Gewalt durch Hasskommentare im Internet eine bedauerlich untergeordnete Rolle. Nur ganz selten befindet sich unter den zitierten Follower_innen eine unfreundliche Stimme. Einerseits verschweigt Regisseurin Pia Hellenthal damit eine ganz wesentliche Konsequenz des Online-Seelen-Striptease, andererseits beraubt sie ihre Heldin damit auch echter Verletzlichkeit. Selbst wenn Eva über ihre Gewalterfahrungen berichtet, scheint sie über den Dingen und immer einen Meter weit weg zu stehen. Der Verzicht auf Privatsphäre, so lernen wir mit Searching Eva eindrücklich, ist nicht dasselbe wie das Zulassen von Nähe.

© Janis Mazuch / CORSO Film

Und so stellt sich noch einmal die schon eingangs formulierte Frage: Müssen denn die Menschen wirklich jedes Detail ihres Lebens mit der ganzen Welt teilen?

Nein, sie müssen nicht, aber sie dürfen. Denn viel mehr noch als um Echtheit und (Selbst)Inszenierung, geht es in diesem Film um Emanzipation und Identität. Als Mädchen wird uns beigebracht, nicht die lüsternen Blicke erwachsener Männer auf uns zu ziehen. Keine kurzen Röckchen, die Beine immer fein übereinander schlagen und bloß nicht nackig durch den Garten rennen, wenn Besuch da ist. Eva Collés entblößter Körper ist immer auch ein machtvoller Befreiungsschlag, eine Wiederaneignung, ein „Mein Körper gehört mir“ mit dem Zusatz „und ich darf ihn zeigen, wem ich will“. Facebook und Instagram geben nicht nur Eva, sondern jeder Frau die Möglichkeit, sich selbst genauso in Szene zu setzen wie sie es möchte. Darin liegt ein nicht zu unterschätzendes Empowerment, eine Wiederaneignung des eigenen Bildes als „post-patriarchales Narrativ“, wie es beispielsweise die Regisseurin und Dozentin Sylke Rene Meyer in einem Aufsatz über Handy-Selfies formuliert.

Searching Eva wirft also auch ein neues Licht auf die weibliche Selbstdarstellung im Internet, holt sie aus der narzisstischen Schmuddelecke und hebt sie aufs Podest des zeitgenössischen Feminismus. „Everyone can pretend to be whoever they want“, sagt Eva Collé. Und somit lässt sich nur eins mit Sicherheit sagen: Die Eva Collé, die wir in diesem Film und im Internet sehen können, ist genau die Eva Collé, die wir sehen sollen. Und das muss als Antwort reichen.

Screenings bei der Berlinale 2019

Searching Eva Trailer from Syndicado on Vimeo.

Sophie Charlotte Rieger
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