Berlinale 2019: Interview: Mariam Ghani – What we left unfinished

© Lyric Hunter

Der Dokumentarfilm What we left unfinished von Mariam Ghani beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das kommunistische Afghanistan (1978-1992) wird einerseits als goldene Ära des Films beschrieben. Filmemacher erhielten Zugang zu Ressourcen, überall im Land eröffneten Kinos. Es entstanden Freiheiten vor und hinter der Kamera für einen modernen Lebensstil, der im Kontrast zu gesellschaftlichen Traditionen stand. Zugleich jedoch nutzten die Regierungen Filme als mächtiges Propagandamittel und übten Zensur aus.

Im Mittelpunkt des Films stehen Filmemacher und Schauspieler_innen. In Interviews schildern sie, wie sie persönlich mit der Ambivalenz von Kunstfreiheit und der Instrumentalisierung durch die Regierungen umgingen. Fast 30 Jahre später ist es ihnen außerdem möglich über ihre Rolle im kommunistischen Afghanistan zu reflektieren und diese ins Verhältnis zu setzen – mit der Situation nach der Machtübernahme der Taliban, bei der große Teile des afghanischen Filmarchivs vernichtet wurden und Filmemacher und Schauspieler_innen das Land verlassen mussten.

What we left unfinished ist Teil eines größeren Projektes, in dem viel Recherche und Aufarbeitung afghanischer Filmgeschichte steckt. Gezeigt werden Originalaufnahmen aus fünf Filmen des kommunistischen Afghanistans: The April Revolution (1978), Downfall (1987), The black diamond (1989), Wrong way (1990) und Agent (1991). Diese Filme konnten nie vollendet werden und sind nun erstmals auf Leinwand zu sehen.

FILMLÖWIN-Autorin Lea Gronenberg hat Mariam Ghani bei der Berlinale 2019 getroffen und mit ihr über die Entstehung des Films, das Projekt dahinter und das politische Potential des Mediums  Film gesprochen.
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Lea: What we left unfinished ist ein sehr ungewöhnliches Projekt. Wie ist es entstanden und wie haben Sie es über die Zeit weiterentwickelt?

Mariam Ghani: Der Film What we left unfinished entstand aus meiner langjährigen Zusammenarbeit mit dem staatlichen Filminstitut in Afghanistan Afghan Film, die bereits 2012 mit den Documenta Workshops in Kabul begann. Das war ein Meilenstein, der zeigte, dass die Digitalisierung des Archivs umsetzbar ist. Ich arbeitete daran mit Pad.ma [Public Access Digital Media Archive] einem Archivkollektiv aus Berlin, im afghanischen Archiv mit den Mitarbeitern von Afghan Film und half dabei sehr schnell 90 Filme online zu stellen, um Gelder für die komplette Digitalisierung des Archivs zu gewinnen. Seitdem habe ich versucht sie mit all meinen Möglichkeiten zu unterstützen, um das Digitalisierungsprojekt am Laufen zu halten. Über die Jahre entwickelte sich so eine lange und komplizierte Beziehung mit dem Archiv, in der ich unter anderem Filmvorführungen organisierte und Essays zu den Filmen schrieb und weiter Filme digitalisierte. Ich besuchte sie regelmäßig und versuchte herauszufinden, wo meine Hilfe gebraucht wird. Schließlich gelang uns die Umsetzung des Digitalisierungsprojekts und wir konnten die ersten drei Filme zeigen, die wir restauriert hatten.

© Indexical Films/Afghan Films

Die Filme aus dem Archiv, die in What we left unfinished gezeigt werden, haben ganz unterschiedliche Themen und Genres. Es sind sowohl Actionfilme, als auch Liebesfilme dabei. Gibt es ein Thema, das den afghanischen in Film in der Zeit des Kommunismus in Afghanistan besonders prägt?

Ich denke, in dieser Periode gab es unterschiedliche Filmemacher, die unterschiedliche Interessen hatten. Es gibt auch Unterschiede zwischen den jeweiligen Phasen der kommunistischen Regierungen. Von 1978-79 gab es eine sehr strenge Kontrolle über die Inhalte. Es wurden gezielt Filme in Auftrag gegeben, wie beispielsweise eine Romanverfilmung, die sie für eine gute Kritik an der Bourgeoisie im Kabul der 1970er Jahre hielten. Sie haben also sehr, sehr stark in die Themenauswahl von Filmen eingegriffen.

In der Zeit von 1979 bis etwa 1987, nach der Invasion durch die Sowjetunion, entstand ein eher übergeordneter Plan in Bezug auf Film, bei dem es um die Ausbildung, um Förderung ging. Anstatt weiter im Kleinen einzugreifen, wurden eine Zensurkommission und eine Künstlervereinigung eingesetzt. Dadurch entstand eine eher strukturelle Kontrolle. Ich glaube, ab diesem Zeitpunkt geht es nicht so sehr darum, Filmemachern bestimmte Themen vorzuschreiben, stattdessen muss jedes Drehbuch durch die Zensur freigegeben werden. Bestimmte Dinge wurden dabei immer aus den Drehbüchern gestrichen.

Nach 1987, nachdem sich die Sowjetunion aus der Filmbranche zurückgezogen hatte, gab es deutlich größere Freiheiten bei der Themenauswahl,allerdings auch weniger Ressourcen, weshalb viele dieser Filme unvollendet blieben. Genau da setze ich mit meiner Betrachtung an.

Was waren das für Filme, die da entstanden? Da gab es Actionfilme und Liebesgeschichten, historische Filme, Geschichten über die Unabhängigkeit von Frauen oder über Drogensucht. Zum Beispiel ein toller Film aus dieser Zeit, der von einem Mann erzählt, der sein Bein bei einem Autounfall verliert und beim Versuch, seine Phantomschmerzen zu stillen, heroinabhängig wird. Das ist schon eine interessante Geschichte. Es gibt einfach eine große Bandbreite.

© Indexical Films

Die Schauspielerin Yasmin Yarmal erzählt in What we left unfinished, dass Schauspielerinnen als Prostituierte und Ungläubige abgewertet wurden. Zugleich hatte sie aber auch die Hoffnung mit ihren Filmen für die Rechte von Frauen* eintreten zu können. Gab es tatsächlich die Möglichkeit feministische Themen mit Filmen voranzubringen?

Es war diesbezüglich sicher eine komplizierte Zeit. Im Gegensatz zu heute gab es keine weiblichen Regisseurinnen, aber es arbeiteten eine Menge Frauen hinter den Kulissen und vor der Kamera. Es gab weibliche Kameraassistentinnen. Was die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen beim Film als Prostituierte oder Ungläubige anstieß, war der freie Umgang von Männern und Frauen miteinander. Nicht nur bei der Arbeit am Set, sondern auch vor der Kamera, wenn beispielsweise zwei Personen ein Ehepaar darstellen ohne verheiratet zu sein. Das war schwierig zu überwinden, insbesondere für Schauspielerinnen, weil sie so sichtbar waren. Viele von ihnen, die im Land blieben, gerieten in Schwierigkeiten unter den Taliban, weil sie für den Lebensstil standen, der in den Filmen gezeigt wurde. Yasmin ist so wunderbar in ihren Interviews, sie hat so einen starken Charakter und scheut sich nicht davor jedem zu widersprechen, das liebe ich sehr an ihr. Was sie und auch andere Schauspielerinnen in ihren Rollen meiner Meinung nach gut umgesetzt haben in dieser Zeit, war eine bestimmte Art von Weiblichkeit zu verkörpern. Das war eine moderne Weiblichkeit und eine moderne Lebensweise, die sich vor allem in den Städten abspielte und nicht unbedingt in den Rest des Landes vordrang. Ich denke das meint sie auch, wenn sie sagt, es gab eine kleine Gruppe aufgeklärter Frauen, die sehen wollten, ob sie das tatsächlich durch den Film weiterverbreiten konnten. Sie verkörperten ihre Art zu denken in ihren Rollen und hofften einfach, das es sich auch darüber hinaus in der Welt verbreiten würde.

© Indexical Films

Es gibt zwei Sätze im Film, die für mich sehr präsent geblieben sind. Einer sagt, Filme könnten mehr Schaden anrichten als eine Waffe, und der andere, Filme könnten eine ganze Nation unterrichten. Wie schätzen Sie das politische Potential von Filmen damals, aber auch heute ein.

Ich glaube, dass sowohl die Filmemacher, als auch das kommunistische Regime Filme vor allem als Waffe betrachteten. Das passte selbstverständlich zu den sowjetischen Anliegen. Faqir Nabi sagt im Interview, Filme können so mächtig sein, wie ein F-16 Kampfjet, was ein sehr starkes Statement ist. Ich denke, dass diese Filmemacher weiterhin an das politische Potential ihrer Arbeit glauben und an die Macht von Filmen zu unterrichten, die Macht zu vereinen, die Macht alternative Räume zu schaffen. Und ich glaube das auch. Ich glaube sehr stark an das politische Potential von Filmen.

Lea Gronenberg
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