Gast-Löwin: Mit Lida Bach im kulinarischen Kino der Berlinale 2019

Ein Text von Gast-Löwin Lida Bach

Nachdem jahrelang Hagiographien von Männern* – die meisten weiß, überprivilegiert und überrepräsentiert – die Sektion prägten, bemüht sich das Kulinarische Kino zumindest äußerlich um eine weniger einseitige Auswahl. Nicht nur laufen dieses Jahr mehr Werke von Regisseurinnen, mehrere Dokumentationen richten den Fokus auf die essenziellen Beiträge von Frauen* an unterschiedlichen Punkten der Lebensmittelkette, von landwirtschaftlicher Erzeugung über handwerkliche Produktion bis hin zur vollendeten Verarbeitung seitens einer neuen Generation an Spitzenköchinnen.

© ELI Image

Beloved

Süßes Leid nennt Firouzeh ihr Dasein in den Bergen Mazandarans. Die entlegene Region im Norden Irans ist die Heimat der 82-jährigen Protagonistin, doch ihr Zuhause ist die Hütte auf dem Berg. Dort lebt sie mit ihren Kühen, die sie genauso zu behüten scheinen wie die alte Frau* die Tiere behütet. Eines der Tiere zu verkaufen, um eines ihrer 11 Kinder finanziell zu unterstützen, bricht ihr schier das Herz. Doch Kummer ist die Protagonistin von Laser Talebis lyrischer Betrachtung gewohnt. Die schmerzlichen Erfahrungen eines harten Lebens, von dem sie beim Tagwerk ohne Eitelkeit und Selbstmitleid erzählt, haben sie verhärmt, aber nicht verhärtet.

Jahrzehnte körperlicher Schwerstarbeit haben ihre Statur gebeugt, doch ihre Resilienz und Kraft sind bewundernswert. Eine stille Hochachtung liegt in den malerischen Bildern der Kamera, die zwischen Firouzeh, ihren tierischen Gefährtinnen und der eindrucksvollen Naturwelt herumwandert. Die intime Persönlichkeitsstudie erweckt durch zurückhaltende Beobachtung einen Eindruck davon, wie sich in der Einsamkeit idyllische Schönheit und harsche Daseinsbedingungen verbinden. Ein Jahr wird zum Sinnbild eines ganzen Menschenlebens. Jeder Handgriff des Alltags aus Viehversorgung, Buttern und Käserei hat etwas von einem Abschiedsritual. Bezaubernde Bilder voller Trauer und leise Poesie verschmelzen zum enigmatischen Porträt einer Frau*, die am Ende ihres Daseins unbeirrbar ihrem Weg treu bleibt.

Screenings bei der Berlinale 2019

© Red Queen Productions

The Heat: A Kitchen (R)Evolution

Eine Küche ist kein Ort für eine Frau“, sagt eine der acht Spitzenköchinnen, die Maya Gallus vor ihren kompakten Einblick in die misogynen Mechanismen der High Cuisine vor die Kamera holt. Es ist eine höhnische Umkehr des Spruchs, eine Frau* gehörte in die Küche. Nicht in die eines Spitzenrestaurants, „wenn sie nur das leiseste Interesse an fairer Behandlung oder Gleichberechtigung hat“. Anmache, Übergriffe, physische Gewalt, sexuelle Belästigung sind keine Randerscheinung, sondern integraler Bestandteil der Küchenszene: Ein Boy’s Club voller Hazing-Rituale, der Celebrity Chefs für Showmanship, Style und Status feiert statt für handwerkliche Fähigkeiten. Letzte bringen eine Frau* bestenfalls an den Rand des männerdominierten Orbits.

Weniger als 20 Prozent der US-Chefköche sind Frauen*. Die machen dafür über 50 Prozent des Gastronomiepersonals aus – die andere Seite des Paradoxes, die Gallus in ihrer Doku Dish: Women, Waitressing & the Art of Service untersuchte. Korrespondierendes Gegenstück dazu ist ihre punktuelle Bestandsaufnahme gemixt mit emphatischen Exposés sowohl etablierter Branchenikonen wie Anne-Sophie Pic und Anita Lo als auch aufstrebender Newcomer wie Ivy Knight und Charlotte Langely. Ihre Berichte vom persönlichen Weg zum Erfolg sowie den Hindernissen als auch der eigenen Arbeitsethik als Vorgesetzte sind Motor der kurzweiligen Reportage, die nur leider zu optimistisch in die Zukunft und weg von der hässlichen Gegenwart schaut.

Screenings bei der Berlinale 2019

© HDPERU

Mothers of the Land

Im Permafrostboden Svalbard werden nie Kartoffelpflanzen wachsen. Doch hier lassen die Frauen* die Samen der uralten Pflanzensorten ihres Heimatlandes. Peru ist einer der Orte, die der Klimawandel am stärksten treffen wird. Die Bäuerinnen beobachten die Veränderungen seit Jahrzehnten und haben den Weg nach Spitzbergen unternommen, um im Global Seed Vault die kostbaren Samen zu schützen. Es sei, als ob eine Mutter ihr Kind zurückließe, sagt eine der Landwirtschafterinnen, deren Arbeit und Wissen der Kern von Alvaro und Diego Sarmientos dokumentarischer Hommage ist. Frauen* haben laut den Überlieferungen der Andenvölker zur Erde eine besondere Verbindung, die der mythische Rahmen der Handlung wird.

Trotz jenes spirituellen Hintergrundes werden die Protagonistinnen nicht in folkloristische Schablonen gepresst, sondern repräsentieren eine autarke Vereinigung überlieferten Naturverständnisses und moderner Fachkenntnis. Ihre Rückbesinnung auf traditionelle Anbau- und Ernährungsweisen geschieht vor dem düsteren Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Abkehr davon. Die wenigsten Kunden sind bereit, für biologische Kartoffeln und Quinoa mehr auszugeben, selbst wenn gespritztes Essen die eigene Gesundheit kostet. „Die Bereitschaft der Konsumenten sich um ihre Ernährung zu kümmern hängt direkt mit ihrer Brieftasche zusammen“, bemerkt eine der Bäuerinnen, deren täglicher Einsatz für eine bessere Zukunft letztlich vergebens ist. Die dokumentarische Würdigung ist zugleich melancholisches Epitaph einer im Untergang begriffenen Lebensweise.

Screenings bei der Berlinale 2019

© Myrto Papadopoulos

When Tomatoes Met Wagner

Klasse oder Masse? Wagner oder Volksmusik? Ständiges Diskussionsthema zwischen Christos und Alexandros, Cousins und Tomatenbauern in Elias, einem griechischen Ort mit 33 Einwohnern. Da fehlt keine Null, 33 Personen sind hier im Nirgendwo noch verblieben. Alle sind betagt und fast alle beschäftigt in dem Kollektivbetrieb, den die greisen Anwohnerinnen mit den zwei Cousins gegründet haben. Ihre Waren sind Honig und Tomatengerichte, eingekocht nach eigenen Rezepten. Die Zutaten sind biologisch und regional, jede Tomate handgepflückt und mit spürbarer Hingabe zubereitet. Das Qualitätsprodukt zu vermarkten ist jedoch eine Herausforderung, für die der Lebensabend der reifen Jungunternehmerinnen womöglich zu kurz ist.

Wagner macht Tomaten saftiger (meint Christos), griechische Volksmusik steigert den Ernteertrag (meint Alexandros). Das und die kuriose Kolumbus-Anekdote, die Christos potenziellen Großhandelskunden auftischt, sind nicht die entscheidenden Geschichten der musischen Früchte. Es sind die vielen kleinen Erlebnisse aus Vergangenheit und Gegenwart der alten Damen, die in der Gemeinschaftsarbeit ein wirksames Mittel gegen Vereinsamung und Lethargie gefunden haben. Marianna Economou beobachtet sie in ihrer unprätentiösen Dokumentation ohne falsche Sentimentalität oder Romantisieren. Ihr pointiertes Gruppenporträt verliert nie den Blick für die marktwirtschaftliche Realität jenseits des verschlafenen Ortes, der bald verschwunden sein wird. Und mit ihm die sprühend lebendige Tomatenküche.

 

Über die Gastlöwin:

Lida Bach schrieb und schreibt seit über zehn Jahren für diverse in- und ausländische Magazine und Medien über Film & Kino, Kunst, Kultur, Design und Advertising. Wenn parallel noch Zeit bleibt, arbeitet sie für NGOs, linksversiffte Öko-Projekte. Und eines Tages vielleicht auch mal eine eigene Publikation. Ihrem angeborenen Interesse für Politik, Film- und Gesellschaftskritik konnte die Schulzeit nichts anhaben.