Woman

Der Dokumentarfilm Woman fokussiert Themen, Probleme und Freuden, die Frauen aus verschiedenen Ländern und Lebensverhältnissen beschäftigen. Das ihm zu Grunde liegende Verständnis des Begriffs “Frau” definiert der Film nicht explizit; über die Auswahl der Gesprächspartnerinnen, die entweder soziale, körperliche oder Aspekte weiblicher Sexualität und sexueller Orientierung problematisieren, zeigt sich aber sein um Diversität bemühter Ansatz: cis und trans, hetereo, homo- und bi-sexuelle, abled-bodied und körperlich be_hinderte Personen kommen zu Wort.

© mindjazz pictures ___STEADY_PAYWALL___

Über mehrere Jahre sammelten Teams Interviews mit Frauen aus unterschiedlichen Ländern und Kontexten. Sie alle sprechen über Erlebnisse und Empfindungen, die sie ohne patriarchale und heteronormative Strukturen so nicht erfahren hätten. Das Regie-Duo Anastasia Mikova und Yann Arthus-Bertrand, das bereits hinter dem auf ähnliche Weise realisierten Human (Frankreich 2015) stand, rückt diesmal weibliche Stärke, aber auch Leid ins Zentrum. 2000 Lebensgeschichten, 50 Länder.

Der Großteil des Films besteht aus einer Aneinanderreihung von Close-Ups der interviewten Frauen. Ein neutraler, dunkler Studiohintergrund und der Verzicht auf Inserts mit Namen, Alter oder Herkunft vermeidet es, den Sprechenden Labels aufzudrücken. Die einzelnen Personen blicken nur kurz einmal in die Kamera, sprechen ein paar Worte oder erzählen eine kurze Geschichte. Durch Kleidungsstil, Sprache und Aussehen unterscheiden sich die Frauen untereinander, ihre Erfahrungen sind individuell, ihre Reflexionen über Aspekte des Frau-Seins legen aber genauso viele Gemeinsamkeiten frei. 

Die Montage des Films orientiert sich an einzelnen Themenkomplexen, die aufeinander folgen,  ineinander übergehen und jeweils von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden, indem Frauen verschiedener Altersklassen, sexueller Orientierung und Herkunft direkt in die Kamera sprechen. Stoff gibt es reichlich: die erste Periode, Beschneidung, Reflexionen über Erziehung, Bildung, Arbeit, die eigene Sexualität, die Erfahrung von Gewalt, Heirat, Mutterschaft, Verhütung, etc. Viele dieser Themen sind mit leidvollen Erfahrungen verbunden,  aber es bleibt auch Platz für Moment des Glücks.

© mindjazz pictures

Zwischen die Interviewsequenzen legen die Filmemacher:innen vorwiegend statische, weite Aufnahmen, Tableaus von Frauen in ihrer Lebensumgebung, mit der Familie, mit Partner:innen. Darunter liegt meist an Blockbustersoundtracks erinnernde orchestrale Musik, Piano, Streicher, Trommeln, a capella Stimmen. Die Emotionalisierung durch die Tonebene bewirkt zuweilen eine kitschige Stimmung, die zu erzeugen angesichts der berührenden Geschichten der Frauen gar nicht nötig wäre. Manch eine Interviewsequenz hätte alleinstehend, ohne diese stets unmittelbar folgenden Passagen, mehr Kraft. Weniger wäre hier wie so oft mehr gewesen.

Der Fotograf und Co-Regisseur Yann Arthus-Bertrand ist bekannt für seine spektakulären Luftaufnahmen –  sein visueller Zugang und die effektvolle Kombination mit Musik kam bereits in Human zum Einsatz. Für beide Projekte führte ein Team aus Journalist:innen, unter der Co-Leitung von Anastasia Mikova, an einer ausgearbeiteten Liste von Fragen orientiert, in vielen Ländern um den Globus verteilt Interviews. Kontakt zu den Personen stellten lokale NGOs her, die im Vorhinein potenzielle Gesprächspartnerinnen über das Projekt informierten.

© Dimitri Vershinin

Die Werbung des Films mit seiner umfassenden Anzahl an Interviews „2000 Frauen. 50 Länder. 1 Stimme“ lässt eine:n Zuschauer:in eher stutzig werden als zu beeindrucken: Kann eine Auswahl von 50 Ländern von insgesamt fast 200 existierenden Ländern repräsentativ sein? Sind 2000 Interviews für einen Dokumentarfilm sinnvoll? Würde es sich dabei um eine Studie handeln – mit der Frage danach, was Frauen weltweit bewegt bzw. Schwierigkeiten bereitet –  könnte die Erhebungszahl 2000 eine gewisse Relevanz der Arbeit nahelegen, für einen Dokumentarfilm lässt sie aber eher vermuten, dass dieser in einem oberflächlichen Zugang steckenbleibt – außer er hat eine Länge von 20 Stunden. Auch wenn die Auswahl der Länder viele verschiedene Regionen einschließt und der Film stets unterschiedliche Aussagen in Bezug zu einer Problematik zusammenfügt, tappt Woman tatsächlich gelegentlich in diese Falle.

Zu Beginn etwa steht einleitend und damit für das Folgende in gewisser Weise inhaltlich wegweisend eine Interviewaussage, die„Frau-Sein“ mit geschlechterstereotypen Eigenschaften wie Sensibilität und Zärtlichkeit beschreibt. An dieser Stelle fehlt ein eine kritische Stimme, die im Sinne der zeitgenössischen Geschlechterstudien einen alternativen Zugang zum Begriff “Frau” zulässt oder sagt: „Es liegt nicht an uns Frauen allein, Emotionen, Feingefühl zu zeigen und andere emotional stützen zu können. Auch Männer sollten das tun (dürfen).“ Solch eine Perspektive würde allen Geschlechtern zu Gute kommen, Frau-Mann nicht nur als binäre Opposition begreifen und fluidere Geschlechterdefinitionen ermöglichen. 

© Denis Lagrange

Eines weiteren Kritikpunkts bedarf der Titel. Denn wieso der Singular, wo doch schon die Grafik des Posters klar auf eine Stimmenvielfalt verweist? Es geht ja den Filmemacher:innen offensichtlich nicht darum, was „die Frau“ schlechthin ausmacht (was ohnehin eine recht zweifelhafte Ausgangsfrage wäre), sondern um eine Abbildung der vielfältigen Erfahrungen innerhalb einer heterogenen Gruppe. Der Titel aber forciert die Vorstellung von “der Frau” als ein durch spezifische (Charakter)Eigenschaften klar definiertes Geschlecht. 

In seinem Bestreben, Themen Aufmerksamkeit zu schenken, die an anderen Stellen oft zu kurz kommen – Verhütung, Gewalt an Frauen, Bildungspolitik etc. – ist Woman sehr positiv zu werten. Die große Fülle der erwähnten Aspekte von Frausein  erschwert zwar eine fundiertere Auseinandersetzung mit denselben, aber trotzdem oder gerade deshalb gelingt den Filmemacher:innen auf diese Weise eine Stimmen- und Perspektivvielfalt.

Wer sich ohnehin viel mit feministischen Anliegen auseinandersetzt, mag durch dieses Filmerlebnis nichts überraschend Neues erfahren, kann aber sehr wohl die Daumen hochstrecken – für die Aufmerksamkeit, die Mikova und Arthus-Bertrand mit ihrem Film auf geschlechterspezifische Probleme von Frauen lenken und für ihr daran anknüpfendes längerfristig angelegtes NGO-Projekt „Women on Media And News School“, das Frauen Ausbildungen in der Medienbranche ermöglicht. Denn, so viel macht Woman unmissverständlich deutlich: Es gibt noch viel zu tun.

Kinostart: voraussichtlich 4. Februar 2021

Bianca Jasmina Rauch
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