Saphirblau

Schon mit Rubinrot sprang das deutsche Kino auf den Zug der fantastischen Jugendliteratur auf. Das inzwischen international mehrfach erprobte Konzept eines tollpatschigen und wenig grazilen Mädchens* mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, das sich in einen überlegenen und ansehnlichen jungen Mann verliebt und nebenbei große Abenteuer besteht, ist schon mit der Verfilmung des erstens Teils der „Edelstein-Trilogie“ von Kerstin Giers erfolgreich aufgegangen und tut es nun wieder. Die Fortsetzung Saphirblau fokussiert sich deutlicher stärker auf den romantischen Plot als der vorgehende Film, so dass hier weniger von einem Abenteuer- als von einem Liebesfilm die Rede sein kann.

© Concorde

Gwen (Maria Ehrich) ist verwirrt – sowohl die Zeitreise-Loge als auch Gideon (Jannis Niewöhner) sind schwer zu durchblicken. Was führt die Geheimgesellschaft eigentlich im Schilde und ist Gideon wirklich zu trauen? Während Gwen in der Vergangenheit von ihrem Onkel und ihrer Cousine Lucy (Josefine Preuß) Hinweise auf eine große Verschwörung erhält, wird Gideon vom Anführer der Liga, dem Graf von St. Germain (Peter Simonischek), instrumentalisiert, Gwen den Kopf zu verdrehen. Denn, so die Logik der mächtigen Männer*, die größte Schwäche der Frau* ist die romantische Liebe. Wie schon im ersten Film, erzählt auch Saphirblau von männlicher* Herrschsucht. Die Loge ist ausschließlich mit Männern* besetzt, die in Gwen nicht nur einen unliebsamen, sondern letztlich auch leicht zu behebenden Störfaktor sehen. Immer wieder wird sie vom Grafen von St. Germain und seinem Gefolge gedemütigt, als dumm und unterqualifiziert bezeichnet und trotz ihres Zeitreisegens aus dem Kreis der Vertrauens ausgeschlossen. Doch Gwen ist alles andere dumm. Sie weiß genau, womit sie es zu tun hat. „Frauen* dürfen hier doch gar nicht denken“, entgegnet sie an einer Stelle ihren Widersachern. In Anbetracht der patriarchalen Ideologie der Loge ahnt sie bereits, dass die vom Grafen angestrebte neue Weltordnung keine gute sein kann.

Wie im wahren Leben steckt hinter der systematischen Diskriminierung und Unterdrückung der Frau* auch hier die Angst des Mannes*, von seinem Sockel der Macht gestoßen zu werden – auch dies vermag Saphirblau, kodiert in seine Abenteuer-Fantasy-Handlung, seinem jungen Publikum zu erzählen. Damit bleibt auch der zweite Teil eine Mär der Emanzipation, in der eine junge Frau* den Kampf gegen überalterte patriarchale Gesellschaft aufnimmt.

All dies ist freilich Subtext, wenn auch ein vergleichsweise offensichtlicher. An der Oberfläche aber ist Saphirblau wie schon sein Vorgänger ein gelungener Jugendfilm geworden, der sich zwar an der einen oder anderen Stelle bei amerikanischen Vorbildern noch eine Scheibe abschneiden könnte, im Großen und Ganzen aber zu überzeugen vermag. Mit dem Wasserspeier-Dämon Xemerius, gesprochen von Rufus Beck, zieht auch eine vollständig computeranimierte Figur in den Cast ein, die jedoch zu offensichtlich dem Selbstzweck einer Technikspielerei gilt und weder Charme noch Charakter entfalten kann. Das Highlight des Casts bleibt Katharina Thalbach als Großtante Maddy, erneut mit viel zu wenig Screentime, aber dafür umso mehr Unterhaltungsfaktor. Insgesamt überzeugen die jungen Schauspieler_innen – mit Ausnahme von Florian Bartholomäi, dessen Spiel merkwürdig hölzern wirkt –  deutlich mehr als ihre älteren Kolleg_innen, als wisse die nachwachsende Generation einfach besser, wie eins das Genre des Jugend-Fantasy-Films angemessen bedient. Wo manch ein erfahrene_r Schauspieler_in viel zu steif und nüchtern für dieses Genre daherkommt, legen Maria Ehrich und Jannis Niewöhner eine bemerkenswerte Energie an den Tag, stürzen sich mit Anlauf in ihre Rollen und treffen stets den richtigen Ton. Jannis Niewöhner füllt dabei die Rolle des charmanten, aber auch zwielichtigen Love-Interests perfekt aus und dürfte so manches Teenager-Herz höher schlagen lassen.

Im Vergleich zum Vorgänger ist Saphirblau ein deutlich poppigeres Werk, das historische Settings gerne mit zeitgenössischer Musik bricht. Insbesondere die Szene einer Soirée im Rokoko erscheint als ihre eigene Pop-Variante statt als glaubwürdige Reise in die Vergangenheit und die nicht nur epochal, sondern auch dramaturgisch völlig unpassende Performance des Songs Time Warp aus der Rocky Horror Picture Show verleitet zu Fremdscham statt Amüsement. Bei dem Versuch, besonders jugendlich und hip zu wirken, sind die Macher_innen dieses Films eindeutig am Ziel vorbeigeschossen.

Pluspunkte sammelt die Fortsetzung dafür in der Kategorie Drehbuch. Wirkte die Geschichte im ersten Teil noch seltsam verworren, funktioniert der Spannungsaufbau in Saphirblau problemlos. Die knappen zwei Stunden Laufzeit fliegen geradezu am Kinopublikum vorbei. Nur der letzte Akt ist erneut unausgegoren. Der Film endet viel zu plötzlich, mitten in der Geschichte, und lässt zu viele Fragen offen. Das ist Seriendramaturgie, die auf die nächste Folge gespannt machen soll, eignet sich jedoch für eine Filmreihe, bei der das Publikum mindestens ein Jahr auf die Fortsetzung warten muss, nur sehr bedingt.

Letztlich aber ist Saphirblau ein Beweis dafür, dass das deutsche Kino junge Stoffe unterhaltsam in Szene setzen kann. Kerstin Giers Vorlage hat zudem – auch in diesem stark romantisierten zweiten Teil – deutlich mehr Tiefe zu bieten als die Mutter aller Jugendfilm-Franchises Twilight. Dass die Verfilmung von Felix Fuchssteiner und Katharina Schöde sich dennoch nicht zu ernst nimmt, zeichnet sie aus. Saphirblau bemüht sich vielleicht ab und an zu sehr um um eine hippe Ausstrahlung als dass der Film sie tatsächlich erreichen könnte, ist aber schließlich locker genug, um ohne pädagogisch-moralische Keulen zu unterhalten.

Sophie Charlotte Rieger
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