Queeres Leben im postsowjetischen Raum – Zwei Kurzkritiken vom Hamburg International Queer Film Festival

Die ehemals Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg haben dieses Jahr den Schritt gewagt, sich umzubenennen: Ab jetzt verspricht das Hamburg International Queer Film Festival mehr Sichtbarkeit für queere Produktionen und Geschichten in der Hansestadt und ganz Deutschland. Vor dem Hintergrund eines diversen queeren Verständnisses, in dem nicht nur das ‘klassische’ lesbische und schwule Leben abgebildet werden soll, war dieser Schritt unvermeidlich und ist sehr zu begrüßen. Gerade diese queere Diversität ist natürlich schon seit jeher ein Merkmal des sorgfältig kuratierten Filmfestivals. Dem Festivalteam gelingt es damit Jahr für Jahr wieder, ein Bild von Lebensrealitäten zu zeichnen, das vielfältig, unterhaltsam und auch informativ ist.

In diesem Jahr stechen dabei vor allem zwei Filme aus dem vorder- bzw. zentralasiatischen Raum. Mit der kasachischen Produktion Welcome to the USA von Assel Aushakimova und dem in Deutschland produzierten, aber in Georgien angesiedelten Dokumentarfilm Instructions for Survival von Yana Ugrekhelidze werden queere Lebensrealitäten in zwei postsowjetischen Staaten thematisiert, in denen eine große Kluft zwischen Traditionalität und Moderne herrscht, die schwer zu überwinden ist für Menschen, die nicht den klassischen binären und hetereosexuellen Vorstellungen entsprechen. 

© Hamburg International Queer Film Festival // Assel Aushakimova

Welcome to the USA ist der erste lesbische Film aus Kasachstan. Regisseurin Assel Aushakimova erzählt hier nicht wirklich eine Geschichte rund um Aliya (Saltanat Nauruz), der Protagonistin, die zu Beginn des Films die Nachricht erhält, die Green Card-Lotterie gewonnen zu haben und somit in die USA immigrieren zu können. Stattdessen begleitet sie sie in ihrem Alltag, der ihr bewusst macht, dass ihre Entscheidung, ihr Heimatland zu verlassen, doch keine so einfache ist, wie sie sich das vorgestellt hat. Zwar sehnt sie sich nach einem Leben, in dem sie ihre Sexualität frei und ohne Sanktionierung ausleben kann und lehnt die repressive Politik und ultra-konservative Gesellschaft Kasachstans ab, doch kann sie sich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, die wichtigen Frauen in ihrem Leben zurückzulassen: ihre pflegebedürftige Mutter und ihre Schwester, die darunter leidet, dass sich ihr patriarchaler Ehemann eine Zweitfrau genommen hat.

In den durchweg ruhigen und unaufgeregten Szenen des Films, fokussiert der Film sehr deutlich die Diskrepanz zwischen einem modernen, westlich beeinflussten Alltag und den Durchsetzungen des religiös geprägten und patriarchalen Konservatismus, der in der kasachischen Gesellschaft vorherrscht. Fast schon anachronistisch wirkt die Selbstverständlichkeit der Mehrehe und die geheimgehaltene Homosexualität von Aliya. In seiner nüchternen Inszenierung, die stets fühlbar nah an der Protagonistin bleibt, behandelt der Film ihre Zerrissenheit mit größtem Respekt und zarten Nuancen. Für Aliyas Konflikt bietet der Film keine Lösungen an. Er verweigert sich vehement einer Positionierung für eine der beiden möglichen Perspektiven für die junge, lesbische Frau. Das mutet im ersten Moment nach einem Versäumnis an, doch Assel Aushakimova macht die Innenansicht von Aliya dabei so präsent, dass eins unmissverständlich klar wird: Es geht nicht darum die Homophobie der kasachischen Gesellschaft zu trivialisieren, sondern zu verdeutlichen, dass das Verhältnis von Glück und Verantwortung sehr komplex und von Außen nicht immer leicht zu durchschauen ist.

© Hamburg International Queer Film Festival // Fortis Fem Film

Eine vielschichtige Inneneinsicht innerhalb einer schwierigen Lebenslage bietet auch Instructions for Survival von Yana Ugrekhelidze. Der Dokumentarfilm porträtiert den im urbanen Georgien lebenden trans Mann Alexander. Auch er lebt ein geheimes Leben, stets darauf bedacht seine geschlechtliche Identität verborgen zu halten, denn Transsexualität wird in Georgien gesellschaftlich stark sanktioniert. Seine Transitionsmedikamente bezieht er aus dubiosen Quellen und er versucht, jede Situation zu vermeiden, in dem er seinen mit dem falschen Geschlecht ausgewiesenen Pass vorzeigen müsste. Um das Geld für eine Auswanderung zusammenzubekommen, beschließt seine Frau Mari, sich als Leihmutter anzubieten, doch wird die Lage für die beiden dadurch nur komplizierter. Beide beginnen damit, Gefühle für das ungeborene Kind zu entwickeln.

Wie Welcome to the USA thematisiert der Film die Überlagerung des Leids, das durch ein mindestens ablehnendes, in großen Teilen auch hasserfülltes Umfeld und den Dilemmata, in denen sich Alexander und Mari wiederfinden, wenn sie folgenschwere Entscheidungen treffen. Instructions for Survival besticht durch seine kompromisslose Intimität. Die beiden Liebenden legen vor der Kamera ohne Scham ihr Seelenleben offen; reden über ihre schwierige Vergangenheit, in der Alexanders Familie ihn ohne mit der Wimper zu zucken, verstoßen hat und ihre Hoffnungen für die Zukunft. Dass der Film produziert und veröffentlicht werden konnte, lässt hoffen, dass die beiden sich mittlerweile in einer Situation wiederfinden, in denen ihnen diese Öffentlichkeit nicht mehr zum Fallstrick wird. 

Beide Geschichten sind zwischen dem nachvollziehbaren Drang zur Flucht und den Kämpfen mit dem eigenen Gewissen angesiedelt. In den Gesellschaften Kasachstans und Georgiens, in denen der familiäre Zusammenhalt eine große Rolle im Sozialisationsprozess spielt, scheinen marginalisierte Identitäten zwangsweise mit emotionalen Prozessen verknüpft, die sich aus privilegierter Perspektive kaum nachfühlen lassen dürften. Umso wichtiger ist es, dass Filme wie die von Assel Aushakimova und Yana Ugrekhelidze den Schritt wagen und prosaisch davon berichten.

Die Filme sind noch bis zum 31.10. On Demand auf dem Hamburg International Queer Film Fest zu sehen.

Sophie Brakemeier