Mona Lisa and the Blood Moon

Nach zwölf Jahren geistesabwesender Gefangenschaft in der Psychiatrie erwacht Mona Lisa Lee (Jeon Jong-seo) aus ihrem Stupor und befreit sich dank übersinnlicher Kräfte in einem blutrünstigen Akt aus ihrer Zelle. Orientierungslos wandert sie in ihrer Zwangsjacke durch die Straßen New Orleans und trifft schließlich auf die Stripperin Bonnie (Kate Hudson), die in der dämonischen Kindfrau und deren hypnotischen Kräften eine Chance auf ein besseres Leben wittert. Und so erweist sich die vermeintliche Freundinnenschaft lediglich als eine andere Form der Gefangenschaft, aus der sich Mona Lisa Lee erneut befreien muss, um endlich ihren eigenen Weg zu gehen. 

Wie schon in ihrem ersten Spielfilm A Girl Walks Home Alone At Night erzählt Regisseurin Ana Lily Amirpour auch in Mona Lisa and the Blood Moon die Geschichte einer Außenseiterin, die ihren Platz in einer feindlichen Welt sucht. Statt einer Vampirin ist die Heldin nun eine junge Frau mit dämonischen Kräften, erneut also eine düstere und potenziell unheimliche Figur, die dennoch als Sympathieträgerin dient. Denn es sind gerade die Kategorien von Gut und Böse, die Amirpour in ihren Filmen infrage stellt. Mona Lisa bringt Menschen nicht aus Lust und Laune dazu, sich selbst zu verletzen, sondern manipuliert die Handlungen ihrer Gegenüber ausschließlich zur Verteidigung der eigenen Person oder aber ihrer Freiheit. Eine Ausnahme bildet die blutige Eingangsszene, die von großer Brutalität der Protagonistin zeugt, vermutlich eine Atmosphäre der Bedrohung schaffen soll, sich aber schließlich nur schwer in das Porträt der im Grunde gutmütigen Heldin einfügt.

Mona Lisa schaut durch die Scheibe eines Diners. Der Mann, der im Restaurant am Fenster sitzt, schaut sie an.

©Institution of Production, LLC

Der größte Unterschied zu A Girl Walks Home Alone At Night findet sich auf der ästhetischen Ebene. Wo jener Film in schwarz-weiß und betont langsam erzählt war, ist Mona Lisa and the Blood Moon dem Spielort im Rotlichtviertel New Orleans‘ entsprechend nicht nur temporeicher, sondern auch bunter, ja manchmal gar neonfarben geraten. Elektronische Beats begleiten die Abenteuer der Heldin, zu Metal Musik tanzt sie sich mit Bonnies Sohn Charlie (Evan Whitten) die Aggressionen aus dem Leib. Statt der melancholischen Ruhe in Amirpours Debutfilms, geht es hier lebendiger zu – mehr Handlung, mehr Dialog, mehr Action. Oder anders gesagt: Mona Lisa and the Blood Moon ist näher am filmischen Mainstream.

Und genau das ist auch das Irritierende. Insbesondere die Hauptfigur bedient das (rassistische) Stereotyp des gruseligen asiatisch gelesenen Mädchens. Auch wenn die Kameraarbeit mit ihren leicht verzerrten Bildern und schiefen Blickwinkeln insbesondere am Anfang des Films erheblich zum Gruselfaktor der Protagonistin beitragen, so funktioniert Mona Lisa Lee vor allem deshalb so gut als dämonische Figur, weil sie an japanische Horrormädchen wie in The Grudge oder The Ring erinnert – an sich schon eine rassistische Assoziation, da Hauptdarstellerin Jeon Jong-seo aus Südkorea stammt.

Mona Lisa mit grün gefärbten Haaren und geschlossenen Augen.

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Andererseits ist diese Assoziation, der Bezug zu einem Stereotyp „böser Frauen“ auch ein Schlüssel zur Meta-Ebene dieses Films. Denn was, wenn wir diese dämonischen Figuren als Menschen mit eigenen Gefühlen und Sehnsüchten betrachten würden? Verhält es sich hier nicht vielleicht genauso wie mit dem Klischee der Hexe, der Konstruktion einer bösen Frau, wo Kraft und Macht derselben dem Patriarchat Angst einjagen? Die Stärke von Mona Lisa and the Blood Moon besteht genau aus diesem Perspektivwechsel, aus der Dekonstruktion eines Klischees und der Frage: Warum genau machen uns diese Figuren Angst? Worin besteht der Horror einer jungen Frau, die andere Menschen mit Hilfe ihres Blicks manipulieren kann? Könnten wir sie nicht auch einfach sein lassen, wie sie ist? Warum darf sie nicht frei sein?

Der Perspektivwechsel weg vom „male gaze“ geschieht auch auf stilistischer Ebene, wenn Mona Lisa ihrer neuen Freundin Bonnie zum ersten Mal bei der Arbeit im Strip Club zuschaut und die Bilder des spärlich bekleideten Frauenkörpers in erotischen Posen keine verdinglichte Verfügbarkeit vermitteln, sondern mit ihrer Anmut Bewunderung auslösen. Bezeichnend auch das Portrait, das Bonnies Sohn Charlie von Mona Lisa anfertigt, eine Bleistiftzeichnung auf der sie plötzlich nicht mehr unheimlich, sondern freundlich erscheint.

Drogendealer Fuzz lachend in seinem Auto.

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Diese feministischen Aspekte des Films leiden bedauerlicherweise unter einigen wenigen inhaltlichen Fehlentscheidungen. So bedrängt der Drogendealer Fuzz die sexuell vollkommen unschuldige Mona Lisa zu Beginn des Films in seinem Auto und nötigt sie zu einem Kuss, nur um später als Retter in der Not zum absoluten Sympathieträger zu werden. Ohnehin ist die Kindlichkeit der Hauptfigur gefährlich nah an der „Born Sexy Yesterday“ Trope, also einer Frauenfigur, die in der Logik der Geschichte sexuelle Anziehung entfaltet, selbst aber so kindlich ist, dass sie über keine eigene Sexualität verfügt. Auch die Figur von Stripperin Bonnie, allen voran das Verhältnis zu ihrem Sohn Charlie, bedient sexistische beziehungsweise misogyne wie auch klassistische Klischees. Als Mutter wirkt sie lieblos, ihre Interessen sind vornehmlich finanzieller Natur und für den eigenen Vorteil akzeptiert sie ohne mit der Wimper zu zucken das Leid der anderen.

Stripperin Bonnie mit einem grob gewebten knappen Oberteil schaut skeptisch.

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Und doch können wir Bonnie ebenso wenig böse sein wie wir Mona Lisa als Dämon verurteilen. Beide sind Täterinnen und zugleich auch Opfer eines frauenfeindlichen Systems und seiner mannigfaltigen Formen von Gewalt und Ausbeutung. Dass Bonnie diese Gewalt und Ausbeutung fortschreibt, ist weniger Klischee als realitätsnahe Konsequenz. Im Grunde kämpfen beide Figuren um ihre Freiheit und es ist wohl die größte Tragik des Patriarchats, dass sich Frauen im Kampf um ein freies, selbstbestimmtes Leben gegenseitig Schaden zufügen.

So spannend sich die feministische Analyse von Mona Lisa and the Blood Moon auch gestaltet, so wenig kann er auf filmischer Ebene herausstechen. Story und Ästhetik entwickeln keine rechte Sogwirkung, die Handlung nur mäßig Spannung und der anfängliche Gruselfaktor ist nach dem ersten Akt vollständig verflogen. Es macht definitiv mehr Spaß über Mona Lisa and the Blood Moon zu diskutieren als ihn anzusehen. Aber auch das ist etwas wert!

Kinostart: 6. Oktober 2022

Sophie Charlotte Rieger
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