Interview: Lisa Azuelos – Ausgeflogen

Die Besonderheit von Mutter-Tochter-Beziehungen und das Erwachsenwerden thematisierte Lisa Azuelos bereits in ihrem Erfolgsfilm LOL, der 2008 im französischen Original mit Christa Théret als Lola und Sophie Marceau als Mutter und 2012 als Hollywood-Remake mit Miley Cyrus und Demi Moore in den Hauptrollen erschien.

Ihr neuer Film Ausgeflogen dreht sich um die alleinerziehende Héloïse (Sandrine Kiberlain), deren jüngste Tochter Jade (Thaïs Alessandrin) für ein Auslandssemester nach Kanada gehen möchte.  Nahezu manisch versucht Héloïse die verbleibende Zeit mit ihrer Handykamera aufzunehmen. Die Sorge der Mutter angesichts der Veränderung und ihre Angst vor dem Loslassen der Tochter setzt Lisa Azuelos zugleich berührend wie auch mit einer guten Portion Humor und (Selbst)Ironie um.

Filmlöwin Lea Gronenberg traf die Regisseurin in Berlin, um herauszufinden, wie viel von Lisa Azuelos selbst in Héloïse steckt. Außerdem sprach sie mit ihr darüber, warum weibliche* Regisseurinnen noch immer nicht den Platz in der Filmkultur bekommen, der ihnen zusteht.

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© Alamodefilm

Lea Gronenberg: Die weiblichen* Charaktere in Ihren Filmen wie LOL oder Ein Augenblick Liebe sind immer sehr präsent und unabhängig.

Lisa Azuelos: Weil ich selber eine sehr starke Frau bin. Also ich rede über mich, aber diese starken Frauen sind oft auch sehr verletzlich. Meine Charaktere sind stark autobiografisch geprägt.

Was ist der Hintergund zu Ausgeflogen? Gibt es bei diesem Film ebenfalls autobiografische Bezüge?

Es gibt gar keine große Geschichte hinter dem Film. Ich habe Boyhood von Richard Linklater gesehen und da ist mir klar geworden: Eines Tages wird meine Tochter das Haus verlassen. Da habe ich angefangen, sie zwei Jahre lang mit meinem iPhone zu filmen und erst nach diesen zwei Jahren habe ich gedacht: Das ist eigentlich auch ein sehr schönes Filmthema.

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Es ist eher ungewöhnlich, einen Coming of Age Film aus der Sicht der Mutter zu drehen.

Das Ziel des Films lag schon darin zu erzählen, was es für eine Mutter bedeutet, wenn das Kind das Haus verlässt. Die Geschichte ist aus ihrer Perspektive erzählt, aber der Blick der Tochter kommt auch nicht zu kurz.

Unser Anliegen als Filmlöwin ist es, mehr Sichtbarkeit für weibliche* Regisseurinnen zu schaffen, indem wir über ihre Filme berichten. Wie sehen Sie Ihre Rolle als inzwischen etablierte Regisseurin, gerade im Vergleich zu Männern* in der Branche?

Das Problem ist nicht, wie viele Frauen Kino machen, sondern das Problem liegt eher darin, welchen Platz Frauen überhaupt in der Kinokultur einnehmen. Man lässt Frauen Filme machen, das ist nicht das Problem. Aber man lässt Frauen keine großen Filme machen. Damit meine ich nicht teure, große Produktionen, sondern Filme, die im Gedächtnis bleiben. Wir haben in den ganzen Jahren des Filmfestivals von Cannes eine einzige weibliche goldene Palme gehabt und das war Jane Campion mit Das Piano. In diesem Jahr hat man sich zwar bemüht, mehr Filmemacherinnen beim Festival zu haben, zum Schluss hat aber keine einen Hauptpreis gewonnen. Der Platz für Regisseurinnen in Enzyklopädien, in Filmlexika ist einfach nicht gegeben.

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Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das ist keine Frage von Frau und Mann, sondern eher von weiblich und männlich. Wenn man so will, ist das Weibliche das Yin, das Männliche das Yang und da fällt mir einfach nur auf, dass weibliche Werte in der kapitalistischen Gesellschaft nichts gelten. Die kapitalistische Gesellschaft basiert auf der Macht von Männern und männlichen Werten. Weibliche Attribute wie Verletzlichkeit, Willkommenskultur, das sind Werte, die eher negativ gesehen werden. Dabei sind es die Männer, die in der Zukunft ein großes Problem haben werden.

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Wenn Sie sagen, es geht auch darum, Verletzlichkeit zu zeigen und diese weiblichen* Attribute zu stärken, von denen Sie sprechen, sehen Sie darin auch eine besondere Verantwortung als weibliche* Regisseurin?

Ja, sicherlich. Das Problem ist, dass sich das ganze System verändern muss. Das geht weit über das Kino und die Kunst hinaus, es hat mit der Politik und der Ökologie zu tun und dieses Verhältnis zwischen den Dominanten und den Dominierten, das muss man ändern. Aber es gibt immer noch diese große Angst vor dem, was ich als weibliche Werte bezeichnet habe, die letztendlich aber universelle Werte sind. Da haben Frauen eine große Verantwortung, dass die sich mehr durchsetzen.

Kinostart: 19. Juli 2019

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