Ein Augenblick Liebe
Sophie Marceau im Partygetümmel – fast glauben wir uns in La Boum – Die Fete, so jugendlich sieht die fast fünfzigjährige Schauspielerin auch heute noch aus. Doch die Rolle des unsicheren Teenagers hat Marceau längst abgelegt. In Ein Augenblick Liebe spielt sie die selbstbewusste Schriftstellerin und vierfache Mutter Elsa, die ihr Herz an den falschen Mann* verliert.
Nun ist „falsch“ hier ein trügerischer Begriff, scheint doch Pierre (Francois Cluzet) eine gute Partie zu sein: humorvoll, klug, attraktiv. Da gibt es nur ein kleines Problem: Pierre ist verheiratet und damit für Elsa tabu. Eigentlich. Nach einer heißen gemeinsamen Partynacht entscheiden sich die ach so erwachsenen Turteltauben, keine Telefonnummern auszutauschen. Statt großer Dramen, wollen sie sich diesen kleinen Augenblick Liebe behalten. Aber kann die Vernunft den Kampf gegen die großen Gefühle wirklich gewinnen?
Die berühmten Schmetterlinge im Bauch treten in jedem Alter auf. Gewöhnlich sehen wir ihre verheerenden Folgen in Filmen über Teenager oder junge Erwachsene. Und wenn Ü40er auf der Leinwand doch noch einmal ihr Herz verlieren und der Himmel voller Geigen hängt, dann wird dies gerne in eine überdrehte Komödie oder eine betont ernstzunehmende Inszenierung verpackt. Regisseurin Lisa Azuelos schlägt mit Ein Augenblick Liebe völlig andere Töne an und inszeniert die Liebesgeschichte zwischen Elsa und Pierre als wären die Protagonisten nicht Mitte 40 sondern Anfang 20. Auf der einen Seite ist dies nur konsequent, schließlich ist jede Verliebtheit auch eine Verjüngungskur. So schreibt Pierre seiner Elsa, dass er sich wieder wie 15 ½ fühle. Doch so ganz mag dieses junge Konzept nicht harmonisch mit der „reifen“ Liebesgeschichte verschmelzen. Die Liebenden sind eben nicht mehr 15 ½. Ihr Leben ist von der Sorge um die Kinder gekennzeichnet, von beruflichen Verpflichtungen und im Falle Pierres einer langjährigen Ehe. So locker leicht sich diese neue Liebe auch anfühlen mag, so schwer drücken die Verpflichtungen des alltäglichen Lebens. Das ist ohne Frage realistisch, doch wächst hierdurch der Kontrast zwischen Inhalt und Form.
Die Musik spielt eine große Rolle in Lisa Azuelos Inszenierung: Immer wieder fällt der Soundtrack von Ein Augenblick Liebe als besonders dynamisch und poppig auf, doch wenn Elsa und Pierre auf dem Weg zur Arbeit unabhängig voneinander denselben Song aus voller Kehle mitsingen, wirkt ihre beschwingte Sorglosigkeit weniger berührend als viel mehr gestelzt. Den Höhepunkt dieser erzwungenen Jugendlichkeit schließlich bildet der Song I’m Kissing you von Des’ree, der – einst im Soundtrack zu Baz Luhrmanns Romeo und Julia enthalten – die amourösen Fantasien einer ganzen Teenagergeneration untermalte. Aber eben nicht der Generation, die in Ein Augenblick Liebe ihren zweiten Frühling zelebriert.
Auch der Schnitt sprüht nur so vor jugendlicher Dynamik. Es besitzt durchaus Charme, wenn Elemente aus Pierres Alltag als Übergang zu einer Szene Elsas genutzt werden. Auf diese Weise wirken die heimlich Verliebten wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Auch das Sichtbarmachen ihrer Fantasien durch Kopfkino-Sequenzen, die sich von der Realität nicht sofort unterscheiden lassen, vermittelt eindrücklich das Gefühl der Verliebtheit. Die von Amor Getroffenen können sich nicht dagegen wehren, ihr Objekt der Begierde stets vor dem inneren Auge vor sich zu sehen und Lisa Azuelo findet wunderschöne Bilder für diese gefühlte Nähe.
Doch all der romantische Überschwang und die in der verspielten Inszenierung spürbare Aufregung passen letztlich doch nicht zu der sehr erwachsenen Liebesgeschichte. Insbesondere mit der Auflösung, die hier freilich nicht verraten werden soll, bezieht Lisa Azuelos eine Position, die sich nicht in das naive Konzept ihrer Bilder einfügen möchte. Vor diesem Hintergrund wirkt ihr Stil sehr gewollt und darin unfreiwillig komisch – wie Erwachsene, die mit allen Mitteln vergeblich versuchen für ihre jugendlichen Kinder cool zu wirken. Ein Augenblick Liebe ist inhaltlich eindeutig auf die 40Plus-Generation zugeschnitten (wer sonst könnte noch darüber lachen, dass Raider jetzt Twix heißt?), versucht sich aber durch seine visuelle Verkleidung um mindestens 20 Jahre zu verjüngen.
Schade, dass diese mutige Mischung nicht funktioniert. Eigentlich nämlich sind die Emotionen, die Elsa und Pierre durchleben universell. Lisa Azuelos versteht es, den Reiz einer unerfüllten und vor allem „unvollzogenen“ Liebe zu veranschaulichen. Die Identifikation mit ihren beiden Hauptfiguren fällt leicht: Nach der Frucht des Verbotenen hat sich wohl jede_r schon einmal gesehnt. Dass dieses Begehren so glaubwürdig erscheint, ist auch der Leinwandchemie zwischen Sophie Marceau und Francois Cluzet zu verdanken, neben der Lisa Azuelos, die als Pierres Ehefrau* Anne in diesem Film auch vor der Kamera steht, nur wie hübsches, wenn auch sympathisches Beiwerk wirken kann. Es ist einer der Stärken von Ein Augenblick Liebe, dass der Film zwar einen klaren Fokus auf das zentrale Liebespaar setzt, dabei aber nie den Respekt vor den übrigen Figuren verliert. Anne ist hier nicht die unliebsame hysterische Ehefrau*, sondern ein wertvoller und liebenswerter Mensch und gerade das macht Pierres inneren Konflikt sowohl glaubwürdig als auch interessant.
Berühren und verzaubern wird Ein Augenblick Liebe wohl in erster Linie diejenigen, die sich nach einer Verjüngungskur durch einen knisternden Flirt sehnen, diesen aber lieber auf der Leinwand miterleben als im wahren Leben selbst zu initiieren. Und natürlich all jene, die noch über Raider-Twix-Witze lachen können.
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