Interview: Anna de Paoli und Joya Thome über „Film macht Schule“

Produzentin Anna de Paoli gewann 2018 beim Filmfest München für den Film A Young Man With High Potential den mit 20.000 Euro dotierten Förderpreis Neues Deutsches Kino. Doch statt damit einen weiteren Film zu produzieren, rief sie das Projekt Film macht Schule ins Leben, das sie dann in diesem Jahr beim Filmfest gemeinsam mit Filmemacherin Joya Thome dem Publikum präsentierte. Was es damit auf sich hat, warum ihnen die Filmvermittlung an junge Menschen so am Herzen liegt und wie es nun mit dem Projekt weitergeht, erzählten mir die beiden in einem Interview.

© Claudia Hegner

Sophie: Anna, Du hast Film macht Schule initiiert. Wie kamst Du auf die Idee für Film macht Schule und darauf, dein Preisgeld vom Förderpreis Neues Deutsches Kino dafür zu verwenden?

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Anna: Im April 2018 hatte der Kongress zur Zukunft des deutschen Films in Frankfurt stattgefunden. Grundlage waren vier Thesen von Edgar Reitz aus dem Jahr 2016 und die vierte widmet sich der Filmvermittlung. Das fiel bei mir auf fruchtbaren Boden, da ich mich immer stark für den Nachwuchs engagiert habe und nun zudem selbst zwei Schulkinder habe. Somit hatte ich das Thema sehr präsent, als ich A Young Man With High Potential beim Filmfest München vorstellte. Der Preis war dann die Initialzündung. Ich dachte sofort: Das ist eine Gelegenheit, um Filmschaffende zu unterstützen, die durch ihr bisheriges Schaffen gezeigt haben, dass sie die Filmkultur oder -kunst aus meiner Perspektive bereichern oder voranbringen können. Die haben der nachwachsenden Generation von ihrer Leidenschaft fürs Filmemachen und für Filme generell total viel mitzugeben.

Es geht um die Begegnung

Hast Du vorgegeben, was genau die Filmemacher_innen weitergeben sollen?

Anna: Ich glaube sehr stark an den freiheitlichen Aspekt, damit es etwas Eigenes wird. Das erzeugt eine andere Identifikation und die Kinder und Jugendlichen spüren, ob man da nur Dienst nach Vorschrift tut. Deshalb war ich davon überzeugt, dass der Funke dann überspringt, wenn die Filmschaffenden selbst entscheiden, wie genau sie das machen.

Warum ist Filmvermittlung so wichtig? Gucken die Kinder nicht eh schon den ganzen Tag irgendwelche Sachen?

Anna: „Irgendwelche Sachen“ ist das Stichwort.

Joya: Klar, die konsumieren Medien, aber es geht ja bei dem Workshop auch nicht nur darum, dass sie explizit das Kino als Ort kennenlernen, sondern auch die Menschen, die dahinter stehen. Und darum, dass sie die Leidenschaft fürs Filmemachen mitbekommen. Es geht nicht nur darum zu sagen: Ihr müsst jetzt alle mehr ins Kino. Überhaupt nicht. Sondern um die Begegnung und darum, neue Berufsbilder kennenzulernen. Gerade für Kinder, die sonst vielleicht gar nicht mit Personen aus diesem Berufsfeld zu tun haben. Vielleicht gibt es da ein großes Interesse, aber wenn niemand das vorlebt, ist es ganz schwer zu sagen: „Ich mach jetzt was mit Film“.

© Alexander Janetzko

Anna, wie hast Du das Team für Film macht Schule zusammengestellt. Es waren ja hauptsächlich Frauen*.

Anna: Das fiel mit in diese Eingabe, die ich hatte, als ich den Preis in der Hand hielt. Ich hatte einfach sofort ganz viele tolle Leute im Kopf. Und siehe da: Es waren fast alles Frauen. Das ist einfach so passiert, weil sie tolle Künstlerinnen sind. Und zwei Männer sind ja auch dabei.

„Hauptsache es springt ein Funken über“

Joya, was war Deine persönliche Motivation bei dem Projekt mitzumachen und wie war Dein Workshop?

Joya: Meine persönliche Motivation war Annas Idee: Wir haben ein gewisses Budget, wir haben das Geld, die einzelnen Filmemacher und Filmemacherinnen dürfen damit quasi machen was sie wollen, Hauptsache es springt ein Funken über. Das fand ich genial. Und es war auch so eine Zeit zwischen zwei Projekten, in der ich ein bisschen Geld verdienen konnte. Anna sagte immer ganz klar: Es soll nicht so ein Ding werden, für das ihr wieder wochenlang unbezahlte Arbeit macht. Es soll nicht ausbeuterisch sein. Und unabhängig davon arbeite ich auch einfach unglaublich gerne mit Kindern. Das ist meine persönliche Leidenschaft. Nicht nur filmisch. Ich bin einfach interessiert am Leben junger Menschen. Und deshalb war das wie für mich gemacht.

Was hast Du Dir für Deinen Workshop überlegt?

Joya: Ich hatte keine Lust auf den Schulkontext, denn da ist der Rahmen oft nicht so frei. Und dann habe ich mich zurückerinnert, als ich 13 war und auf der Berlinale beim Kinderfilmfest. Da war ich in diesem Kino mit so tausend jungen Menschen. Es war eine riesige Leinwand und danach kamen noch die Darsteller und Darstellerinnen und man konnte Fragen stellen. Das war alles so aufregend und ein unglaublich prägendes Erlebnis. Das wollte ich gerne anderen Menschen ermöglichen.

Und welchen Menschen hast Du das ermöglicht?

Joya: Ich kannte nun mal viele junge Menschen mit Interesse am Filmemachen aus Brandenburg, wo ich für meinen Film Königin von Niendorf gecastet habe. Aus denen habe ich ein Grüppchen zusammengestellt. Wir sind mit dem Zug nach Berlin gefahren und haben einen tollen Tag bei der Berlinale verbracht. Wir waren auch am roten Teppich. Dann haben wir einen Film geschaut, den ich vorher ausgewählt hatte, und konnten danach eine Stunde lang mit der Regisseurin und dem Cast sprechen. Die Gruppe war einfach komplett geflasht durch diese Begegnung. Und das hat mich so gefreut. Das war für mich auch wirklich ein wahnsinnig schöner Tag.

„Eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung“

Geht es mit Film macht Schule weiter?

Anna: Das ist unser großes Ziel, deswegen sind wir auch unter anderem hier beim Filmfest München, um das zu präsentieren und Partner_innen zu gewinnen. Aus meiner Perspektive müsste das für diverse Leute ein großes Anliegen sein und eigentlich eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung. In junge Filmschaffende zu investieren, also Kontakt zu den Talents herzustellen, aber auch zum Publikum von morgen. Ich glaube, das ist auch als Firma zukunftsträchtig und förderlich für das Image.

© Liz Wesselman

Auch durch die Filmhochschulen könnte es Unterstützung geben. Das war ja auch eine Idee von Edgar Reitz, dass quasi alle im Zuge ihres Filmstudiums ein ganzes filmpädagogisches Jahr machen. Man muss nur aufpassen: Wenn man jemanden dazu verdonnert, wird es nicht funktionieren. Aber man könnte es als Angebot formulieren. Oder bei Festivals den Preisträger_innen 1000 Euro oben drauf geben, wenn sie noch einen Workshop anbieten. Ich glaube, es darf ruhig ein bisschen wild und chaotisch passieren. Das ist besser als wenn es super durchreglementiert ist und dann aber wieder so einen bürokratischen, formalen Charakter bekommt.

Joya: Es muss persönlich bleiben und die Begegnung soll im Zentrum stehen. Dadurch passieren einfach schöne Dinge. Aber wenn das alles wieder nur im Schulkontext ist, ist das wieder… Schule halt. Wir wollen die jungen Menschen aus ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler rausholen, so dass sie auf Augenhöhe mit einer Person aus der Filmwelt mal etwas ganz anderes machen können, Dinge erleben, sich austauschen.

„Natürlich ist es mir auch ein Anliegen, jungen Mädchen zu zeigen: Man kann übrigens auch Filme machen!“

Ich habe gesehen, dass an vielen Workshops mehrheitlich oder sogar nur Mädchen teilgenommen haben. War das Absicht?

Anna: Das hat sich so ergeben. Die Personen, die ich angesprochen habe, hatten bei der Gestaltung ihrer Workshops wie gesagt freie Hand. Es würde dem Prinzip widersprechen, wenn ich ein bestimmtes Setting vorgebe. Sie haben dann zum Teil feministische Themen im Fokus gehabt. Auf unserer Homepage steht, dass der unterrepräsentierte weibliche Blick im Rahmen des Projekts sehr stark eine Bühne bekommen hat. Das haben die Leute mitgebracht und ich habe es sehr begrüßt.

Joya, warum waren in Deinem Workshop nur Mädchen?

Joya: In Königin von Niendorf geht es ja auch darum, dass sich ein junges Mädchen behaupten muss. Das war also schon mal der erste Ausgangspunkt. Und dann ging es um die Altersgruppe, die damals beim Casting war. Die sind jetzt so 12-14 Jahre alt. In der Altersklasse habe ich die Erfahrung gemacht, dass die sich in einer Gruppe weniger trauen, weil sie ständig Angst haben, was Falsches zu sagen. Ich dachte, ich könnte es ein bisschen erleichtern, miteinander zu sprechen, wenn ich mich nur auf Mädchen konzentriere. Außerdem war der Film, den ich ausgesucht habe, von einer Regisseurin und zwei Produzentinnen und es ging um ein 14 jähriges Mädchen, das gerade in der Pubertät ist. Das ist vielleicht was, was man unter Mädchen ganz gut besprechen kann. Natürlich ist es mir auch ein Anliegen, jungen Mädchen zu zeigen: Man kann übrigens auch Filme machen! Das war mir in dem Fall wichtig. Aber generell sollte man dieses Wissen natürlich auch Jungs näher bringen.

Anna: Ich habe da schon eine Agenda, ich will sie nur nicht zu sehr mit diesem Projekt vermischen. Aber ich kann aus meiner Perspektive als Dozentin an der Filmhochschule erzählen. Am Anfang ist die Geschlechterverteilung im Klassenraum ungefähr repräsentativ für die Gesellschaft. Als ich angefangen habe, wurden die dann am ersten Tag mit nur männlichen Kollegen und mir als damals einziger leitender Dozentin konfrontiert. Ich glaube, das macht was mit den Studierenden, wenn das ihre ersten Kontakte sind. Und hinten raus kommen weniger Frauen in der Branche an. Das ist ein Zustand, den es auf jeden Fall zu beheben gilt und ich freue mich über jeden Schritt, der in diese Richtung passiert ist und alles, was noch folgt.

Sophie Charlotte Rieger
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