Der König der Löwen – Es lebe das Patriarchat!
Seid gewarnt: Im Folgenden muss ich Der König der Löwen leider entzaubern und das tut mir sogar ein bisschen leid. Aber nein, Simba ist kein niedliches Kätzchen und Der König der Löwen ist auch kein niedlicher Film, sondern patriarchale Propaganda vom Feinsten. Und wer die Eier(stöcke) hat, diese Wahrheit zu ertragen, di_er möge nun weiterleisen.
Vorab: Ich habe den ersten Disneyfilm nicht gesehen. Es geht im Folgenden also nicht um einen Vergleich, sondern lediglich um eine Analyse der aktuellen Verfilmung, die übrigens keine Aussage darüber trifft, ob es sich um eine technisch gelungene beziehungsweise unterhaltsame Inszenierung handelt.
Ein Patriarch, seine verwöhnte Brut und das Privileg des „Hakuna Matata“
Wenn wir den Plot von Der König der Löwen einmal ohne romantische Verklärung betrachten, bleibt im Grunde folgende Geschichte übrig:
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Der verwöhnte Sohn eines Patriarchen macht „tierisch“ einen auf dicke Hose, obwohl er in seinem Leben echt noch nix geleistet hat, außer sich ein ums andere mal selbst zu überschätzen. Aber er weiß ja ohnehin schon, dass er Papas Machtposition erben wird, komme was da wolle. Deswegen demonstriert er vorsichtshalber schon jetzt einmal seine Überlegenheit und aus jedem daraus resultierenden Schlamassel boxt ihn der Vater erfolgreich heraus – aus fast jedem Schlammassel, denn dann geht Papa Löwe leider bei einer dieser Rettungsaktionen drauf. Und auch wenn der Film das Gegenteil impliziert, ist daran tatsächlich das arrogante Kätzchen ein bisschen mit Schuld, das mal wieder – im wahrsten Sinne das Wortes – das Maul zu weit aufgerissen hat.
Zerfressen von einer – vermeintlich ungerechtfertigten – Schuld, trollt es sich von dannen und beginnt ein neues Leben im Paradies, ohne einen Gedanken an jene zu verschwenden, die es zurückgelassen hat. Nicht einmal die eigene Mutter und beste Freundin sind noch einen besorgten Gedanken wert. Die eigene Mutter! Denkt mal drüber nach!
Denn „Hakuna Matata“: Reg Dich doch nicht so künstlich auf und genieße einfach das Leben. Wie viele Privilegien in dieser Aussage stecken, bleibt in Der König der Löwen freilich vollkommen unerwähnt. Nur Wesen, denen das Privileg einer tatsächlich sorglosen, weil sicheren Existenz vergönnt ist, können mit diesem Motto durchs Leben gehen. Im Anspruch, ein_e jede_r sollte diesem Beispiel folgen, steckt eine gehörige Portion Ignoranz. Das ist in etwa so, wie wenn weiße Dudes von Feminist_innen fordern, sie sollten sich doch bitte mal locker machen.
Aber der inzwischen zum Mann* herangewachsene Sohn aus gutem Hause vollzieht erfreulicherweise einen Kurswechsel. Nicht aus sich selbst heraus natürlich, sondern durch das Engagement obig erwähnter bester Freundin. In der Gewissheit, beim Gelingen seiner Mission Papas Führungsposition doch noch zu übernehmen, kehrt der feige Abtrünnige in die Heimat zurück, stürzt den fiesen Diktator und wird dafür von seinen Untergebenen bejubelt. Dass er zwischendurch jahrelang fröhlich und sorglos durch den paradiesischen Dschungel getanzt ist, während sein Volk fast den Hungertod starb, interessiert an dieser Stelle niemanden mehr, denn er ist ja schließlich der einzig wahre König. Einfach weil… naja, weil er es halt ist.
Zur Belohnung für seine Mühen (welche waren das noch mal?), darf er eine schöne Frau* heiraten, die ihm dann eine neue privilegierte Brut beschert und damit ist nicht nur die heterosexuelle Ordnung, sondern auch das Patriarchat gesichert. Happy End.
Nala – die wahre (und einzige) Heldin dieser Geschichte
Wo Königssohn Simba bei genauerer Hinsicht eine zutiefst unsympathische Figur darstellt, erobert seine beste Freundin Nala alle Herzen. Nicht nur, dass sie alle (!) Zweikämpfe mit dem ach so heroischen Simba gewinnt, sie ist auch die einzige, die in diesem Film wahren Mut an den Tag legt. Sie flieht unter großer Lebensgefahr aus einer grausamen Diktatur, um ihr Volk zu retten. Damit ist sie die einzige in einer gewaltsam unterdrückten Gesellschaft, die einen revolutionären Akt vollzieht. Warum sie das tut, also heimlich über die Grenze flieht um ausgerechnet Simba aus dem Exil zu holen, bleibt in Anbetracht ihrer mehrfach demonstrierten physischen Überlegenheit ihm gegenüber vollkommen schleierhaft. Sie hätte dem Diktator Scar auch einfach selbst die Stirn bieten können! Der Ruhm gilt am Ende dennoch ausschließlich Simba. Nala bekommt im Finale nur einen einzigen kleinen Heldinnenmoment und darf sich dann in die ihr zustehende Rolle der Hausfrau* und Mutter zurückziehen.
Damit ist ihr allerdings schon weitaus mehr vergönnt als allen anderen Löwinnen dieser Geschichte. Mufasa thront als vollkommener Patriarch über seinem Löwinnenrudel, das wie ein Mutter-Harem lediglich für die Aufzucht des Nachwuchses zuständig ist. Das macht Simba und Nala übrigens zu Halbgeschwistern. Aber sei’s drum. Viel ärgerlicher ist, dass die Löwinnen hier ausschließlich als anonyme Mutti-Gruppe auftreten, die sich bei Scars Machtübernahme hilflos in ihr Schicksal ergibt. Passiver Widerstand ist die einzige Form politischen Engagements, zu dem die Königin im Stande ist. Das wiederum hat keinerlei Realitätsbezug. Doch dazu später mehr.
Wie spannend hätte diese Geschichte also sein können, wenn sie vom Narrativ des einsamen männlichen* Helden abgewichen wäre? Wie wäre es beispielsweise mit einer Version, die nicht Simba, sondern Nala folgt, ihrem Aufwachsen unter Scars Herrschaft, ihrer Entwicklung zu einer mutigen Revolutionärin, der es gelingt, die Unterdrückten zu mobilisieren, den Diktator zu stürzen und eine gleichberechtigte Gesellschaft zu etablieren, in der nicht mehr einer über alle bestimmt, sondern alle miteinander gleichberechtigt ihr Leben als Gemeinschaft gestalten?! Auch die Hyän_innen natürlich, deren Anführerin Nala schließlich ehelicht. Boah, hätte ich diesen gerne Film gesehen.
Birth Of A Nation in der Savanne
Spätestens jetzt werden einige Leser_innen vor sich hin schimpfen, dass es hier doch um Tiere ginge und sie deshalb nicht nach menschlichen Maßstäben gemessen werden sollten. Was natürlich totaler Schwachsinn ist, denn welche Tiere singen bitte „Hakuna Matata“ während sie durch den Wald laufen?! Insofern können wir die Tiere hier nur als Abbild der Menschen und ihre Gesellschaft nur als Abbild der unsrigen lesen. Und in diesem Kontext führt kein Weg dran vorbei, auch das Thema Rassismus zu adressieren.
Denn im Tierreich sind natürlich verschiedene Rassen vertreten, zum Beispiel Löw_innen und Hyän_innen, die ganz klar in gut und böse unterteilt sind. Wie so oft sind die Hyän_innen Aussätzige, die – durch und durch moralisch verkommen – am Rand der Gesellschaft leben. Warum das so ist? Dafür interessiert sich der Film nicht die Bohne. Es muss wohl in ihrer Natur liegen! Dass die Hyän_innen hier ganz klar aus der Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens ausgeschlossen werden, erinnert zum Einen an George Orwell („Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher!“) und stellt zum anderen eine rassistische Stereotypisierung da.
Das gilt natürlich auch für die Löw_innen, die allesamt edelmutig und moralisch integer sind – auch das natürlich eine rassistische Zuordnung. Mit Ausnahme von Scar, der glücklicherweise sofort an seinem von der Norm abweichenden Erscheinungsbild zu erkennen ist und für dessen Leidensweg sich der Film genauso wenig interessiert wie für die Geschichte der Hyän_innen.
Unterm Strich ist Der König der Löwen ein bisschen wie ein früher Western, in dem Cowboys mit weißen Hüten wahlweise gegen Cowboys mit schwarzen Hüten oder naturgegeben mordlustige „Indianer“ antreten. Oder wie ein Film, in dem Schwarze Personen nur die Rolle von Verbrecher_innen spielen dürfen. Also quasi Birth Of A Nation in der Savanne. Pädagogisch wertvoll durch und durch!
Der „Circle of Life“ ist eine Nahrungspyramide
„Die Welt ist so ungerecht. (…) Während die einen in Saus und Braus leben, führen die anderen ein Schattendasein und betteln um die Überreste“, spricht Bösewicht Scar. Und damit muss es sich hier um eine Lüge handeln, denn Bösewichte sagen niemals die Wahrheit. Das Problem: Er hat nicht nur Recht, sondern fasst in diesen Sätzen eines der Hauptprobleme von Der König der Löwen zusammen.
Denn wie der Titel des Films schon verrät, geht es hier mitnichten um eine Demokratie, sondern um eine Monarchie, um ein zutiefst hierarchisches und patriarchales System, an dessen Spitze einige wenige über sehr viele andere herrschen. Dabei ist der Pathos, mit dem der Film die männlichen* Machthabenden feiert, geradezu befremdlich, wissen wir doch inzwischen eigentlich, welche Auswirkungen die gottgleiche Verehrung politischer Führungspersonen in der Regel mit sich bringt. Befremdlich ist auch, dass sowohl Mufasa wie auch Simba von jenen Tieren gefeiert werden, die auf der Speisekarte der Löw_innen stehen. Das ist ein bisschen so, wie wenn Schwarze oder queere Personen Donald Trump wählen. Oder Frauen* die AfD.
Denn eines der größten Verbrechen des Films ist die völlige Unterschlagung der patriarchalen und kapitalistischen Nahrungskette: Die Großen fressen die Kleinen, die Mächtigen die Machtlosen. Der glorreich besungene „Circle of Life“ ist eine Nahrungspyramide, an deren Spitze der königliche Löwe steht. Aber dass Löw_innen andere Tiere töten und fressen, blendet der Film bis auf ein einziges Beispiel vollkommen aus: Scar, der Bösewicht, ist der einzige, der bei der Nahrungsaufnahme gezeigt wird. Als würden sich alle andere Löw_innen von Luft und Liebe ernähren. Der Vorwurf des unverhältnismäßigen Jagens steht in dieser Szene im Raum, doch es muss die Frage formuliert werden, in welchem Verhältnis das Töten anderer Lebewesen denn nun eigentlich legitim sei…
Verschärft wird diese Problematik durch Simbas Ausflug in den Dschungel, wo er lernt, dass Tiere sich untereinander nicht fressen dürfen. Insekten aber sind vollkommen in Ordnung. Der König der Löwen definiert hier sehr klar, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Die Insekten haben im Gegensatz zu den anderen Tieren keine Stimme, keine Persönlichkeit. Sie können einfach so und ohne schlechtes Gewissen konsumiert wären, als wären sie gar nicht lebendig. Auch die Unterteilung in lebenswertes und nicht lebenswertes Leben ist hier Teil der patriarchalen Ordnung: Die wenigen Starken entscheiden über den Wert des Lebens der vielen Schwachen. Was für eine Botschaft!
Am Ende der Geschichte gibt es keinen Diskurs über diese Grenzziehung, nicht einmal einen Dialog dazu, ob der Konsum von Insekten vielleicht in Simbas neuem Königreich als Gesetz etabliert werden sollte. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Tiere, die ihm und seinem Nachwuchs im Finale zujubeln, bereits auf seiner Speisekarte stehen. Dass für diese Verhältnisse der Begriff „Circle of Life“ geprägt wurde, ist eine propagandistische Meisterleistung!
Konservative Patriarchatspropaganda
Zusammenfassend ist folgendes festzuhalten: Der König der Löwen verkauft eine hierarchisches System, eine absolute Monarchie gar, als romantisches Ideal. Und nicht nur das: Er schreibt irreführender Weise auch eine patriarchale Logik fort, die selbst im Tierreich nichts zu suchen hat. Tatsächlich sind Löw_innen-Rudel nämlich Matriarchate, in denen – ähnlich wie im Matriarchat der Mosuo – die Männchen* kommen und gehen und nicht jene ultimative Führungsposition übernehmen, die Der König der Löwen propagiert.
Der Film propagiert auch, dass unterschiedliche Gruppen klar in „gut“ und „böse“ sowie in „lebenswert“ und „nicht lebenswert“ unterschieden werden können und dass diese Unterscheidung einer einzigen Person, nämlich dem Herrscher selbst, obliegt. Außerdem müssen sich die Untergebenen für das Leben der Herrschenden aufopfern. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich so ein Herrscher von seinen Untertanen ernährt. Derartige Führungspositionen ergeben sich übrigens allein aus der Herkunft, nicht aber aus Qualifikationen. Nicht zuletzt: Nur wer „Hakuna Matata“ aus Überzeugung singt, gehört zu den Coolen.
Das diplomatischste Fazit, zu dem ich mich durchringen kann, ist: Die Geschichte ist schlecht gealtert. Allerdings ergibt sich hieraus umgehend die Frage, weshalb wir sie dann unbedingt noch einmal genau so erzählen mussten. Warum kann es 2019 immer noch nicht Die Königin der Löw_innen geben? Die Glorifizierung von Patriarchat, Alleinherrschaft und biologistisch-rassistischen Ideologien ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wenn diese Geschichte es denn überhaupt jemals wert war, erzählt zu werden: Heute ist sie es definitiv nicht mehr!
Kinostart: 17. Juli 2019
- Berlinale 2025: Mutterschaft auf und jenseits der Leinwand - 27. Februar 2025
- Berlinale 2025: Heldin - 22. Februar 2025
- Berlinale 2025: La Tour de glace – Kurzkritik - 20. Februar 2025
Wow. Was für eine Kritik. Und das ist durchaus positiv gemeint! Wobei ich das Ganze allerdings nicht ganz so krass sehe wie Sie, liebe Filmlöwin. Der kleine Simba ist schon äußerst niedlich, aber – und in diesem Punkt muss ich Ihnen zustimmen – auf gewisse Weise verwöhnt und arrogant, ja. Das hat mich auch genervt, weshalb ich den erwachsenen Simba auch wesentlich sympathischer finde, weil er nachdenklicher und chilliger rüberkommt. Dass er flieht, nachdem ihm sein Onkel einredete, er sei schuld am Tod seines Vaters, kann ich allerdings nachvollziehen. Er schämte sich. Er konnte aufgrund seiner Schuldgefühle seiner Mutter und den anderen Löwinnen einfach nicht mehr unter die Augen treten. Und man darf auch nicht vergessen, dass er noch ein kleines Kind war, todtraurig und voller Angst. Auch dass er mit Timon und Pumbaa komplett sorgenfrei im Dschungel lebt, kann ich so nicht bestätigen. Allerdings kenne ich den alten Film, da ist es ganz gut dargestellt, dass er manchmal doch noch an seine Heimat und seinen Vater zurückdenkt. In der neuen Verfilmung kam das allerdings nicht so gut zur Geltung; da gebe ich Ihnen Recht, das hätte man durchaus noch mehr beleuchten können.
Was Nala’s Rolle angeht, denke ich genauso. Sie ist die eigentliche Heldin des Films. Dass ihre Rolle in der Neuverfilmung etwas größer ausfällt, ist für mich ein absoluter Pluspunkt. Ebenso die etwas erweiterte Rolle von Sarabi, die es in der alten Fassung so nicht gibt. Allerdings habe ich die Löwinnen nicht als Mutter-Harem gesehen. Irgendwo wurde auch erwähnt, dass sie am Schutz des Geweihten Landes aktiv teilhaben. Positiv möchte ich noch erwähnen, dass Mufasa nicht vom „Regieren“ des Geweihten Landes spricht, sondern vom „Beschützen“.
Was mich massiv an dem Film enttäuscht hat, und da gehe ich vollkommen mit Ihnen konform, dass die Hyänen hier wieder mal als Bösewichte fungieren müssen. Für jemanden, der sich mit diesen Tieren eingehend beschäftigt hat und für ein paar Wochen sogar mit ihnen in Kontakt gekommen ist (Volunteering in Südafrika) und von daher weiß, dass das Bild dieser Tiere im Film von der Realität nicht weiter entfernt sein könnte, ja, für den ist das schon echt bitter. Zumal die Hyänen bei den meisten Leuten wohl wieder den ganzen Hass auf sich ziehen werden (es gibt kaum ein Hyänenvideo auf youtube, in dem kein Kommentar mit „I hate hyenas“ und ähnlichem Inhalt darunter steht). Der Film wurde (teils dialoggenau) fast eins zu eins vom Original übernommen, aber es waren vor allem die kleinen Änderungen, die mir am besten gefallen haben. Auch ich hätte mir einen eigenständigen, etwas anderen Film gewünscht. Vor allem aber einen Film, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht so klar zu erkennen sind. Ein Film, in dem dann eben auch die Hyänen an einer friedlichen Gesellschaft teilhaben können. Oft wird so etwas heutzutage (zum Glück!) an Filmen kritisiert; wenn aber eine bestimmte Tierart, vor allem Hyänen, aber manchmal auch Wölfe und Schlangen, durch und durch nur als böse, feige Individuen gezeigt werden, dann hinterfragt das kaum einer. Ist halt so. Böse Tiere eben. Toll. Ich mag die Hyänen neben Timon und Pumbaa am liebsten, aber mit dieser Meinung werde ich wohl so ziemlich allein dastehen (war schon beim Trickfilm so).
Es gibt mittlerweile so viele neue Erkenntnisse über die Natur, da muss man nicht mehr davon sprechen, dass tote Antilopen zu Gras werden. Nein. Sie werden aufgefressen. Von den ach so gescholtenen Hyänen, Geiern und Schakalen, die damit eine äußerst wichtige Funktion im Ökosystem einnehmen. Mal davon abgesehen, dass Tüpfelhyänen auch sehr geschickte und intelligente Jäger sind, die den Großteil ihrer Beute selbst erlegen. Auch das hätte ich mir für die Neuverfilmung gewünscht; dass gewisse Dinge einfach mal kritisch hinterfragt werden. Denn, wie Sie es bereits so schön aufgeführt haben: Dieses monarchische System entspricht einfach nicht mehr dem Zeitgeist.
Dass die Neuverfilmung des Königs der Löwen (zumindest eine, die sich so stark an ihrer Vorlage orientiert) überflüssig war, ist wahrscheinlich eine zutreffende Aussage. Ich denke, dass der Animationsfilm seinen eigenen Charm, was sich nicht zuletzt an den deutlich dynamischeren Bildern im Ursprungsfilm äußert und sich natürlich auch darüber erstreckt, dass die Handlung des Films und seine Figuren nur wenig an heutige Standards (oder wenigstens wünschenswerte Ideale!) angepasst wurden. Ginge es also nach mir, dann wäre dieser Film nicht produziert worden, aber leider hat mich niemand gefragt … Viel bemerkenswerter finde ich allerdings den Rest Ihrer Kritik, die ich weniger als durchdachte, in sich stimmige Reflexion über den Film wahrgenommen habe, sondern als stellenweise sehr reaktionäres Nitpicking, das mit sehr unfairen und höchst flexiblen Prämissen an den Film herangeht.
Dabei haben Sie zumindest teilweise Recht: Ich habe bei der Lektüre Ihres Textes tatsächlich geschimpft, allerdings mehr darüber, dass Sie selbst nicht sicher zu sein scheinen, ob Sie den Film nun als Allegorie auf unsere Gesellschaft lesen wollen oder als stilisierten Pseudo-Klassenkampf im Tierreich. Deutlich wird das dann, wenn Sie an lediglich für Ihre Argumentation bequemen Stellen nämlich sehr wohl auf soziale Realitäten im Tierreich rekurieren, zum Beispiel indem Sie herausstellen, dass Löwenrudel in der Realität von Löwinnen angeführt werden. Das Gegenteil wird zum Beispiel in Ihrer Kritik am „Circle of Life“ manifest: So barbarisch das aus einer aufgeklärten Perspektive heraus auch sein muss, aber es ist nun einmal Fakt, dass in der Realität stärkere Tiere schwächere Tiere fressen (wenngleich nicht so, wie im Film dargestellt) und sie sich nicht zuvor mit den ethischen Konsequenzen ihres Handelns beschäftigen (wobei sogar dann jede*r Philosoph*in auf das ganz unmittelbare Intelligenz- und Empathie-Problem stoßen würde, dass Sie hier knallhart ignorieren). Der logische Schluss sollte hieraus sein, dass Der König der Löwen weder als lupenreine Allegorie noch als quasi-dokumentarisches Werk zu lesen ist, und zwar mit der unangenehmen Konsequenz, dass der Film sich auch nicht so einfach in bestimmte Weltbilder pressen lässt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich glaube beim besten Willen nicht, dass dieser Film in irgendeiner Form gesellschaftspolitisch bedeutsam ist, störe mich lediglich an Ihrer etwas unausgegoren wirkenden Rezension, die sich für mich wie gelunger Clickbait liest.
Die Einordnung, die Sie bei Simba vornehmen, finde ich zudem (wie Anneke auch) sehr problematisch. Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass Sie hier fehlende Kampfesstärke mit einer fehlenden Führungsqualität gleichgesetzt wird. Das wäre nur dann ein faires Argument, wenn man den Film eben doch als Stilisierung von Dynamiken in einem Löwenrudel (wo das ja sehr wohl der Fall ist) interpretieren würde, allerdings lehnen Sie diesen Ansatz ja grundsätzlich ab. Bleibt also die Interpretation, die Sie auch anlegen, nämlich den Film als Allegorie auf unsere Gesellschaft zu deuten und dann empfinde ich Ihre Aussage als ignorant bzw. sogar gefährlich, da die Implikation die ist, dass ein Mann auch körperlich stark zu sein hat. Im Jahr 2019 halte ich das für eine höchst antiquierte und außerdem konservative Vorstellung – Stichwort „toxic masculinity“. Annekes Einwand, dass Simba zudem ein Kind ist, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Sie können nicht erwarten, dass ein Kind (das zudem durch den Tod des Vaters traumatisiert ist) mit derselben Reflexionsfähigkeit an gesellschaftspolitische Themen und Verantwortung herangeht wie ein erwachsener Mensch mit einem gewissen Maß an Lebenserfahrung. Ähnlich gefährlich wie ihre Einstellung zu einem körperlich schwachen männlichen Helden finde ich übrigens Ihre Einstellung zu Nalas Rolle am Schluss des Films, da Sie Mutterschaft und Hausfrauenschaft scheinbar als Niederlage im Frausein betrachten. Ich bin Mutter und aktuell Hausfrau und betrachte mich selbst nicht als gescheiterte Existenz, die von ihrem Mann abhängig ist, weil ich mich selbst aus freien Stücken in diese Beziehung begeben habe – so wie übrigens Nala auch.
Wie dem auch sei: Vor dem Hintergrund der generellen intratextuellen Schwammigkeit des Films finde ich es dann auch befremdlich, über die politischen Implikationen des Settings zu philosophieren, zumal ich an dieser Stelle anmerken möchte, dass Systeme nahezu immer von Hierarchien geprägt sind und gerade das System der BRD häufig als Wahl-Monarchie bezeichnet wird. Die Tatsache, dass Sie beispielsweise Beiträge erst freischalten müssen, ist ebenfalls eine hierarchische Abstufung, die aber in diesem Fall gewünscht zu sein scheint (zumal die ganze Rezension durch den Titel des Blogs eine Meta-Ebene gewinnt, die ebenfalls sehr spannend ist!) und die ich auch für sehr sinnvoll halte.
Ich würde mich über eine Rückmeldung Ihrerseits sehr freuen.
Lieben Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Das Wichtigste zuerst: Kommentare werden bei uns aus zwei Gründen einzeln freigeschaltet. 1. Vermeiden wir so unangenehmen Spam. 2. Sind wir immer wieder mit Hasskommentaren konfrontiert, die sich durchaus auch mal gegen andere Kommentierende wenden können. Dieses Kommentar-Management kommt also auch unseren Leser_innen zu Gute. Das ist übrigens auch in unseren FAQ so nachzulesen.
Mein Ansatz bei einer solchen Filmbetrachtung ist der, Subtexte herauszuarbeiten, die der Film zwischen den Zeilen transportiert. Deshalb geht es hier weder um eine stringente, in sich stimmige Allegorie (das würde ja auch voraussetzen, dass die Filmschaffenden eine solche hätten konstruieren wollen) noch um eine Stilisierung des Löw_innenrudels, sondern um einzelne Aspekte, die mir in Hinblick auf diesen Film aufgefallen sind. Ich kann dementsprechend Ihre Kritik an meinem Text nur partiell nachvollziehen. Natürlich fressen im Tierreich die Stärkeren die Schwächeren und es wäre außerordentlich dumm, das zu kritisieren. Doch DER KÖNIG DER LÖWEN tut ja so, als würde er dazu eine Alternative etablieren, die sich eher mit unseren menschlichen Moralvorstellungen vereinen lässt. Darin aber schafft er eine neue Hierarchie und zementiert patriarchale Strukturen, innerhalb derer die Unterscheidung lebenswert/ nicht lebenswert nicht auf Grund gegebener biologischer Unterschiede, sondern quasi sozialdarwinistisch durch eine herrschende Klasse festgeschrieben wird. Wo Sie meinem Text entnehmen, dass ein „Mann“ für mich stark zu sein habe, kann ich leider überhaupt nicht nachvollziehen. Ebensowenig die Behauptung, ich hätte etwas gegen Mutterschaft einzuwenden. Vielmehr kritisiere ich eindimensionale Darstellungen von Geschlechterrollen auf beiden Seiten. Ich kann mich Ihnen da quasi nur anschließen: Ihr Kommentar enthält interessant Aspekte, scheint mir aber wenig durchdacht und vor allem wenig interessant am Verständnis des ursprünglichen Textes. Schade.
Haben mir den Artikel nicht vollkommen durchgelesen, da ich die Politisierung von Kinder- bzw. Familienfilmen grundsätzlich fragwürdig finde. Aber was Mufasa und sein Harem betrifft und den „Fakt“ das Simba und Nala dadurch ja Halbgeschwister sein müssten, habe ich eine kleine Anmerkung. Das ist leider grundlegend falsch, in König der Löwen gibt es unter den Löwen kein Harem und es werden monogame Beziehungen geführt, das ist keine Naturdoku, sondern immer noch ein Disney Film.
Nala ist die Tochter von Sarafina und in keinerlei Hinsicht mit Simba verwandt. Finde es komisch in Kinder- oder Familienfilme inzestuöse Dinge reinzuinterpretieren, nur damit sie dem eigenen politischen Narrativ entsprechen.
Mit solch einer Kritik machst du den Feminismus und uns Frauen nur lächerlich.
(und wenn du den Kommentar nicht freischaltest bzw. löschst, wie es oft bei Kritik passiert, umso mehr. Daher mal gescreenshoted)