Interview: Elizabeth Sankey über Witches
In ihrem autobiografischen Dokumentarfilm Witches setzt Elizabeth Sankey das Krankheitsbild der perinatalen Depression in Zusammenhang mit der Hexenverfolgung. Zur Illustration ihrer Thesen, aber auch der Lebensgeschichten ihrer Protagonist*innen, verwendet sie Ausschnitte aus einer Vielzahl an Kinofilmen und Serien und schafft so eine weitere Kontextualisieren des Themas, nämlich in Hexen- und Mutterbildern der Popkultur.
Viele der Erfahrungsberichte der Frauen dieses Films gingen mir unter die Haut, konnte ich doch durch meine eigene Geschichte zu vielen Emotionen und Gedanken eine Verbindung herstellen. Über einen Großteil des Films hinweg liefen mir die Tränen. Wie dazu schreiben? Bin ich nicht viel zu nah dran? Statt einer Filmkritik, die glücklicherweise meine Kollegin Theresa Rodewald übernommen hat, beschloss ich daher, den Dialog mit Elizabeth Sankey zu suchen.
„Mein Herz raste die ganze Zeit“
Sophie: Du hast vermutlich schon unzählige Male darüber gesprochen, wie dieser Film entstanden ist. Aber was mich am meisten interessiert: Wie kam die Verbindung zwischen Deiner persönlichen Situation, dem Thema perinataler Depressionen, und der Geschichte der Hexenverfolgung zustande?
Elizabeth: Das war ein schrittweiser Prozess. Ich habe alle Filme über Hexen gesehen, die ich finden konnte, und mit Historiker*innen, Ärzt*innen und Akademiker*innen gesprochen. Ich hatte diese Theorie, dass vielleicht einige der „freiwilligen Geständnisse“, von denen ich gelesen hatte, mit postpartalen psychischen Problemen zu tun haben könnten. Aber erst durch das Gespräch mit Marion Gibson hat sich dieser Verdacht wirklich erhärtet.
Dein Film ist zutiefst persönlich. Und dennoch hättest Du einen Film über dasselbe Thema auch machen können, ohne selbst darin aufzutreten. Wieso hast Du Dich dafür entschieden – also nicht nur als Voice Over, sondern leibhaftig vor der Kamera zu erscheinen?
Ich hatte das Gefühl, wenn all diese Menschen im Film so mutig und offen und ehrlich mit ihren Geschichten umgehen, müsste ich das ebenso machen. Außerdem hatte ich die Kontrolle über den gesamten Film, von Anfang bis Ende. Ich konnte also in einem für mich geschützten Rahmen über die düstersten Erinnerungen berichten und musste nicht die anderen darum bitten.
Mir ist aufgefallen, dass Du – während Du von den traurigsten, schrecklichsten Aspekten Deiner Geschichte erzählst – sehr gefasst wirkst. Ist das Deine Art und Weise mit Deinen Erfahrungen umzugehen oder hat das Kamerasetting für Dich eine Distanz zu Deiner Geschichte geschaffen?
Ehrlich gesagt, war ich sehr emotional als ich in die Kamera gesprochen habe. Mein Herz raste die ganze Zeit. Aber wie viele Frauen habe ich gelernt, ruhig und gefasst zu wirken, wenn das notwendig ist.
„düster und magisch und mystisch und weiblich“
Warum hast Du Dich bei den Interviews für ein inszeniertes, statt ein privates Setting entschieden?
Ich wollte, dass der Film sich anfühlt und aussieht wie ein Zauberbuch. Ich wollte, dass er wunderschön, kraftvoll und feminin ist, aber auf eine Art, die wir auf der Leinwand nicht wirklich sehen. Für mich ist das wie in meinen Gedanken – düster und magisch und mystisch und weiblich.
Du greifst auf eine unfassbare Menge von Archivmaterial aus Filmen und einigen TV Serien zurück und machst deutlich, dass diese Bilder unsere Idee davon prägen, was eine gute Mutter oder auch eine gute bzw. schlechte Hexe ist. Und auch dass das problematisch ist. Gleichzeitig reproduzierst Du diese Bilder in Deinem Film. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Ein großer Teil des Films – und tatsächlich auch meiner Krankheit – war das begrenzte und erdrückende Bild, das die Popkultur von Frauen zeichnet. Es ist im Grunde präskriptiv: Uns wird sehr deutlich gesagt, wie wir uns verhalten sollen oder auch nicht. Also wollte ich all diese Bilder und Figuren nehmen und deutlich machen, dass diese Frauen nicht unheimlich, sondern normal und real sind. Und vielleicht sogar Vorbilder. Zum Beispiel soll der Film The Craft (Der Hexenclub) uns vermitteln, dass Sarah die Heldin ist, eine gute Hexe. Aber ich wäre viel lieber Nancy – sie ist es, an die wir uns noch Jahrzehnte später erinnern, die hängen bleibt, die etwas über unsere Kraft, Magie und Düsternis als Frauen erzählt, das wir meiden sollen, aber vielleicht wert ist zu erforschen.
„Das Stigma ist erdrückend“
Wenn ich mich recht entsinne, gehören alle deine Protagonistinnen zum Mittelstand, die meisten haben einen Universitätsabschluss. Diese Auswahl wirkt damit dem Stereotyp entgegen, dass diese Krankheit vor allem Menschen mit weniger Zugang zu Bildung betrifft. Gleichzeitig haben Deine Protagonistinnen alle einen privilegierten Zugang zu Ressourcen. Hast Du erwägt, auch mit Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten zu sprechen?
Danke für diese Frage. Sie ist so wichtig und ich bin wirklich dankbar, dass ich sie hier beantworten kann. Als wir nach Menschen für den Film gesucht haben, haben wir Frauen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen gefragt. Aber Fakt ist, dass es sehr beängstigend ist, über diese Krankheit öffentlich zu sprechen. Das Stigma ist erdrückend. Man sieht das auch im Film an Dr. Trudi Seneviratne. Sie ist eine der führenden Spezialist*innen auf dem Gebiet in Großbritannien, die auf ihrer Mutter-Kind-Station so viele Leben gerettet hat, unermüdlich die Regierung um mehr Unterstützung gebeten hat und damit auch erfolgreich war, auch damit, das Thema öffentlich zu machen. Sogar sie hat vor diesem Film noch nie öffentlich von ihren eigenen Erfahrungen mit einer postpartalen Psychose gesprochen. Über dieses Thema offen zu sprechen ist wirklich unheimlich schwierig für Frauen in unserer Gesellschaft und hat zu oft tragische Folgen. Und das war auch das Ergebnis unserer Suche nach Protagonistinnen. Die Frauen, die am ehesten bereit waren, darüber zu sprechen, waren mittelständige, gebildete Frauen, die ihre Erfahrungen in ihre professionelle Arbeit einfließen lassen. Oder Frauen, die ich selbst von der Station oder aus Selbsthilfegruppen kannte und die mir vorbehaltlos ihre Geschichten anvertraut haben.
Du musst tausende Filme gesehen haben. Kannst Du unseren Leser*innen welche empfehlen, die empowernde Geschichten über Hexen bzw. Mütter erzählen?
Ich finde Die Hexen von Eastwick sehr ermächtigend. Auch The Love Witch, The Witch, und sogar ein Film wie Haxan (Hexen) hat einen sehr interessanten Weitblick beim Thema Mütter und Hexen, obwohl er 1922 entstanden ist.
Gibt es noch etwas, dass Du unserem feministischen Publikum mitteilen möchtest? Etwas, das ich nicht gefragt habe, aber Dir besonders wichtig ist?
Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus meiner Recherche für diesen Film mitnehme, ist, dass Frauen schon immer unter Scham, Schuld und Stigma gelitten haben. Das ist Teil der patriarchalen Struktur, in der wir leben. Dadurch kontrolliert sie uns, verdient Geld mit uns, nimmt uns unsere Kraft. Wenn ich etwas für die Frauenwelt tun könnte, dann diese Gefühle im Keim zu ersticken. All diese Scham und Schuld von den Frauen zu nehmen und sie zu ermutigen, ihr Leben genauso zu leben, wie es für sie gut ist, und alle widersprechenden Stimmen zu ignorieren.
Ich bin mir sicher, dass Du mit Deinem Film dazu beiträgst. Vielen Dank dafür!
Witches ist aktuell zu sehen bei MUBI.
- Irene von Alberti über Die geschützten Männer - 11. Dezember 2024
- Interview: Elizabeth Sankey über Witches - 25. November 2024
- FFHH 2024: Blindgänger - 2. Oktober 2024