IFFF 2016: No Home Movie – Chantal Akerman

Wie nähere ich mich einer Person wie Chantal Akerman, wie ihrem letzten Werk No Home Movie? Da ist so viel Ehrfurcht gemischt mit dieser diffusen Trauer, die uns überfällt, wenn ein uns persönlich unbekannter und doch so bedeutender Mensch auf so tragische Weise verstirbt. Ohne mich jemals intensiv mit Chantal Akerman beschäftigt zu haben – und ja, ich weiß, dass das eine Sünde ist – war sie doch fester Bestandteil meines ganz persönlichen Kanons weiblicher und feministischer Filmgeschichte. Also noch einmal: Wie nähere ich mich dem Werk von Chantal Akerman? Vielleicht wie Chantal Akerman selbst: mit respektvoller Direktheit.

© Paradise Films

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No Home Movie ist eine dokumentarisch-biographische Auseinandersetzung Akermans mit ihrer Mutter, ein direkter und ungeschönter Blick auf eine alternde Frau und ein zugleich liebevolles wie von steter Auseinandersetzung gekennzeichnetes Mutter-Tochter-Verhältnis. Da sind keine informativen Interviews, keine mit Musik unterlegten Montagen von Fotografien und alten Videobändern. Die Kamera, oftmals mit der größtmöglichen Distanz abgestellt, blickt teilnahmslos auf die Ereignisse – statische Einstellungen, in die sich Personen hinein und wieder hinausbewegen. Oftmals ist Akermans Mutter lediglich akustisch, durch ihr charakteristisches regelmäßiges Räuspern anwesend.

Dann wieder greift Chantal Akerman die Kamera und bewegt sich, scheinbar planlos und mit zum Teil rabiaten Schwenks durch die Wohnung zum Fenster. Dabei geht der Blick immer von innen hinaus, aus der Wohnung auf die Straße oder in den Garten, doch niemals zeigt die Regisseurin ihre Mutter außerhalb der eigenen vier Wände. Die hieraus resultierende Klaustrophobie bricht Akerman durch Aufnahmen einer stürmischen Wüstenei. Diese Zäsuren wirken als Neutralisierung, wie wenn wir zwischen zwei Parfümproben an Kaffeebohnen riechen oder zwischen zwei Gläsern unterschiedlichen Weins uns erst einmal ein Glas Wasser gönnen. Zugleich spüren wir einen Zusammenhang zwischen der stürmischen Wüste und Akermans Mutter, der mit Worten kaum zu fassen ist. Vielleicht am ehesten als Ort der Faszination und Bedrohung, der Endlichkeit in der Endlosigkeit.

© Paradise Films

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Akermans Zugang zur Biographie ihrer Mutter ist gerade heraus, direkt und doch respektvoll. Deren traumatische Vergangenheit, die Deportation nach Ausschwitz und den Tod der übrigen Familie, nutzt die Regisseurin hier nicht als dramatisches Motiv, als Mittel zum Zwecke der emotionalen Publikumsbewegung. Stattdessen ist der Versuch der Auseinandersetzung als solcher stark zu erkennen. Mutter und Tochter arbeiten sich auf nahezu komödiantisch-typische Weise aneinander ab, während die großen Fragen nach der Vergangenheit größtenteils nur unterschwellig anklingen. So direkt Akermans filmischer Zugang ist, so indirekt tangiert sie das Thema Holocaust. Manchmal, wie im Gespräch mit der Hausangestellten, ist die Beiläufigkeit des Themas gar erschreckend. Doch auch hier zeigt sich Akermans Zurückhaltung: Wann immer sie in den Dialog mit ihren Protagonistinnen tritt, überlässt sie ihnen die Regie über das Gespräch – seine Richtung und seine Tiefe.

Dieser zugleich direkte wie auch zurückgenommene Ansatz sagt auch viel über Akerman selbst. Es ist die Perspektive einer Frau, die Zugang zu einem transgenerational weitergegebenen Trauma sucht und es doch nicht greifen kann. Vielleicht liegen in ihrer Zurückhaltung neben Respekt und filmästhetischen Überlegungen auch Unsicherheit, Angst und Verdrängung. Vielleicht ist die (gedankliche) Flucht in die verlassene Wüste auch für ein Akerman ein notwendiges Durchatmen, eine Pause von der schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem familiären Trauma. Vor dem Hintergrund des tragischen Suizids Akermans im vergangen Jahr wirken insbesondere jene Passagen, die tristen Bilder von Einsamkeit und Verlorenheit, besonders bedrückend.

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Respektvolle Direktheit – so will ich mich dem Werk von Chantal Akerman nähern. Ihr Film bricht mit unseren Sehgewohnten, fordert heraus, provoziert durch Ereignislosigkeit, die uns zum Denken zwingt. Es braucht respektvolle Direktheit, den durch Akerman und ihren Film verkörperten Willen zur Auseinandersetzung, um in No Home Movie beobachten zu können, wie sich das durch die Mutter formulierte Trauma in der Filmästhetik der Tochter widerspiegelt: der Versuch etwas zu greifen, das sich nicht (be)greifen lässt; der bedrückend karge Möglichkeitsraum einer Wüste ohne Sonne; der Blick aus einem durch Trübsal gekennzeichneten häuslichen „Gefängnis“ hinaus in eine Welt, die nicht lockt, die nichts verspricht. No Home Movie ist ein Film des umfassenden Abschieds.

Sophie Charlotte Rieger
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