Ich bin dein Mensch
Endlich gibt es wieder eine deutsche Komödie, die auch tatsächlich eine solche Bezeichnung verdient. Ich bin dein Mensch von Maria Schrader ist zugleich lustig und melancholisch, anti-romantisch und romantisch. Der Film verhandelt zeitlose menschliche Grundbedürfnisse und Beziehungsfragen mit einem fragenden Blick auf ein zukünftiges Zusammenleben mit Künstlichen Intelligenzen. Kann ein:e perfekt auf die eigenen Wünsche und Vorlieben ausgerichtete:r Partner:in als Liebesglück auf Bestellung funktionieren – gleich einer Überspitzung der potenziell endlosen Suche nach dem optimalen Tinder-Match? Liegt der Schlüssel zum Glück im Gegenüber oder in uns Selbst?
Berlin, heute: Um die Atmosphäre eines belebten Abends in einer Retro-Bar zu erzeugen, schwingen Hologramme das Tanzbein und humanoide Roboter treffen zum ersten Mal auf ihre temporären Besitzer:innen. Hier findet der erste Flirt statt – einen solchen zu programmieren, ist keine leichte Sache, erfahren wir. Protagonistin Alma (Maren Eggert) hat sich mehr widerwillig und auf sanften Druck des Dekans (Falilou Seck) ihrer Forschungsinstitution auf die 3-wöchige Testphase mit einer Künstlichen Intelligenz als Lebenspartner eingelassen. Der physisch speziell auf sie programmierte Tom (Dan Stevens) mit dem britischen Akzent lässt auf den ersten Blick keine menschliche Authentizität missen, zeigt sich überfreundlich bemüht und bedingungslos schwärmerisch: „Deine Augen sind zwei Bergseen, in die ich versinken möchte“. Weder tatsächlich an einem Roboterpartner interessiert noch an Vollbädern in Kerzenlicht mit Rosenblättern und Champagner, möchte Alma die vereinbarte Testphase schnell überstehen und das Gutachten dazu abliefern – schließlich steht ihr Forschungsteam kurz vor einer Deadline.
Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Maria Schrader (mit Jan Schomburg) durchwebt eine wohlbekannte Erzählprämisse mit einem neuen Setting: Zwei Wesen, anfangs zumindest eine:r der beiden nicht am anderen interessiert, entwickeln im Laufe einer begrenzten Zeit doch eine Nähe zueinander. Basierend auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Emma Braslavsky wagte sich Schrader mit Ich bin dein Mensch dieses Mal an eine Liebeskomödie. Mit der Mini-Serie Unorthodox über eine junge Frau, die ihrer ultraorthodox-jüdischen Gemeinde entflieht und dem Spielfilm Vor der Morgenröte über die Exiljahre des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweigs bewies sie sich bereits in unterschiedlichen Settings, Formaten und Genres. In ihren Arbeiten spielt die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen, sei es auf direkter politischer, sozial-gemeinschaftlicher oder ethisch-technologischer Ebene, stets eine Rolle. Ihr geplantes Projekt She Said wird von den Reporterinnen Megan Twohey und Jodi Kantor handeln, die mit ihren Enthüllung von Harvey Weinsteins Missbrauch eine weitreichende Debatte ins Rollen brachten.
Ich bin dein Mensch unterhält nicht nur mit Situationskomik, sondern stellt über seine Protagonistin Alma auch ethische Fragen nach dem Umgang mit Künstlicher Intelligenz: Welche Rechtsansprüche sollen humanoiden Robotern in Zukunft gewährt werden? Sollen sie als rechtliche Partner:in gelten können? Auch wenn Alma von Anfang an eine klar ablehnende Position gegenüber Robotern als Lebenspartner:innen hat, sieht sie bald, dass diese anderen Menschen sehr wohl mehr Freude im Leben ermöglichen. Ihre Protagonistin zeichnet Schrader zwar auch als Alleingängerin, doch sehnt sich Alma nicht verzweifelt nach einem Mann – wie es am Anfang vieler romantischer Komödien der Fall ist. Alma verkörpert viel mehr das Bild der emanzipierten, passioniert aber selbstausbeuterisch arbeitenden Karrierefrau, die Liebesbelangen längst abgeklärt gegenübersteht. Ihr Inneres durchschaut Tom sofort, denn seine Programmierung operiert auch auf psychologischer Basis. Auch er selbst spricht offen über sein Innenleben, also über seinen Algorithmus, kommuniziert wird klar – eigentlich ein Partner aus dem Bilderbuch. Aber Alma möchte eben kein makelloses Bilderbuchleben und nicht die Romantik, die, wie Toms allumfassende Recherchekompetenz feststellt, 93 % der deutschen Frauen wollen.
Dan Stevens’ Darstellung des stets gut gelaunten Maschinenpartners, der seine Besitzerin immer wieder ein idealer Mann sein möchte, sorgt im Zusammenspiel mit Maren Eggerts leicht gerunzelter Stirn oder erstaunten Blicken – eine Art emanicpated female stares on cliché male gaze – für komische Momente, die einmal durch ihre Subtilität, das andere Mal durch ihre Absurdität gelingen. Die leicht ironische Überhöhung von Romantik in Kombination mit den Reflexionen der Protagonistin im letzten Teil des Films, sorgen dafür, dass die zwischenmenschliche Ebene dabei aber auch durch die Oberfläche dringt. Visuell erinnern die weichgezeichneten, gelbstichigen Bilder und die Wohnung Almas mit ihrer breiten Glasfassade sowie die Szenerie im Wald mit Hirschen besonders an Teile von Douglas Sirks Melodrama All That Heaven Allows. Bloß dass in Schraders Film, beinahe siebzig Jahre später, der Mann im Heim bleibt und der Emanzipation keine konservative Gesellschaft entgegensteht.
Auch wenn der technische Aspekt der Künstlichen Intelligenz eine zentrale Rolle in Ich bin dein Mensch spielt, wirkt die Erzählung doch auf eine Art zeitlos: Liebe, Freund:innenschaft, die Beziehung zu den eigenen Eltern sowie das prekäre Arbeitsfeld der Geisteswissenschaften bleiben in ihrem Kern gleich – schön und schmerzhaft. Das Bild der einsamen Wissenschaftlerin oder Karrierefrau zwischen Mitte Dreißig und Mitte Vierzig, die ihr Leben fast gänzlich der Forschung bzw. dem Beruf widmet, zeigt sich unter deutschsprachigen Regisseurinnen in den letzten Jahren als beliebtes Material. Toni Erdmann (Maren Ade 2016), Little Joe (Jessica Hausner 2019), Der Boden unter den Füßen (Marie Kreutzer 2019) und andere Filme zeichnen das Bild von weiblicher Emanzipation im Neoliberalismus als Einbahnstraße mit geringer Aussicht auf erfüllte Liebe. Eine pessimistische Haltung oder lediglich ein realistischer Fokus auf das sich selbstoptimierende Individuum des 21. Jahrhunderts?
In der für eine Romcom obligatorischen Sexszene invertiert Schrader das gewöhnliche Szenario, dass heterosexueller Sex mit dem männlichen Höhepunkt endet: denn hier markiert Almas Orgasmus das Finale. Die anschließend auffallende Absurdität der Frage Toms, beweist ein anderes Mal wie wenig ungewöhnlich ein solcher Satz aus dem Mund einer weiblichen Filmfigur klingen würde: „Wie fühlt sich das an, ein Orgasmus?“. Gerade in solchen Momenten packt das Drehbuch die Potenziale des Gedankenspiels der Konstellation Mensch-Maschine an seinen Vollen. Der Kniff um Sandra Hüllers Figur, die als Firmenbeauftragte für Alma als Testerin zur Verfügung steht, entbehrt ein wenig seiner Überraschung, ihre Rolle scheint eher darauf aus, noch ein paar kleine Partner:innenschafts-Gags einzubauen – Stichwort Therapie. Das gelingt nicht immer ganz. Im Gegensatz zu The Trouble with Being Born, in dem Sandra Wollner moralische Fragen in Beziehung Mensch-Künstliche Intelligenz auf unbequeme Weise verhandelt, zeigt sich Ich bin dein Mensch als Feed-Good Movie mit musikalisch melancholischer Note. Resümierend lässt sich sagen, dass sich der Kinobesuch für diese weibliche Pygmalion-Geschichte mit zwei aktiven, handlungsmächtigen Protagonist:innen – ja, auch humanoide Roboter können ihren Willen entwickeln ohne, dass sich die Erzählung eine weltzerstörende Dystopie verwandelt – mit Sicherheit lohnt.
Ich bin dein Mensch startet in Deutschland und der Schweiz am 1. Juli 2021 in den Kinos.
In Österreich ist der Film bereits seit dem 25. Juni zu sehen.
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