Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt – Interview mit Ilinca Manolache
Angelas (Ilinca Manolache) Wecker klingelt morgens um 5.30 Uhr. Sie arbeitet als Produktionsassistentin für eine Firma, die einen Werbespot zum Thema Arbeitssicherheit dreht. Vollkommen übermüdet fährt sie kreuz und quer durch Bukarest, von einem Termin zum nächsten. Pausen hat sie kaum. Ab und zu schlüpft Angela mithilfe eines Tick Tock Filters in den Charakter von Bobita. Ein frauenfeindlicher, vollkommen übertriebener Andrew Tate-Verehrer – für Angela eine absurde Befreiung.___STEADY_PAYWALL___
Vom Beifahrersitz ihres Autos aus sehen wir den Zynismus der Produktionsfirma, die unhaltbaren Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung. Angelas Alltag ist schwarz-weiß; dazwischen in Farbe eine Reise in die Vergangenheit. Eine Taxifahrerin, ihr Name ist ebenfalls Angela (Dorina Lazar) im Bukarest der frühen 1980er. 30 Jahre trennen die beiden Angelas, doch der Sexismus ist derselbe… Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt ist wütende Gesellschaftskritik, Farce und Tragödie zugleich – ein wilder Ritt durch Bukarest.
Im Interview mit Filmlöwin spricht Hauptdarstellerin Ilinca Manolache über das Recyceln toxischer Sprache, über die Figur von Bobita, die sie während der Pandemie erfand und über ihre Leidenschaft fürs Autofahren.
„Das Hauptproblem unserer Gesellschaft ist die unausgewogene Dynamik zwischen Männern und Frauen“
Nachdem ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte, habe ich mich gefühlt, als hätte ich mit einer Freundin gerade zwei Stunden lang Witze gemacht und mich über die Filmindustrie, den Sexismus und das Leben in Bukarest unterhalten. Was war dein erster Eindruck beim Lesen des Drehbuchs?
Das erste Mal bin ich mit dem Drehbuch in Berührung gekommen, als Radu Jude – der Regisseur und Autor – mir den endgültigen Entwurf zu lesen gab. Beim Lesen habe ich Seite um Seite diese Energie gespürt – ich hatte das Bedürfnis, laut zu schreien, weil mich das, was ich da las, so bestärkte. Der Film sagt sehr viel darüber aus, wie sich Frauenfeindlichkeit mit anderen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft überschneidet. Ich persönlich glaube, das Hauptproblem unserer Gesellschaft ist diese unausgewogene Dynamik zwischen Männern und Frauen, die der Film anspricht.
Außerdem fand ich es wunderbar, wie Radu die Figur von Bobita, die ich mir während der Pandemie ausgedacht hatte, aufgriff und ihr neuen Treibstoff, neue Themen für ihre Tiraden gab. Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, fühlte ich mich also ermutigt und wollte unbedingt diesen Film drehen, um diese brillant geschriebenen Monologe abzuliefern.
Gab es etwas an der Figur der Angela, das dich besonders angesprochen hat?
Angela ist gar nicht so viel anders als ich. Natürlich bin ich nicht Angela. Ich führe ein viel privilegierteres Leben als sie, weil ich mich ab und zu von dieser kapitalistischen Maschine abkoppeln kann, die uns dazu zwingt, immer mehr und mehr zu leisten. Also habe ich das, was Radu geschrieben hat, mit einer Mischung aus Angela und mir verkörpert.
Die erste Einstellung des Films zeigt uns Angelas Nachttisch und die Bücher darauf. Sie scheint sich für Literatur zu begeistern und ist sehr belesen. Dieses Interesse kommt in ihrem Alltag aber gar nicht vor. Es hat keinen Platz. Für mich hat sich das wie vergeudetes Potenzial angefühlt. Angela hat einfach keine Zeit, Widerstand zu leisten oder etwas zu ändern – sie ist zu müde. Das ist eine starke Kapitalismuskritik, finde ich.
Es hat auch etwas von vergeudeter Kraft, weil all ihre Stärken gar nicht berücksichtigt werden. Die Menschen, für die Angela arbeitet und die Gesellschaft, in der sie lebt, haben keinen Nutzen für ihren Humor, ihr Interesse an Literatur und ihr Bedürfnis, sich auszudrücken. Und trotzdem schafft Angela es, zu überleben – genau wie wir alle.
…sie macht weiter.
Genau. Und hier sind Angela und ich uns sehr ähnlich, denn wir haben dieselbe Art und Weise weiterzumachen. Angela befreit sich innerlich, indem sie all die toxischen Dynamiken, die ihr begegnen, recycelt. Genau das habe ich auch gemacht, als ich mir die Figur von Bobita ausgedacht habe. Mein Ziel war es, diese Art von toxischer Männlichkeit zu recyceln, um sie zu kritisieren, aber auch um mich selbst zu bestärken. Es ging mir darum, diesen Machtmechanismus zu zeigen und klarzumachen, dass wir dagegen ankämpfen müssen.
Bei Bobita ist mir besonders die Sprache aufgefallen – sie ist gewalttätig und schockierend, aber auch wieder so übertrieben, dass sie lustig ist.
Wenn ich diesen Filter, diese Maske trage, macht mir diese abscheuliche Art zu sprechen irgendwie Spaß. Sie wird dadurch auch lächerlich und übertrieben. Das ist etwas widersprüchlich, weil das, was ich als Bobita sage, natürlich fürchterlich ist. Aber es ist eben auch eine Kritik. Ich genieße diesen Kontrast. Bobita zu sein, gibt mir Energie, weil es mir hilft, mich von dieser toxischen Dynamik zu distanzieren.
„Die einflussreichen Stimmen haben Bobita einfach ignoriert“
Wie du gesagt hast, geht es bei dieser toxischen Dynamik um Dominanz. Es geht darum, Frauen zu unterdrücken und sie klein zu halten. Ermöglicht es dir die Figur von Bobita, dir diese Macht zurückzuholen?
Ganz genau. Ich fühle mich geschützt, wenn ich diesen lächerlichen Filter benutze, und ich finde es großartig, dass Bobitas Hasstiraden lächerlich sind, dass wir über sie lachen können.
Ich habe gelesen, dass du die Figur von Bobita auch als eine Antwort auf die konservative Theaterszene in Rumänien geschaffen hast. Wie haben deine Kolleg*innen am Theater reagiert? Waren sie schockiert?
Die staatlich finanzierten Theater in Rumänien sind in der Regel konservativ. Es gibt progressive Stimmen, aber die haben weniger Zugang zu den großen Bühnen. Ich bin Feministin und sage das auch laut und deutlich. Die großen Theater ignorieren mich deshalb einfach. So haben sie dann auch Bobita ignoriert. Das war natürlich verletzend. Gleichzeitig gab es eine kleine Gruppe von feministischen Künstler*innen, die die Figur von Bobita sehr schätzten. Daraus hat sich dann eine Serie von Videos entwickelt, in denen wir alle eigene Charaktere gespielt haben. Aber die einflussreichen Stimmen haben Bobita einfach ignoriert. Natürlich habe ich auch einige Rückmeldungen bekommen, die nicht so positiv waren. Meine Mutter zum Beispiel – sie spielt im Film auch Angelas Mutter – ist eine bekannte Theaterschauspielerin. Als ich ihr gezeigt habe, was ich mache, hat sie sich davon angegriffen gefühlt und war nicht sehr begeistert.
„Radu hat Bobita den Raum gegeben, andere Themen aufzugreifen“
Wie hat es sich angefühlt, Bobita, der deine Erfindung war und mit dem du einiges durchgemacht hast, an Radu Jude zu übergeben und ihn die Monologe für die Bobita schreiben zu lassen. War das seltsam?
Nein, es war nicht seltsam, weil ich Radu wirklich vertraue und ihn als Künstler respektiere. Es hat mir viel bedeutet, dass er Bobita als etwas Wertvolles gesehen und mir vertraut hat. Meine Version von Bobita beschäftigt sich hauptsächlich mit Frauenfeindlichkeit. Radu hat Bobita dann den Raum gegeben, auch andere Themen aufzugreifen. Mit dem Film hat Radu eine Plattform geschaffen für Bobita und für Angela. Ich habe den Eindruck, dass beide Figuren dadurch schon jetzt einen gewissen Kultstatus haben.
Apropos Kultstatus: Angela trägt ein ziemlich legendäres Outfit. Im Grunde ist es ein großes T-Shirt mit Pailletten, was ziemlich cool aussieht. Wer hatte die Idee mit dem Kostüm?
Radu hat das Outfit im Keller der Produktionsfirma gefunden. Dort gibt es ein Lager mit Kostümen, die in anderen Filmen verwendet oder gekauft und nicht verwendet wurden. Als Radu es mir gezeigt hat, war ich sofort begeistert. Ich finde es toll, dass das Shirt wie eine Discokugel aussieht. Angela ist dadurch eine schillernde Discokugel in einem schwarz-weißen Alltag. Sie ist laut… fast, als wäre das T-Shirt eine eigene Figur. Darüber hinaus ist es sehr bequem.. Ich durfte es nach dem Dreh behalten.
Trägst du es manchmal?
Noch habe ich es nicht getragen, aber vielleicht könnte ich irgendwann mal ein Statement machen und es anziehen.
„Ich bin im Film hundert Prozent selbst gefahren“
Im Film verbringen wir sehr viel Zeit im Auto mit Angela. Bist du beim Dreh selbst gefahren? In einem Film, in dem es um Arbeitssicherheit geht, käme mir das ein bisschen ironisch vor. Denn du musst ja den Text aufsagen und schauspielern – manchmal trinkt Angela einen Schluck Kaffee oder sucht während der Fahrt nach ihrem Handy. Das ist ganz schön viel auf einmal.
Ich bin im Film hundert Prozent selbst gefahren, aber ich habe mich dabei sehr sicher gefühlt. Erst einmal bin ich eine sehr erfahrene Fahrerin. Ich fahre gerne Auto und kenne die Straßen von Bukarest ziemlich gut. Dann habe ich das Auto ein paar Tage vor Drehbeginn bekommen, um mich daran zu gewöhnen. Außerdem sind Radu und ich vorher noch die Strecke abgefahren, auf der wir später gedreht haben. Natürlich war der Straßenverkehr während des Drehs nicht komplett vorhersehbar und wir mussten uns anpassen. Aber es gab rechts von uns und vor uns Autos, die uns ein bisschen geschützt haben. Ich musste mich dann nur noch daran gewöhnen, dass ich auf der rechten Seite keine Sicht hatte, weil dort DOP Marius Panduru mit seiner Kamera saß.
Die härteste Arbeit war tatsächlich, den Text absolut perfekt zu lernen. Weil das Drehbuch so unglaublich gut geschrieben war, wollte ich den Dialog genau wiedergeben. Ich habe dann den Text so gut gelernt, dass ich überhaupt nicht mehr darüber nachdenken musste – das war ein sehr hilfreicher Ratschlag von meiner Mutter.
Das ist beeindruckend, denn es fühlt sich wirklich an, als wären die Dialoge im Film improvisiert.
Wir haben nur die Szene mit Regisseur Uwe Boll improvisiert. Grund dafür war, dass Radu Uwe Boll vorher nicht kannte. Wir haben uns also an dem Tag zusammengesetzt und die Szene durchgesprochen. Uwe Boll hat genau verstanden, was Radu wollte. Er kann sehr gut improvisieren, muss ich sagen.
Ich wäre wahrscheinlich sehr nervös gewesen. Uwe Boll hat ja den Ruf, relativ unberechenbar zu sein.
Er war wirklich großartig. Ich habe Radu sagen hören, dass er Uwe Boll respektiert, weil er als Regisseur macht, was er will – obwohl er so viele schlechte Kritiken bekommt. Ich glaube, Radu hat Recht, das ist beeindruckend. Ich hätte wahrscheinlich schon längst aufgegeben.
Zum Schluss würde ich gern noch mal auf den Film im Film zurückkommen. Angela merge mai departe heißt auf Englisch Angela Goes On und ist von 1981. Die Angela in diesem Film ist Taxifahrerin und wird von Dorina Lazar gespielt. Kanntest du den Film vorher?
Nein, ich habe Angela Goes On erst durch das Drehbuch entdeckt, liebe ihn jetzt aber sehr. Er gehört nicht zu den legendären kommunistischen Filmen und ist deshalb in Rumänien nicht so bekannt. Überrascht hat mich, wie feministisch der Film ist. Mir gefällt, wie Angela porträtiert wird. Sie arbeitet als Taxifahrerin, also in einem traditionell männlichen Beruf und die Frauenfeindlichkeit, die ihr entgegenschlägt, ist sehr deutlich. Trotzdem ist der Sexismus in dem Film weniger aggressiv als heute. Spannend finde ich außerdem, wie sehr das System, in dem sie lebt, die kommunistische Diktatur unter Ceaușescu, spürbar ist. Das regt zum Nachdenken an über Freiheit und Machtausübung heutzutage – ein wirklich beeindruckender Film.
Was steht bei dir und bei Bobita als nächstes an?
Was Bobita angeht, ist es einfach: Er hat sich inzwischen einen Namen gemacht und wird weiterhin so viele Reels wie möglich machen. Mir macht es Spaß, in diese Rolle zu schlüpfen. Bobitas Karriere geht also weiter. Was mich betrifft, so würde ich gerne mehr Filme drehen. Die Ausdrucksweise des Kinos liegt mir momentan näher als die des Theaters. Radu und ich planen auch, unsere Zusammenarbeit fortzusetzen. Außerdem habe ich in letzter Zeit an ein paar Kurzfilmen von Studierenden mitgewirkt, was mir sehr gut gefallen hat. Ich genieße es, mit der jüngeren Generation in Kontakt zu sein und habe bei den Dreharbeiten einige wirklich mutige junge Regisseur*innen kennengelernt. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.
Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt streamt seit dem 3. Mai auf Mubi.
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