Drei Gedanken zu Furiosa: A Mad Max Saga
Achtung: Dieser Text enthält Spoiler!
Neun Jahre nachdem Mad Max: Fury Road Men’s Rights Aktivisten in Aufregung versetzte und überraschend bei den Oscars abräumte, kommt nun mit Furiosa: A Mad Max Saga die Vorgeschichte von Imperator Furiosa (damals gespielt von Charlize Theron, nun von Anya Taylor-Joy) in die Kinos.___STEADY_PAYWALL___
In dem Prequel erzählt Regisseur George Miller in fünf Kapiteln und über eine Zeitspanne von 15 Jahren, wie Furiosa als 11-Jährige (Alyla Browne) verschleppt und von Warlord Dementus (Chris Hemsworth) gefangen genommen wird. Während Dementus mit dem wesentlich einflussreicheren Warlord Immortan Joe (Lachy Hulme) um die Vorherrschaft über die Einöde ringt, denkt Furiosa an Rache und die Rückkehr nach Hause.
Damals ein halber Mad Max, heute eine halbe Furiosa
In Mad Max: Fury Road ist Furiosa Dreh- und Angelpunkt der Handlung, sie ist der narrative Motor des Films und dem Titelhelden Mad Max (Tom Hardy) vollkommen gleichgestellt. Deshalb auch die erbosten Men’s Rights Aktivisten: Mad Max als Beifahrer, als Sidekick? Skandal! Was die Darstellung von Flinta im Actionfilm betrifft, war Fury Road deshalb bahnbrechend. Knappe zehn Jahre später gehören Furiosa-Nachfolgerinnen wie Wonder Woman und Captain Marvel der Vergangenheit an, wurde das Recht auf Abtreibung in den USA stark eingeschränkt, ist die Klimakrise global spürbarer denn je und droht demokratischen Gesellschaften überall auf der Welt die Spaltung. Das post-apokalyptische Australien von Mad Max wird immer mehr zu einer albtraumhaften Zukunftsvision. In dieser Situation ist Furiosa: A Mad Max Saga weder ein Schritt zurück noch nach vorne – es ist vor allem ein Schritt zur Seite.
Furiosa bleibt seinem feministischen Erbe treu, steckt dafür aber auch in erzählerischen Konventionen fest und setzt während seiner zweieinhalb Stunden Laufzeit immer wieder Schwerpunkte, die von Furiosas Geschichte und ihrem Charakter ablenken. Wenn Fury Road nur ein halber Mad Max Film ist, ist Furiosa: A Mad Max Saga nur ein halber Furiosa Film.
Während die Handlung von Fury Road im Grunde aus einer langen Autoverfolgungsjagd erst in die eine und dann in die andere Richtung besteht, ist Furiosa wesentlich (und unnötig) komplizierter. Große Teile des Films beschäftigen sich mit dem Machtkampf zwischen Dementus und Immortan Joe. Furiosa tritt in dieser Geopolitik der Einöde in den Hintergrund. Als Kind ist sie erst die Gefangene von Dementus und wird dann im Zuge einer Waffenstillstandsverhandlung an Immortan Joe verschachert. Der will sie in seinem Harem als Lieferantin für gesundes Erbgut halten – ein Käfig, von dem das Gold abblättert und der gespickt ist mit sexueller Gewalt. Furiosa befreit sich, verkleidet sich als Junge und arbeitet fortan bei den Mechaniker*innen. Über die Hälfte des Films verbringt sie mit Warten. Warten auf ihre Chance, Rache zu nehmen an Dementus.
Furiosa wartet und schweigt. Der qualvolle Tod ihrer Mutter, den sie hilflos mit ansehen musste, verschlägt ihr lange Zeit die Sprache. Später spricht sie – allerdings nur dann, wenn es absolut notwendig ist. Im Gegensatz dazu schwingen die machtbesessenen Männer um sie herum nur zu gerne Reden. Dementus hält Monologe, als wäre er in einem Shakespeare-Stück. Immortan Joe weiß um die Macht der Sprache, auch wenn er gern andere – wie den People Eater (John Howard) – für sich sprechen lässt.
Regisseur George Miller betont in Interviews, es gehe ihm in den Mad Max Filmen darum, rein visuell anhand der Bildsprache des Kinos zu erzählen – ganz wie im Stummfilm. Auch die zentrale Botschaft von Furiosa: A Mad Max Saga entfaltet sich in Bildern und in Furiosas wortlosen Taten. Denn – und das macht sie zur Heldin – Furiosa bewahrt sich ihr Mitgefühl, ihre Menschlichkeit, ihre Solidarität mit anderen Unterdrückten.
Und trotzdem – dieser stille Widerstand ist leicht zu übersehen. Er droht, im Getöse von Motoren, selbstverherrlichenden Reden und apokalyptischen Sandstürmen unterzugehen. Die Reden des Dementus bleiben hängen – nicht zuletzt, weil Chris Hemsworth sie mit so viel Elan vorträgt. Anya Taylor-Joy hingegen bleiben nur ihre Augen. Auch in Fury Road war Furiosa wortkarg. Der Schwerpunkt des Films allerdings lag vornehmlich auf den Actionszenen und darauf, wie die Figuren handelten. Die Schere zwischen Bildsprache und Dialog war deshalb weniger groß als in Furiosa und die Aussage des Films kam deutlicher zum Ausdruck.
Die Liebe ist’s allein
Trotzdem bleibt Furiosa auch in dem Prequel das Zentrum der Handlung, kompetente Actionheldin und Symbol feministischer Solidarität. Nur ein Handlungsstrang enttäuscht komplett: die vollkommen unnötige Liebesgeschichte zwischen Furiosa und Praetorian Jack (Tom Burke). Praetorian Jack fährt einen mit Fresken verzierten War Rig (aka ein großer Lkw). Bei der ersten Fahrt dieses War Rings läuft alles schief, was schieflaufen kann – Jacks Crew segnet das Zeitliche und er und Furiosa werden ein Team. Die beiden arbeiten gut zusammen. Er weiß, dass sie ein Geheimnis und Albträume hat. Wir wissen, dass er seinen Job hervorragend ausführt und ein guter Kerl ist – mehr nicht. Er ist ein Mann, sie ist eine Frau, der Film hat fünf Minuten übrig und deshalb verlieben sich die beiden. Das Ganze schmeckt nach narrativer Konvention.
Theoretisch ist klar, der Film möchte zeigen, dass Furiosa und Jack sich die Fähigkeit zu lieben und die emotionale Verletzlichkeit, die mit Liebe einhergeht, bewahrt haben. Spürbar oder nachvollziehbar ist ihre Liebe jedoch nicht. Zu wenig Zeit verbringen wir mit ihnen; zu zurückgenommen (oder: desinteressiert) erzählt der Film von ihrer Liebe.
Sobald Jack in Erscheinung tritt, ist außerdem klar: Er wird sterben. Einziger, wenn auch zynischer Lichtblick ist, dass der Film hier eine klassisch sexistische Erzählweise umdreht, nämlich dass die Geliebte stirbt, um dem Helden einen extra Motivationsschub zu verpassen (auch Fridging genannt).
Pluspunkt der Romanze ist ihre radikale Gleichberechtigung. Die Beziehung von Furiosa und Jack beruht auf gegenseitigem Respekt. Statt als Schwäche erscheint Liebe als Stärke – sowohl von Furiosa als auch von Jack. Eine innige Freundschaft hätte es hier aber auch getan. Wieso überhaupt die zwanghafte Verkupplung von männlichen und weiblichen Figuren? Konventionelle Heterosexualität in all ihrer absurden Überpräsenz.
Starke Bilder: Furiosa als Heldin
Wie und aus welchem Grund bewahrt Furiosa sich ihre Menschlichkeit? Die Antwort liegt im Anfang: Es ist ihre Herkunft, ihr Aufwachsen. Furiosa stammt aus einer versteckten Kommune, die sich The Green Place nennt. Der Film gibt ein kurzes, aber eindrückliches Bild von diesem Ort: Es ist eine Oase. Grün in der Wüste, Wind- und Solarenergie, eine nachhaltige Utopie, eine Gemeinschaft. Von Herrschaft keine Spur. Die Menschen hier leben friedlich zusammen, können sich und ihre Gemeinschaft aber verteidigen – das beweist sowohl die junge Furiosa als auch ihre Mutter Mary Jo Bassa (Charlee Fraser). Denn Fuiosa wird aus diesem Paradies nur entführt, weil sie versucht, eine Bikergang aufzuhalten, die zufällig ihren Weg zum Green Place gefunden hat.
Furiosa bewahrt sich also ein Mitgefühl und einen solidarisch geprägten Überlebenswillen, der in dieser postapokalyptischen Einöde so gut wie ausgestorben ist. Diese im Actionfilm gerne belächelten Eigenschaften machen sie hier zur Heldin. Während sie äußerlich in ihrer wortkargen, einsamen Art dem typischen Westernhelden gleicht, der Bösewichte jagt und hilflose Damen rettet, ist ihr Heroismus innerlich ein grundlegend anderer. Dementus, der immer noch den Teddy seines verstorbenen Kindes mit sich trägt, ist durch seinen Verlust abgestumpft. Seine Verachtung für Gefühle, sein Glaube an Stärke und Toughness führen zu Grausamkeit. Furiosa dagegen treibt Wut an, auch Rache, aber nie eine Freude an Unterdrückung. Sie hat sich eine verbissene Zuversicht bewahrt, die sie von den Warlords der Einöde und den Helden klassischer Westernfilme unterscheidet.
Zu Beginn des Films stiehlt Furiosa einen Pfirsich – das christliche Bild vom Garten Eden ist nicht weit, wird aber vom Film untergraben. Die Menschheit außerhalb vom Green Place hat den Sündenfall schon lange hinter sich. Statt einer zur Sünde verführten Eva ist Furiosa eine Befreierin. Sie trägt den Kern der gestohlenen Frucht bei sich. Ein Versprechen, nach Hause zurückzukehren und eine Erinnerung daran, wer sie ist.
Furiosa bewahrt sich also ein Mitgefühl und einen solidarisch geprägten Überlebenswillen, der in dieser postapokalyptischen Einöde so gut wie ausgestorben ist. Diese im Actionfilm gerne belächelten Eigenschaften machen sie hier zur Heldin. Während sie äußerlich in ihrer wortkargen, einsamen Art dem typischen Westernhelden gleicht, der Bösewichte jagt und hilflose Damen rettet, ist ihr Heroismus innerlich ein grundlegend anderer. Dementus, der immer noch den Teddy seines verstorbenen Kindes mit sich trägt, ist durch seinen Verlust abgestumpft. Seine Verachtung für Gefühle, sein Glaube an Stärke und Toughness führen zu Grausamkeit. Furiosa dagegen treibt Wut an, auch Rache, aber nie eine Freude an Unterdrückung. Sie hat sich eine verbissene Zuversicht bewahrt, die sie von den Warlords der Einöde und den Helden klassischer Westernfilme unterscheidet.
Passend dazu am Ende das stärkste, bewegendste Bild des Films: Furiosa hat das Überbleibsel ihrer Heimat, den Pfirsichkern, gepflanzt. An einem geheimen Ort in der Zitadelle wächst der Baum buchstäblich aus dem Mann, der für ihre seelischen Wunden verantwortlich ist. Die Frucht, die der Baum trägt, teilt Furiosa mit den Frauen, die sie bald befreien wird. An der Rache ist sie nicht zerbrochen. In einem Film, dessen post-apokalyptischer Kollaps, dessen Zerbrechen der Gesellschaft in religiöse Fanatiker*innen à la Immortan Joe und inkompetent-brutale Warlords à la Dementus auf der einen und versteckt-bedrohte Kommunen auf der anderen Seite immer näher rückt, ist dieses letzte Bild radikal in seiner Hoffnung.
Kinostart: 23.05.2024
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