Drei Gedanken zu: THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI
Mit Drei Gedanken zu versuche ich mich an einem neuen Konzept für die FILMLÖWIN, das es mir ermöglicht, pointiert und feministisch-kritisch einzelne Aspekte eines Films zu benennen und anzureißen, ohne in eine ausführliche Betrachtung derselben einzusteigen. Quasi das Pendant zum Blockbuster-Test für Arthaus-Filme und immer dann angewandt, wenn ich einen Film nicht auf einen einzigen Aspekt runterbrechen möchte. Ziel ist es nicht, eine Bewertung auszusprechen, sondern neue Perspektiven auf den Film zu eröffnen, Fragen zu formulieren, Gedanken anzustoßen.
Den Auftakt macht Three Billboards Outside Ebbing, Missouri von Martin McDonagh.
1. Im Kampf gegen die Rape Culture: Warum ein Call Out immer mutig ist
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist eine gute Gelegenheit, einen weiteren jener Begriffe einzuführen, die es noch nicht zur einer deutschen Übersetzung gebracht haben, weil uns der entsprechende Diskurs fehlt: Call Out. Bei einem sogenannten Call Out geht es, wie der Name schon vermuten lässt, um Öffentlichkeit, nämlich um das Benennen eines Missstandes und einer Verantwortlichkeit mit einem konkreten Adressaten. Genau das tut die Heldin Mildred (Frances McDormand): Sie plakatiert auf drei großen Leinwänden an einer Landstraße die Anklage an den örtlichen Polizeichef Willoughby (Wood Harrselson), dieser habe bei der Aufklärung des brutalen Mordes an ihrer Tochter Angela versagt. Sie nennt dabei nicht nur den Namen des Polizisten, sondern beschreibt auch den Tathergang mit unmissverständlichen und verstörenden Worten: „raped while dying“, vergewaltigt, während sie im Sterben lag.
Der Call Out bewirkt genau das, was er soll: Er lenkt die Aufmerksamkeit aller Menschen auf das schon Monate zurückliegende Verbrechen und schürt dabei jede Menge Aggressionen – allerdings weniger gegen die untätige Polizei als gegen Mildred selbst, die nun als Unruhestifterin an den Pranger gestellt wird. Doch Mildred lässt sich nicht „silencen“ – wieder ein englisches Wort ohne deutsches Pendant. Sie setzt alles daran, den Tod ihrer Tochter im kollektiven Gedächtnis der Stadt zu erhalten und die Polizei mit allen Mitteln zu weiteren Ermittlungen zu zwingen.
Damit zeigt Three Billboards Outside Ebbing, Missouri nicht nur die Wirkung eines Call Outs, sondern auch den Mut der „Rufenden“, die sich durch ihr Engagement angreifbar machen und zum Opfer eine Hexenjagd werden – obwohl paradoxer Weise ihnen genau das in der Regel vorgeworfen wird. Dabei geht es Mildred, so wie auch den meisten Sprecher_innen eines Call Outs, nicht nur um die Anklage einer einzelnen Person, sondern auch um das Anstoßen eines Diskurses anhand eines konkreten Falls, was meist wirkungsvoller ist als allgemein gehaltene Aussagen. Parallel dazu weiß auch der Film selbst das Thema Rape Culture anhand klar definierter Akteure anzusprechen, ohne dabei auf vereinfachte Schuldzuweisungen zurückzugreifen. Doch dazu später mehr.
Bei allem Lob dafür, die Strategie des Call Outs ins Zentrum eines so packenden wie auch unterhaltsamen Films zu stellen, gibt es hinsichtlich des Themas Rape Culture doch auch einen Wermutstropfen. Denn während durchaus deutlich wird, dass die Vergewaltigung und der Mord an Angela keinen isolierten Einzelfall darstellen, so spielt sich diese Tat doch klassisch „in einer dunklen Gasse“, hier auf einer dunklen Landstraße, und in Zusammenhang mit einem völlig Fremden ab. Es ist aber eben dieses in Film und Fernsehen durch Wiederholung zementierte Narrativ, das die Realität verschleiert: In den meisten Fällen findet sexualisierte Gewalt im Familien-, Bekannten-, Kolleg_innenkreis und damit in unserem direkten Umfeld statt.
2. Komplexe Figuren ermöglichen komplexe Geschichten
Nicht umsonst taucht in den ersten Filmminuten von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri die Kurzgeschichte A Good Man Is Hard To Find von Flannery O’Connor auf, in der es unter anderem und je nach Interpretation um das Zusammenwirken von Gewalt und Gnade geht. Auch für Mildred, Polizeichef Willoughby und die anderen involvierten Personen spielt Wut, Vergeltung und Vergebung eine große Rolle.
Es ist die große Stärke des Drehbuchs von Martin McDonagh, dass er die Hauptfiguren komplex anlegt und nicht der Versuchung erliegt, einfache Unterscheidungen zwischen Gut und Böse zu treffen. Mildred ist nicht einfach nur das Opfer eines ignoranten Polizeiapparats, sondern rachsüchtig, selbstgerecht und zuweilen gar grausam. Willoughby wiederum ist kein misogynes Arschloch, das sich lieber die Eier schaukelt als eine Vergewaltigung aufzuklären, sondern ein fürsorglicher Familienvater, der auf Grund einer schweren Krebserkrankung mit eigenen Sorgen belastet und bei aller berechtigten Kritik an seiner Arbeit durch und durch menschlich ist.
In den Nebenrollen sieht das Ganze ein wenig anders aus. Insbesondere der impulsiv-aggressive und dabei übertrieben einfach gestrickte Polizist Dixon (Sam Rockwell) ist nicht viel mehr als ein wandelndes Beispiel für toxic masculinity (wir müssen dringend mal diese Begriffe übersetzen!), weshalb uns auch seine Bekehrung nichts darüber mitzuteilen weiß, wie diesem destruktiven Muster tatsächlich beizukommen wäre. Immerhin gibt es in Ebbing, Missouri, ganz im Namen der Geschlechtergerechtigkeit, dumme Frauen* ebenso wie dumme Männer*, wobei die Art und Weise wie sich hier über Menschen mit wenig Allgemeinwissen lustig gemacht wird, als klassistische Perspektive durchaus zu kritisieren ist.
Wo aber zumindest die Hauptfiguren große Komplexität erreichen, vermag auch die Geschichte mehr als nur von Rache und Vergeltung, sondern auch von Gnade zu erzählen, dem vielleicht zentralen Moment dieses Films. Im Laufe der Geschichte gibt es zahlreiche Momente der Vergebung. Letztlich geht es weniger darum, wer Angela vergewaltigt und getötet hat, als um die Frage, wie die Überlebenden mit diesem Ereignis leben, wie ihre Wunden heilen können. Dass Martin McDonagh uns darauf keine einfache Antwort gibt, entspricht dem in seinen Figuren angelegten Anspruch an Komplexität. Und eines ist am Ende von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ohnehin klar: Den Vergewaltiger zu fassen macht nichts „wieder gut“, da das Drama viel größer ist als diese einzelne Tat.

How Come Martin McDonagh?! – Im Pressematerial war leider kein Bild von einer Person of Color enthalten © 20th Century Fox
3. Auch wo Rassismus draufsteht, ist manchmal Rassismus drin
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri erzählt von einer Vergewaltigung ohne sie zu zeigen. Das finde ich großartig. Der Film erzählt allerdings auch von Rassismus, ohne ihn zu zeigen, und das wiederum funktioniert weniger gut. Immer wieder wird die Diskriminierung von People of Color (schon wieder ein Anglizismus) durch die örtliche Polizei erwähnt. Bis auf eine Ausnahme gibt es hierfür allerdings keine sichtbaren Beispiele, was in erster Linie daran liegt, dass das Drehbuch – blind für den eigenen Rassismus – nur zwei (!) Rollen für People of Color bietet. Dabei ist insbesondere der Part von Mildreds Freundin und Kollegin Denise (Amanda Warren) unnötig marginalisiert, hat kaum Screentime und dient im Grunde ausschließlich dazu, einmal exemplarisch das Verhalten rassistischer Polizisten durchzuexerzieren.
Denise eine größere Rolle innerhalb der Geschichte zuzugestehen, hätte den Film auch hinsichtlich der Geschlechterrollen aufgewertet. Denn obwohl der Themenkomplex Call Out/Rape Culture hier durchaus feministisch genannt werden kann, sind die Frauen*figuren doch auffällig in der Unterzahl und treten vornehmlich als Mütter in Erscheinung. So kann ich Three Billboards Outside Ebbing, Missouri leider das Prädikat Emanzipatorisch Wertvoll nicht verleihen. Das Votum „sehenswert“ bekommt der Film von mir aber unbedingt!
Kinostart: 25. Januar 2018
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- Berlinale 2025: Heldin - 22. Februar 2025
- Berlinale 2025: La Tour de glace – Kurzkritik - 20. Februar 2025
Den Artikel finde ich gut. Die Einschätzung und Hinweise hilfreich.
Die Hinweise auf fehlende Übersetzungen einiger englischer/amerikanischer Ausdrücke finde ich kokett. Insbesondere bei gleichzeitiger (nach)lässiger Verwendung von Anglizismen (screentime).
Liebe Sophie, Sie sind keine Übersetzerin und einfach nachzuschlagen sind diese Begriffe nicht. Ich bin überzeugt, dass die Mehrzahl Ihrer LeserInnen wie Sie mit den Begriffen vertraut sind und auf die Übersetzung verzichten können.
lgh
PS: ich könnte vermutlich Ihre Großmutter sein und möchte Ihnen gern das Du anbieten, das ich mir dann erlaube zukünftig in Kommentaren zu verwenden.
Liebe Hildegard, danke für Deinen Kommentar und gerne können wir uns duzen. Die erklärten Ausdrücke sind sicher nicht allen Leser_innen bekannt. Ich stelle immer wieder fest, dass selbst Kolleg_innen aus meiner eigenen Generation, sogar die mit feministischen Arbeitsschwerpunkten, einige dieser Begriffe nicht kennen. Daher wollte ich die Gelegenheit nutzen, sie einmal vorzustellen. „Screentime“ ist sehr viel gängiger als beispielsweise „Call Out“, weshalb ich nur letzteren Begriff erklärt habe. Aber vor allem ging es mir als feministische Autorin eben auch darum, feministische Begriffe einzuführen. Ich weiß, dass mein Blog viele Leser_innen hat, die gerade erst ins Thema einsteigen und sich über ein paar Erläuterungen durchaus freuen.
Hallo Filmlöwin,
ich mag diese Rubrik und finde dass du hier ein paar interessante und wichtige Punkte ansprichst. Ein Call Out ist in der Tat mutig und wichtig. Allerdings habe ich Mildreds Ausruf im Film anders interpretiert als du. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es Mildred „nicht nur um die Anklage einer einzelnen Person, sondern auch um das Anstoßen eines Diskurses anhand eines konkreten Falls“ geht. Die Rückblenden und die Szene, in der Mildred mit Willoughby spricht, gaben mir eher das Gefühl, dass es ihr darum geht die eigenen Schuldgefühle zu bekämpfen, indem sie einen anderen Schuldigen sucht. Nämlich die untätige Polizei. Vereinfachte Schuldzuweisungen sind in „Three Billboards…“ daher durchaus ein Thema. Mildred als direkt Betroffene ruft ihren Fall ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Allerdings meiner Meinung nach weniger aus Interesse an einem Diskurs, sondern viel mehr aus Wut, Trauer und Verzweiflung. Was sicherlich nachvollziehbar ist, sich aber wie ich finde im Falle Willoughbys gegen den falschen richtet. Was der Film jedoch sehr deutlich herausstellt, ist eine unfassbare Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber gewissen Ungerechtigkeiten. Besonders deutlich wird das in der Szene, in der Dixon einen unschuldigen Mann öffentlich zusammenschlägt und aus dem Fenster wirft, was keinen sonderlich zu stören scheint. Ähnlich verhält es sich sowohl im Film als auch in der Realität im Hinblick auf Sexismus und Rassismus. Ich habe deinen Artikel in meinem eigenen Beitrag zum Film verlinkt und bin schon gespannt auf deine nächsten „3 Gedanken“ zu kommenden Filmen.
Wenn du möchtest, schau doch mal hier vorbei. In meinem Beitrag zu „Three Billboards…“ geht es hauptsächlich um die Frage, ob der Film bei den diesjährigen Oscars, gerade im Hinblick auf die #MeToo-Debatte, Chancen hat einen Preis abzuräumen. Dazu gab es in de Kommentaren eine relativ tiefgreifende Diskussion, zu der ich gerne deine Meinung hören/lesen würde 🙂
Liebe Grüße,
Ma-Go
https://magofilmtipps.wordpress.com/2018/01/09/three-billboards-outside-ebbing-missouri-der-beste-film-des-jahres/
Interessanter Ansatz mit interessanten Gedanken. Ich wollte nur kurz drauf hinweisen, dass es nicht zwei sondern drei schwarze SchauspielerInnen in dem Film gab. Keine Ahnung, ob du den neuen Sheriff oder den Plakatkleber nicht wahrgenommen hast, aber beide kamen im Film neben Denise vor. Angesichts der extrem wenigen Figuren die der Streifen überhaupt aufweist eigentlich keine schlechte Quote, finde ich.
Silencen könnte man übrigens mit knebeln oder auch zum Schweigen bringen übersetzen,toxische Männlichkeit wäre auch nicht sperriger als das englische Original, und dass ein Fremder Angela vergewaltigt haben soll kommt doch in dem Film gar nicht raus (auch wenn ich deiner diesbez. Beschwerde insgesamt zustimme)?!
Jetzt aber genug gemeckert, insgesamt gerne weiter so, ich komme bestimmt wieder. Damit sich etwas ändert finde ich es nämlich auch wichtig, dass einzelne und dann mehrere und schließlich viele unbequeme Aspekte diskutieren.