Drei Gedanken zu: The Shape of Water
In meiner privaten Facebook-Timeline gab es Menschen, die mochten Guillermo del Toros The Shape of Water bereits bevor sie ihn gesehen hatten. Schließlich hatte der Film schon bei seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig Begeisterung ausgelöst, den Goldenen Löwen gewonnen und die Kritiker_innen in Beifall geeint. Tatsächlich hat del Toro hier ein wunderschönes Märchen geschaffen, eine tröstliche Geschichte von jener Liebe, die alle Grenzen überwinden kann und damit ein Pflaster für die Wunden unserer Seelen, die uns Hiobsbotschaften über Konflikte und Kriege in der Welt jeden Tag von Neuem zufügen. Dass del Toro diese Wirkung bewusst anvisiert, zeigen die filmischen Zitate, die Filme im Film, die immer eine beruhigende Wirkung auf die Figuren ausüben.
Aber all das rettet The Shape of Water nicht vor meinem kritischen, feministischen Blick, mit dem ich – und das ist ganz wichtig – diesen Film niemandem madig machen, sondern lediglich eine andere Perspektive aufzeigen möchte.
1. Auch aktive weibliche* Sexualität ist unschuldig
Die stumme und schüchterne Putzkraft Elisa (Sally Hawkins) arbeitet in den 60er Jahren, also während des Kalten Kriegs, in einem durch die Armee kontrollierten streng geheimen Forschungslabor und entdeckt dort eine ungewöhnliche Kreatur: eine Art humanoides Seemonster, das für Versuchszwecke gefangen gehalten wird. Während die Forscher, insbesondere aber der verantwortliche Colonal Strickland (Michael Shannon), dem Wesen zuweilen grausam gegenüber treten und Aggressionen ernten, kann Elisa das Vertrauen und schließlich gar die Liebe des Gefangenen gewinnen.
The Shape of Water ist wie eine Umkehrung des Märchens von der kleinen Meerjungfrau, die für die Liebe ihre Stimme opfern muss. Bei del Toro nämlich finden zwei einsame Herzen durch die ihnen gemeinsame Sprachlosigkeit zusammen und entwickeln – jede_r auf eigene Weise – eine Stimme. Dabei ist es hier durchgehend Elisa, die emanzipiert die Initiative ergreift: das erste Kennenlernen geht ebenso von ihr aus wie jeder andere Schritt in der Entwicklung dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Überhaupt ist weibliche* Sexualität in The Shape of Watererfrischend proaktiv. Das Masturbieren in der Badewanne gehört zu Elisas Morgenroutine, Frau Strickland verführt ihren Colonal und schließlich ist es auch Elisa, die ihre Beziehung mit dem Wasserwesen auf eine sexuelle Stufe hebt.
Doch etwas fehlt: Lust. Die Geschichte von The Shape of Water weist inhaltliche Parallelen zu dem Film The Untamed von Amat Escalante auf, in dem ebenfalls ein unbekanntes, durchaus bedrohliches Wesen zum Objekt der Begierde wird. Wo diese Begierde jedoch bei Escalante spürbar, absolut körperlich und nahezu triebhaft ist, bleibt das Begehren in der märchenhaften Inszenierung von del Toro unschuldig verspielt und damit auch innerhalb des Stereotyps von weiblicher* Sexualität – ein Effekt, den die Inszenierung von Sally Hawkins als zarte Kind-Frau* noch verstärkt.
Vielleicht aber handelt es sich hier auch nicht um eine sexistische Zuordnung, sondern um eine allgemein verklemmte Haltung des Films zu seinem eigenen Thema. Auch die Masturbationsszenen in der Badewanne fungieren nämlich eher als Slapstick-Elemente denn als erotische Passagen. The Shape of Waterwill ein Märchen und keine Geschichte weiblichen Begehrens erzählen.
2. Kolonialismus ist toxische Männlichkeit*
Der Antagonist zur sanften Heldin ist der durch toxische Männlichkeit* charakterisierte Colonal Strickland. Das unbekannte Wesen ist für ihn eine niedere Lebensform, auf deren Rücken er den militärischen Schwanzvergleich des Wettrüstens mit der Sowjet Union austragen kann. Dabei dient ihm ein phallischer Elektroschocker als Insignie, die seine Macht und Potenz demonstriert und gleichzeitig dabei hilft, den Gefangenen zu unterwerfen.
Die Haltung Stricklands ist eine zutiefst kolonialistische: Das Fremde, das Andere, von ihm Verschiedene, wird als minderwertig und Mittel zum Zweck begriffen, eine Begegnung auf Augenhöhe kann und soll nicht stattfinden. Diskriminierung, also die Abwertung von Menschen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder sexuellen Orientierung, zieht sich motivisch durch den gesamten Film. Vor diesem Hintergrund ist Elisas Liebe zum „Anderen“ ein bahnbrechend emanzipatorischer Befreiungsschlag, der sich mutig über alle Konventionen hinwegsetzt – sogar über jene, die noch nicht benannt in unserem Unbewusstsein schlummern.
Das unbekannte Wesen ist das ultimative „Andere“ und steht damit stellvertretend für alles was sich von weißen heterosexuellen Männern* unterscheidet, die auch in The Shape of Water die Welt regieren und durch Colonal Strickland repräsentiert werden. Ob Machtmissbrauch oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Strickland agiert toxische Männlichkeit* wie nach Lehrbuch aus. Auch in dieser Hinsicht ist The Shape of Water wieder ganz Märchen: Der Bösewicht bleibt absolut eindimensional und seine toxische Männlichkeit* dementsprechend kontextlos.
3. Eskapismus-Kino ist nicht „emanzipatorisch wertvoll“
Auch in Anbetracht der oben angesprochenen emanzipatorisch wertvollen Elemente des Films, ist The Shape of Water hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben. Denn irgendwie ist dann doch alles beim Alten. Die weibliche* Heldin ist sanftmütig, der männliche* Bösewicht grausam. Empathie wird Frauen*, Machtstreben Männern* zugeordnet. Im Forschungslabor wird Wissenschaft ausschließlich durch weiße Männer* betrieben, während die Frauen* putzen und männliche* People of Color Hausmeistertätigkeiten verrichten. Octavia Spencer als Elisas beste (und einzige) Freundin Zelda dient dem Plot als Quoten-Person-Of-Color ohne nennenswerten Einfluss auf die Handlung oder eine Charakterentwicklung (vor diesem Hintergrund empfinde ich Spencers Oscar-Nominierung ehrlich gesagt als schlechten Scherz – die Rolle gibt ihr kaum Möglichkeiten, ihr Talent zu demonstrieren). Elisas engster Vertrauter wiederum ist ihr schwuler Nachbar Giles (Richard Jenkins), der – so wie es sich für schwule Männer* eben gehört – kreativ tätig und stets um sein Aussehen besorgt ist.
Mich haben diese Typen auch im Kontext des Märchens nicht ausreichend überzeugen können, um The Shape of Water das Prädikat „emanzipatorisch wertvoll“ zu verleihen. Insbesondere der kindliche Sanftmut der Heldin, der mich irritierend an die Netflix-Produktion Okja erinnerte, unterstreicht die stereotype Definition von Weiblichkeit* als zart, empathisch und sozial. Elisa ist in vielerlei Hinsicht eine „ungefährliche“ Heldin, vor der sich das etablierte System nicht fürchten muss. Sie ist keine Revolutionärin, nicht an der Dekonstruktion von struktureller Ungerechtigkeit interessiert, sondern – wie es sich für ein Märchen gehört – ausschließlich an der Liebe. Somit ist auch The Shape of Waterein ungefährlicher Film, ein – wie einleitend schon erwähnt – tröstliches Pflaster auf der Wunde unserer anstrengenden gesellschaftlichen Diskurse um Sexismus, Rassismus, Ableismus und Klassismus und daher trotz emanzipatorisch wertvoller Tendenzen schließlich doch vor allem Eskapismus-Kino.
Kinostart: 15. Februar 2018
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