Drei Gedanken zu: Emilia Pérez

In einem Van, irgendwo im Nirgendwo, trifft Rita Mora Castro (Zoë Saldaña) das erste mal auf Emilia (Karla Sofía Gascón), die sich zu diesem Zeitpunkt ihr aber noch unter dem Namen Manitas als Gang Leader eines einflussreichen Kartells in Mexiko vorstellt. Emilia sucht aus ihrem bisherigen Leben zu entkommen und beauftragt Rita damit Ärzt*innen zu finden, die ihren Körper ihrem eigenen Geschlechtsbild anpassen. Danach inszenieren beide ihren Tod und Emilia beginnt ein neues Leben.

Emilia Perez und Anwälin Rita umgeben von Pressevertreter*innen © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

© Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Vier Jahre später treffen sich Emilia und Rita erneut. Emilia, die ihre Frau Jessi (Selena Gomez) und ihre Kinder seit der Trennung vermisst, wünscht sich von Rita, dass diese ihr hilft, sie wieder mit ihrer Familie zu vereinen, die nach Emilias Tod in die Schweiz übergesiedelt ist. Nun kehrt die Familie nach Mexiko zurück, um bei Emilia einzuziehen, die sich selbst als Cousine von Manitas bei Jessi und ihren Kindern einführt.

Emilia Pérez ist durchaus kontrovers. Zunächst bekam der Film sehr viele gute Kritiken und wurde in Cannes mit dem Preis der Jury und dem Preis für das beste Schauspielensemble ausgezeichnet. Insbesondere das Thema und der Stil der faszinierenden “Tragödie über Schuld und Sühne, über Liebe und Leidenschaft und über Korruption und Machtgefüge” schienen einen Nerv getroffen zu haben. Kritische Stimmen zur Darstellung von Mexiko oder der Realität von Trans*Personen (hierzu gleich noch mehr) konnten seinem Image nicht viel anhaben. Für die Golden Globes wurde er zehnmal, für die Oscars gleich dreizehnmal nominiert. Vier Golden Globes hat er auch gewonnen.___STEADY_PAYWALL___

Es war nicht die berechtigte Kritik am Film per se, die diesen so kurz von den Oscars in den Augen des Publikums hat sauer werden lassen, es waren rassistische Kommentare der Hauptdarstellerin auf Twitter über mehrere Jahre hinweg. Dass diese Tweets ausgerechnet jetzt interessant werden, dürfte auch daran liegen, dass Twitter unter Musk derzeit ein gerade für rechte Hetze bekanntes Medium ist und insbesondere die Rechte sich auch schon vorher an Karla Sofía Gascón abgearbeitet hat.

Die Tweets, um die es geht, verdienen eine offene Diskussion. Diese Debatte überschattet aber völlig ungerechtfertigterweise die genauso problematischen Ansichten der weißen cis-Filmschaffenden. Wieso beispielsweise hat es diesen Aufschrei nicht nach den rassistischen Äußerungen von Chefcaster Carla Hool gegeben?

Wenn man genau schaut, wer jetzt diese Debatten führt, so sind es insbesondere Menschen, die für die gerechtfertigte Kritik am Film nicht empfänglich gewesen sind, weil sie zu den genannten Minderheiten gar keinen Kontakt haben. Stattdessen lassen sie sich von dem Diskurs instrumentalisieren ganz getreu dem Motto: wir behandeln alle gleich! (Wobei sie genau das nicht tun, weil sie ja eben mit Rassismus und Transphobie der cis-Filmschaffenden, so wie sie Ausdruck im Film finden, kein Problem hatten.)

Mexiko

Der Film hat umfassend Kritik an seiner Darstellung von Mexiko geerntet. Es könnte nun argumentiert werden, dass es in Emilia Pérez ja gar nicht wirklich um Mexiko gehe. Könne es ja auch gar nicht, weil der Film auf dem Buch Écoute des französischen Autors Boris Razon beruhe und hauptsächlich in Paris mit nicht mexikanischen Schauspieler*innen gedreht worden sei. Trotzdem drängt sich die Frage auf: Weshalb spielt der Film dann in Mexiko? Hätte es eine solche Geschichte nicht auch in Frankreich geben können? Und das, obwohl die Filmemacher*innen doch angeblich so bemüht waren, den Film authentisch wirken zu lassen. Gibt es also in Mexiko keine guten Schauspieler*innen? Zumindest war das offenbar die Meinung von Chefcaster Carla Hool, wie sie in einem Interview für die SAG-AFTRA Foundation zugibt. Die Filmemacher*innen fanden es offensichtlich angemessen und ausreichend, mit fabrizierten Akzenten gefühlte Authentizität zu erzeugen.

Emilias Transition

Der zweite Aspekt, für den der Film viel kritisiert worden ist, ist die Art und Weise, wie er Emilias Transitionsprozess darstellt. Emilias Prä-Transitions-Alter-Ego ist düster, die Stimme ganz besonders tief und rau und absolute, toxische Männlichkeit. Obwohl Emilia selbst schon seit zwei Jahren Hormontherapie macht, hat ihre Familie keinen blassen Schimmer von ihrer Trans*Identität und der Film sieht sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Frau.

Der Moment, in dem sie als letzten Beweis vor Rita ihre Brüste entblößt, bedient das klassisch transphobe Filmnarrativ, bei dem Charaktere durch Zurschaustellung ihrer Genitalien zwangsweise zum Gespött des Publikums geoutet werden. Immer wieder sind es insbesondere fragwürdige Komödien wie Ace Ventura: Pet Detective von Tom Shadyac, in denen die Trans*Identität des Dates und dessen unvermittelte Entdeckung durch den meist cis-männlichen Hauptcharakter für eine billige Punchline als etwas zutiefst Abstoßendes dargestellt werden. Zwar ist es nicht Ziel des Films, hier diese Punchline zu machen, aber zumindest für mich als non binäre Person war diese Szene im Kino extrem beklemmend und sie hat auch die entsprechenden Lacher geerntet.

Rita während einer großen Musicalnummer im Scheinwerferlicht. sie trägt eun rites Samtjackett. © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

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Es geht auch direkt mit dem Song ’La Vaginoplastia’ weiter, der die ungesunde Fixierung der cis-normativen Song- und Filmschreiber*innen auf Geschlechtsteile auf die Spitze treibt: ’Man to woman. From Penis to Vagina.’ Als wäre es ausschließlich das Geschlechtsorgan und Körperbild, das eine Person zum Mann oder zur Frau macht. Als gäbe es neben dem körperlichen nicht auch ein gesellschaftliches Geschlecht. Nicht-Binarität zum Beispiel ignoriert dieser Gedanke vollkommen.

Emilia wird in ihrer Trans*Identität auf ein binäres und normschönes Bild von Weiblichkeit reduziert, das sich erst und ausschließlich durch eine Vielzahl von Operationen herstellen lässt – ein Fluch, dem Frauen generell unterliegen, insofern ist der Film hier konsequent.

Tatsächlich ist es aber der Song ’Lady’, der den transphoben Höhepunkt des Films darstellt. Zum einen wird Emilia hier sowohl von Rita als auch von dem Schönheitschirurgen (Mark Ivanir) weiterhin misgendert – „logisch“, sie wurde ja noch nicht operiert – und zum anderen diskutieren beide darüber, ob die Operation Emilia zu einem besseren Menschen macht.

Genau diese Diskussion ist brandgefährlich. Sie spielt in die Karten derer, die Emilia Pérez für seine angebliche  Wokeness kritisieren. Ben Shapiro, ein scharf rechts-konservativer Journalist und Trump-Supporter aus den USA,  echauffiert sich, dass man(n) nach Selbstkastration direkt zum besseren Menschen wird.

Nahaufnahme von Emilia Peréz © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

© Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Der Punkt, den der Film machen möchte, ist der, dass Emilia unter den Umständen, in denen sie aufwuchs und in der Gesellschaft, in der sie sich befand, keine andere Wahl hatte, als zu dem zu werden, was sie geworden ist und dass sie ihre Identität nicht hätte finden können, ohne mit ihrer Vergangenheit zu brechen. Allerdings verknüpft der Film hier auf sehr unangenehme Weise Gender und Geschlecht miteinander. ’Lady, you know, I only fix the body. Skin and bones, but I will never fix the soul.’ Zu Ende gedacht bedeutet dieser Gedanke, dass die Seele ein dem Körper entsprechendes Geschlecht hat und dieses Geschlecht vom Chirurgen nicht mit angepasst werden kann, weshalb eine Transition nie vollkommen sein wird. Auch hier wieder ist die Operation der Wendepunkt für das Transitionsverständnis des Chirurgen und ultimativ auch des Filmes: Das Körperbild ist absolut ausschlaggebend für die Zuordnung des Geschlechts und das zugehörige Gehirn, das in dem geschlechtlichen Körper wohnt, kann nicht angepasst werden, weshalb es ausschließlich auf die Außenwirkung ankommt, ja fast schon ankommen muss.

Schwierig ist auch die Implikation, dass die Geschlechter bestimmte Eigenschaften haben, die ihnen „natürlicherweise“ gegeben sind. Männer sind Schläger, Gangster-Bosse, harte Kerle und Frauen sind sanft, liebevolle Mütter und zugewandte Familienmenschen.

Unabhängig davon, dass solche festen Geschlechtsrollenbilder für alle Beteiligten furchtbar sind, ist die Frage, was das dann über die Identität von Trans*Männern aussagt? Sind Trans*Männer dann auch automatisch, nachdem sie ihre Familie kaltschnäuzig zurückgelassen haben, über Leichen gehende Gangster-Bosse?

Feminismus und Trans*Identität

Interessanterweise verknüpft Emilia Pérez gesellschaftliches und biologisches Geschlechtsbild auf eine Weise, die von Ben Shapiro in seinem oben zitierten Beitrag als Aufruf an cis-Männer zur Transition verstanden wird. Auch wenn diese Vorstellung absurd ist, liegt paradoxerweise in der Idee, dass die Gesellschaft mehr Frauen braucht, sehr viel feministische Wahrheit. Es braucht eine Dekonstruktion männlich-stereotyper Geschlechtsbilder im Allgemeinen. Es braucht mehr offene Queerness und nicht-normative Erzählmuster, um binäre Geschlechtsstrukturen aufzubrechen.

Mit Emilia zeigt der Film eine wahnsinnig starke Frau, die es geschafft hat ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und die sich mit viel Energie der Aufarbeitung ihrer Fehler widmet. Er zeigt, wenn auch nur beschämend kurz, eine sehr einfühlsame und liebevolle Beziehung zwischen der Witwe Epifania (Adriana Paz) und Emilia und damit eine Abweichung von Heteronormativität – indem er seine Protagonistin eben nicht zwingt zum Wohle des Durchschnittspublikums nach ihrer Transition Männer zu daten.

Rita und Emilia in einem Auto. Emilia Pérez ist nur angeschnutten im Bild zu sehen. © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

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Zoë Saldaña und Karla Sofía Gascón geben dem Film mit eindrucksvoller Perfomance ein starkes Gesicht. Es gibt keine nennenswerte männliche Rolle in Emilia Pérez. Die beiden  Figuren setzen sich und ihre Ideale gegen eine korrupte, männlich-geprägte Gesellschaft durch, die es beiden nicht leicht macht – und sie haben Erfolg damit.

Auch wenn unverständlich bleibt, weshalb Emilia am Ende im klassischen Bury-Your-Gays-Style vernichtet werden muss, stilisiert sie der Film auf ihrer Beerdigung zur Heldin, die den Menschen geholfen und das Leben für alle besser gemacht hat.

In Zeiten von erstarkendem Rechtsruck und wachsender Transphobie durch alle Schichten, in denen Frauen gegen Trans*Personen mit vorgeschobenen, feministischen Argumenten aufgehetzt werden, ist ein Film, der beim cis-normativen Publikum einen Eindruck von Identifikation und Empathie für eine Trans*Frau hinterlässt, ein Erfolg und auch ein Statement gegen die Ben Shapiros dieser Welt, die meinen, selbst die Schauspielerin noch missgendern zu müssen.

Jessi in einem Jackett mit Rosen und nassem Haar. © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

© Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Natürlich ist Emilia Pérez nicht die Art Film, die ich mir als nicht-binäre Trans*Person gewünscht hätte. Aber er ist die Art Film, die ich bekomme, wenn in Regie und Drehbuch keine Trans*Personen involviert sind. Gemessen daran, wie die Rechte jetzt Emilia Pérez und insbesondere auch den gerechtfertigten Backlash gegen den Film nutzt, um wiederholt festzustellen, wie völlig „gaga“ sie feministische Diskurse findet, sollten wir uns besser zusammenschließen und jedes Fünkchen Unterstützung nehmen, das wir kriegen können. Gemessen an dem Schritt, den Emilia Pérez gegenüber Filmen wie The Danish Girl von Tom Hooper bedeutet, habe ich Hoffnung, dass es irgendwann ein Film in die Golden Globes schaffen wird, der eine ehrliche und offene Repräsentation von Trans*Identität ist, weil er nicht nur queere Themen aufgreift, sondern auch queeren Autor*innen und Filmschaffenden Sichtbarkeit verleiht.

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Über die*den Gastlöw*in:

Schwarz-weiß Fotografie von LucaLuca Takahashi hat sich erst wirklich angefangen für Filme zu begeistern, nachdem dey das Yorck-Unlimited Abo abgeschlossen und festgestellt hatte, dass Kino ein lohnenswerter Zeitvertreib ist. Ohne spezielle kulturhistorische Vorkenntnisse interessiert dey sich insbesondere für die hinter dem Film liegende Präsenz der Filmschaffenden und die Sicht auf die Welt, wie sie von Film und Medien geprägt wird. Die Interaktion zwischen den Filmschaffenden und deren Botschaft auf der einen und Bezug und Übertragung derselben auf das Publikum in quasi überlappend konzentrischen Kreisen auf der anderen Seite und die Suche nach bewusster und unbewusster Botschaft ist in Filmen wie in Büchern für dey ganz besonders spannend, in denen die Präsenz der schaffenden Kraft wie durch einen Spiegel konstant hindurch zu scheinen und sich ins unendliche Echo zu steigern scheint.