Blockbuster-Check: Avatar: The Way of Water

Weil der Bechdel-Test zwar cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Aufgrund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!

Mehr als zehn Jahre nach dem Welterfolg seines Science Fiction-Blockbusters Avatar brachte James Cameron im Dezember 2022 dessen Nachfolger Avatar: The Way of Water in die Kinos. In der Fortsetzung lebt der ehemals menschliche Soldat Jake Sully (Sam Worthington) nun bereits seit 14 Jahren unter den Na‘vi, der indigenen Bevölkerung des bewohnbaren Mondes Pandora, den die Menschen in Avatar zu kolonialisieren versuchten. Mit seiner Frau Neytiri (Zoe Saldaña) hat er vier Kinder und ist Chief ihres Clans, der Omaticaya. Doch das friedliche Leben auf Pandora gerät durch eine erneute Invasion durch die Menschen in Gefahr.

Wie auch sein Vorgänger sticht Avatar: The Way of Water vor allem durch aufwändige Technik und beeindruckende Bilder heraus. Doch wie schlägt sich der Film aus intersektional-feministischer Sicht? Das schauen wir uns im Blockbuster-Check genauer an.

Filmstill aus Avatar: The Way of Water: Jake (Sam Worthington) reitet auf einem Fantasie-Tier, eine Mischung aus Flugsaurier und Fisch.

© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.

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Held*innen

Auch in Avatar: The Way of Water nimmt Jake weiterhin die Rolle des Protagonisten ein. Er erzählt die Geschichte im Voice Over, trifft in seiner Familie und unter den Na’vi allgemein die wichtigsten Entscheidungen und ist im Showdown gegen Antagonist Miles Quaritch (Stephen Lang) die entscheidende Kraft. Im Vergleich zum ersten Film liegt sein Fokus dabei nicht auf der Rettung eines Stammes, sondern auf dem Schutz seiner Familie. Als dieses Ziel nach der Flucht zu den Metkayina, einem Na’vi-Seeclan, zunächst erreicht zu sein scheint, entfernt Jake sich von der klassischen, aktiven Heldenrolle. Den Rest des Films reagiert er eher statt zu agieren, hauptsächlich auf die Schwierigkeiten, in die seine Kinder geraten. Selbst die finale Schlacht der Na’vi gegen die Menschen ist primär ein spontanes Rettungsmanöver. 

Dennoch haben Jakes Handlungen teils gravierende Folgen für die Na’vi. Beispielsweise führt er Quaritch unabsichtlich zu den Metkayina, als er für seine Adoptivtochter Kiri (Sigourney Weaver) medizinische Hilfe durch loyale menschliche Wissenschaftler anfordert. Dass Jake damit die Metkayina überhaupt erst in den Krieg gegen die Menschen hineinzieht, thematisieren die anderen Figuren kaum und verzeihen es schnell. Chief Tonowari (Cliff Curtis) ehrt ihn sogar später als großen Krieger, als hätte Jake, wie im ersten Film, als Beschützer der Na’vi gehandelt. 

Als Held fehlt es Jake auch an einer nennenswerten Entwicklung oder einem Fortschritt in seiner Helden-Quest. Als er am Ende des Films den Schluss zieht, dass er seine Familie durch Flucht nicht beschützen kann, steht er an einem ähnlichen Punkt wie am Anfang: Der Krieg wütet vor seiner Haustür, Antagonist Quaritch lebt noch immer und schwört Rache, und Jake erkennt, dass er die Menschen (wieder) aktiv  bekämpfen muss. Es ist also zu erwarten, dass er im dritten Teil der Reihe wieder zu seiner ursprünglichen Kriegerrolle zurückkehrt.

Filmstill aus Avatar: The Way of Water: Portrait von Jake (Sam Worthington) mit Schnittwunden im Gesicht, ernster Blick, im Hintergrund das Meer. Es ist Nacht.

© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Neben Jake sind auch seine Kinder zentral für die Handlung, insbesondere sein jüngerer Sohn Lo‘ak (Britain Dalton), der teilweise ebenfalls als Protagonist fungiert. Lo’ak gerät mehrmals in Schwierigkeiten, als er sich beweisen und ebenfalls eine Kämpfer- und Beschützerrolle einnehmen möchte, z. B. indem er seine Schwester Kiri gegen Mobbing verteidigt. Sein unbedachtes Verhalten löst einen Großteil der Konflikte im Film aus und er bringt sich und andere mehrmals in Lebensgefahr. Wie sein Vater kämpft auch er am Ende aktiv um das Leben anderer, als er den Tulkun Payakan vor den Menschen retten möchte, und wie Jake bekommt auch er am Ende Anerkennung für seine Heldentaten. Avatar: The Way of Water verpasst jedoch die Möglichkeit, sich — z.B. durch ein ernstes Gespräch zwischen Vater und Sohn — tiefergehender mit Lo’aks Heldenrolle auseinanderzusetzen und das dahinterstehende Bild von (toxischer) Männlichkeit zu hinterfragen, beispielsweise in dem Jake seinem Sohn die negativen Konsequenzen seines Handelns und seine Verantwortung für andere aufzeigt. 

Frauenfiguren gibt es in Avatar: The Way of Water zwar auch, doch sie sind weit davon entfernt, eine Heldinnenrolle einzunehmen. Neytiri hat sich bereits im ersten Film als starke Kämpferin etabliert und Quaritch fürchtet sie offensichtlich als solche. Sie sieht den Schutz ihres Clans als ihre Aufgabe, doch Jake entscheidet sich, gegen ihren anfänglichen Wunsch, zur Flucht und hält sie somit aktiv von einer möglichen Heldinnenrolle ab. Später kämpft Neytiri an Jakes Seite, doch er trifft weiterhin alle Entscheidungen und muss sie an einer Stelle sogar daran erinnern weiterzukämpfen. Während er im Showdown Quaritch in einem dramatischen Zweikampf stellt, ist Neytiri mit ihrer jüngeren Tochter Tuk gefangen und muss selbst gerettet werden. Es wäre ja auch eine Schande, wenn sie ihm das Rampenlicht stehlen würde.

Film still aus Avatar: The Way of Water: Lo'ak (Britain Dalton) streichelt den Tulkun namens Payakan, ein sehr großes Wal-ähnliches Fantasietier.

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Gegenspieler*innen

Antagonist in Avatar: The Way of Water ist Colonel Miles Quaritch, den Neytiri im ersten Film getötet hat und der nun als Avatar zurückkehrt. Sein Auftrag ist es, Jake als Anführer des Na‘vi-Widerstands zu töten, doch er ist auch von persönlichen Rachefantasien motiviert. Vor allem scheint ihn zu wurmen, dass Jake sein menschliches Alter Ego einst in etwas übertroffen hat. In einer Szene versuchen Quaritch und seine Leute beispielsweise, Ikran zu zähmen, die geflügelten Wesen, die die Omaticaya als Reittiere nutzen. Quaritch will diese zunächst mit einem Betäubungsgewehr außer Gefecht setzen, doch als er erfährt, dass Jake die Tiere mit bloßen Händen zähmen kann, möchte er es ebenfalls auf diese Weise versuchen. Quaritch geht es hier also um ein  klassisches, toxisch-männliches Kräftemessen. Mit Neytiri vergleicht er sich im Unterschied dazu nämlich nicht, sondernbezeichnet sie als „vollkommen verrückt“, obwohl sie erweisenermaßen – immerhin hat sie ihn in seiner menschlichen Film getötet – eine  fähige Kriegerin ist. 

Eine andere Seite zeigt Quaritch lediglich im Umgang mit seinem Sohn Spider (Jack Champion), den die Menschen als Baby auf Pandora zurückließen und der mit den Sully-Kindern aufgewachsen ist. Obwohl Quaritch darauf besteht, mit Spider nicht verwandt zu sein, da dieser ein Mensch und Quaritch lediglich der Avatar eines Menschen ist, zeigt er Mitleid und einen gewissen Beschützerinstinkt gegenüber dem Jungen. Als Neytiri droht, Spider umzubringen, stellt er schließlich das Leben seines Sohnes über seine Rachewünsche. Auch wenn er Spider am Ende des Films zu den Sullys zurückkehren lässt, markiert Quaritchs Vaterrolle das Potential, ihm im nächsten Film etwas mehr Tiefe zu geben. 

Andere nennenswerte Gegenspieler*innen gibt es in Avatar: Way of Water nicht. Quaritch hat zwar eine Vorgesetzte im menschlichen Militär, doch sie hat weder einen Charakter noch ausreichend Screentime, um irgendeine Relevanz zu entwickeln.

Filmstill aus Avater: The Way of Water: Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang) in seineer Avatar-Form im Dschungel Pandoras. Er trägt Militärkleidung und hält eine Waffe in der Hand.

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Geschlechterrollen allgemein 

Über Geschlechterverhältnisse bei den Na’vi-Völkern erfahren wir in Avatar: The Way of Water nur wenig, da Figuren außerhalb der Sully-Familie kaum Screentime bekommen. Neytiri und Ronal (Kate Winslet), die Frau des Metkayina-Chiefs Tonowari, zeigen zumindest, dass Frauen bei den Na‘vi als Kriegerinnen anerkannt und im Kampf an vorderster Front dabei sind. Gleichzeitig sind es in beiden Stämmen die Frauen, die alleinig für die medizinische Pflege und Heilung zuständig sind. Dass sie dabei den menschlichen (männlichen) Schulmedizinern überlegen sind, ist weniger ein empowerndes Statement als die klassische sexistische Zuordnung einer weiblich konnotierten Natur und Fürsorge gegenüber einer männlich dominierten Kultur/Zivilisation. Darüber hinaus sind beide Stämme von Männern angeführte, hierarchisch strukturierte Patriarchate, innerhalb deren Frauen zwar eine Meinung haben, doch nur Männer letztlich die Entscheidungen treffen. 

Mutterschaft ist in Avatar: The Way of Water, wenn sie überhaupt Thema ist, eher eine Schwäche. So ist beispielsweise ein Tulkun-Weibchen – ein hochintelligentes, walänliches Wesen – deshalb leichte Beute für die “Walfänger”, weil sie ihr Kalb nicht verlässt.  Parallel dazu ist Neytiri nach dem Tod ihres Sohnes Neteyam (Jamie Flatters) so von Trauer überwältigt, dass Jake sie erst daran erinnern muss, zwei ihrer anderen Kinder aus Quaritchs Fängen zu befreien. Beeindruckend ist hingegen das Bild der hochschwangeren Ronal, wenn sie sich mit ihrem dicken Babybauch wutschnaubend in die Schlacht wirft. Und doch ist die Darstellung von Vaterschaft insgesamt ein wenig komplexer. Sowohl bei Quaritch als auch bei Jake verleitet ihr Beschützerinstinkt sie zu Fehlern und Nachlässigkeiten, ähnlich wie bei den Mutterfiguren. Die Männer jedoch erfahren durch ihre Vaterschaft eine Aufwertung: Quaritch erlangt durch diesen Anteil seiner Persönlichkeit mehr Menschlichkeit, Jakes Vaterrolle ist untrennbar mit seinem Heldentum verknüpft. 

Filmstill aus Avatar: The Way of Water: Neytiri (Zoe Saldaña) und Jake (Sam Worthington), im Hintergrund lodert ein Feuer. Sie schauen sich tief in die Augen und Jake legt Neytiri in einer beruhigenden Geste eine Hand auf die Schulter.

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Umso überraschender ist es, dass der Film trotz stolzer drei Stunden Laufzeit jegliche Chance verpasst, die Vater-Sohn-Beziehung jenseits patriarchaler Herrschaftsstrukturen und Männlichkeitsideale zu erzählen. Jake ist als Vater über weite Strecken des Films eher distanziert. Gespräche mit seinen Kindern bestehen vor allem aus Anweisungen wie „Bleibt zuhause“ und „Pass auf deinen Bruder auf“, auf die seine Söhne mit „Ja, Sir“ antworten, als wären sie Soldaten und er ihr Vorgesetzter. Seine Vaterrolle definiert er nicht etwa über eine emotionale Beziehung zu seinen Kindern, sondern lediglich über seine Funktion als Beschützer: „Ein Vater beschützt. Das ist es, was ihm Bedeutung gibt.“ Patriarchaler geht es kaum.

Auch nachdem sein Sohn Lo‘ak mehrmals durch die Nachahmung ebendiesen toxischen Männerbilds von Stärke und Überlegenheit in Schwierigkeiten gerät, bleibt ein von Empathie getragenes Vater-Sohn-Gespräch aus. Erst als Lo’aks leichtsinniges Verhalten seinem älteren Bruder Neteyam zum Verhängnis wird, zeigt Jake emotionales Interesse. Zu einer Aussprache, die über „Ich sehe dich“ hinausgeht, kommt es jedoch nie. So verpasst der Film die Chance, dem stereotypen Verhalten der heranwachsenden Jungen des Films etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil: Als Lo’ak eine Prügelei beginnt, drängt Jake ihn nur zum Schein zu einer Entschuldigung. Unter vier Augen erkundigt er sich dann, ob das Gegenüber wohl schlimmer zugerichtet sei, und zeigt sich zufrieden mit der Überlegenheit seines Sohnes in der körperlichen Auseinandersetzung. Konfliktlösung ohne Gewalt? Fehlanzeige. Boys will be boys. 

Die Sully-Familie, v. l. n. r.: Kiri (Sigourney Weaver), Neytiri (Zoe Saldaña), Neteyam (Jamie Flatters), Lo'ak (Britain Dalton), Tuk (Trinity Bliss) und Jake (Sam Worthington)

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Intersektionalität

In Sachen Repräsentation marginalisierter Identitäten gibt es in Avatar: The Way of Water in vielerlei Hinsicht wenig zu sehen. Queerness ist im Film beispielsweise kein Thema, obwohl er mehrere (hetero)romantische Beziehungen zeigt oder zumindest andeutet. Na‘vi mit Behinderungen oder auch nur alte und gebrechliche Na‘vi scheint es nicht zu geben. 

Interessant wird es eigentlich nur beim Thema race. Die Na‘vi sind laut James Cameron von indigenen Völkern Amerikas inspiriert, die Metkayina unter anderem von den Māori. Wie auch sein Vorgänger, zeigt sich Avatar: The Way of Water solidarisch mit den Na’vi als indigener Bevölkerung Pandoras im Kampf gegen den Kolonialismus durch die Menschen. Die Intention hinter den Parallelen zwischen den Na’vi und menschlichen indigenen Kulturen mag also durchaus eine gute sein und Cameron selbst setzte sich bereits vor Jahren (auf nicht unumstrittene Art) für die Rechte indigener Völker ein. An der Aneignung von Elementen indigener Kulturen, z. B. der Māori, gab es jedoch auch Kritik von Betroffenen, ebenso wie an der fehlender Miteinbeziehung indigener Menschen bei der Produktion und Camerons Aussagen über die Lakota Sioux in einem Interview zum ersten Avatar-Film.

Der Metkayina-Clan, im Vordergrund Ronal (Kate Winslet) und Tonowari (Cliff Curtis)

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Wer die Na‘vi als Symbol für indigene Kulturen sieht, stößt auch schnell auf inhaltliche Probleme. Kritische Stimmen sahen den ersten Film der Reihe, in dem der menschliche Jake zentral für den Widerstand der Na‘vi ist, als Version des white saviour-Tropes, bei dem eine weiße Person die als hilflos dargestellten People of Colour rettet. Auch am Anfang von Avatar: The Way of Water ist Jake noch Anführer der Omaticaya, für die menschlichen Invasoren der Kopf des Widerstands und auch bei anderen Na‘vi-Stämmen als großer Krieger bekannt — ein Ruf, den Neytiri beispielsweise nicht zu haben scheint, obwohl sie stets an Jakes Seite kämpft. Jake gibt seine Führungsrolle zwar ab, bleibt aber eine einflussreiche Person – selbst im ihm fremden Stamm der Metkayina – und wird selbst dann noch als Held gefeiert, als er den Krieg der bislang vollkommen friedlichen Gruppe mit den Menschen verursacht. Auffällig ist zudem, dass, obwohl Jake sich von den Menschen abgewandt hat und zum Na’vi geworden ist, die Familie seinen menschlichen Nachnamen „Sully“ angenommen hat und sich häufig kollektiv als „Sullys“ bezeichnet.

Wenn die Na‘vi also ein Symbol für indigene Völker und die Menschen für die weißen Kolonialherren sind, was heißt das für Jake? Hat der erste Avatar-Film, als der menschliche Jake dauerhaft seine Avatar-Form annahm, einen weißen Menschen zu einer indigenen Person of Colour gemacht und damit quasi die Na’vi-Version von Blackfacing betrieben? Oder ist in Avatar: The Way of Water letztendlich, trotz der angeeigneten indigenen Symbolik, ein weißer Mann die Hauptfigur, während seine indigene Frau nur eine Hintergrundrolle einnimmt?

Hinter der blauen Fassade ist die Besetzung des Films in Sachen race übrigens halbwegs divers. Unter den Darsteller*innen der Metkayina, beispielsweise Tonowari, finden sich einige Māori, während Neytiri von der Schwarzen Latina Zoe Saldaña verkörpert wird. Allgemein finden sich sowohl unter den Na’vi-Clans als auch den Menschen einige People of Colour in der Besetzung. Wirklich sichtbar ist diese Repräsentation allerdings nur für Menschen, die sich bewusst mit der Besetzung hinter den durch Motion Capture animierten Na’vi befassen, denn im Film sind die meisten Darsteller*innen unter all diesen Effekten nicht erkennbar. Hinter den wichtigsten handlungstragenden Figuren – Jake, Quaritch, Lo’ak – stehen durchweg weiße Darsteller.

Jake (Sam Worthington) und Neytiri (Zoe Saldaña), mit Tuk (Trinity Bliss) auf dem Arm, auf dem Weg zu den Metkayina

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Dresscode & Sexappeal

Obwohl es sich bei den Na’vi nicht um Menschen, sondern um eine fiktive Spezies handelt, ähneln sie auffällig unseren gängigen westlichen Schönheitsidealen: groß gewachsen, dünn, durchtrainiert, bei den Frauen mit „weiblichen Kurven“. Die knappe Bekleidung — bei Männern häufig ein Lendenschurz und freier Oberkörper, bei Frauen zusätzlich eine minimale Bedeckung der Brüste — betont diesen Körperbau umso mehr. Besonders praktisch oder robust wirkt diese Kleidung nicht für Personen, die – z. B. beim Klettern  oder Tauchen – ständig in Bewegung sind. Dass selbst Kinder diese Kleidung tragen, lässt zwar vermuten, dass die Na’vi nackte Haut und knappe Outfits nicht als aufreizend oder skandalös empfinden. Mit der Bedeckung der Brustwarzen überträgt der Film jedoch trotzdem unsere Sexualisierung und Tabuisierung von Brüsten auf die Na’vi. 

Darstellungen von Sexualität oder sexueller Anziehung gibt es in Avatar: The Way of Water kaum, was eine Szene umso auffälliger macht: Als Lo’ak Tsireya (Bailey Bass), Tonowaris Tochter, zum ersten Mal sieht, steigt diese gerade aus dem Wasser. Dabei schaut sie intensiv in die Kamera und wirft wimpernklimpernd ihre Haare zurück in einer Manier, die an Ursula Andress’ oder Halle Berrys Auftritte als „Bondgirls“ erinnert. Warum bekommt ausgerechnet eine (vermutlich) minderjährige Figur und eine zum Drehzeitpunkt minderjährige Schauspielerin eine Szene, in der sie nicht nur dem Jungen, den sie bezirzen will, sondern auch allen erwachsenen Menschen im Kinopublikum als Sexobjekt erscheint?

Tsireya (Bailey Bass)

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Dramaturgie 

Trotz starker Darstellerinnen wie Zoe Saldaña, Sigourney Weaver und Kate Winslet und mehrer weiblicher Figuren mit Heldinnenpotential – sei es durch Neytiris und Ronals kriegerische Fähigkeiten oder Kiris besondere Verbindung zu Pandora – ist Avatar: The Way of Water ein klar männlich dominierter Film. Einen Großteil des Films steht weiterhin Jake im Fokus, als Erzähler, Ziel des Antagonisten Quaritch und als primärer Entscheidungsträger unter den Na’vi-Figuren. Daneben konzentriert sich der Film vor allem auf Lo’ak, insbesondere seine Alleingänge, die ihn und andere in Schwierigkeiten bringen und so die Handlung vorantreiben. Auch seine Freundschaft und spätere spirituelle Verbindung mit dem Tulkun Payakan spielt eine wichtige Rolle und Payakan hat später mehr Einfluss auf den finalen Kampf als alle Frauenfiguren zusammen. Neytiri, Ronal und Tsireya sind zwar stets an der Seite ihrer (potentiellen) Partner, treffen jedoch kaum handlungsrelevante Entscheidungen.  

Von den Frauenfiguren bekommt einzig Jake und Neytiris Tochter Kiri relevante, auf sie fokussierte Szenen, insbesondere in Bezug auf ihre besondere Verbindung zu Pandora. Durch diese hat sie zwar große Kräfte, darf sie jedoch nur selten im Kampf oder zur Rettung anderer anwenden und ist in mindestens ebenso vielen Szenen selbst auf Rettung oder Schutz angewiesen. Andere Figuren beobachten ihre Kräfte im Film zwar, thematisieren sie jedoch kaum, erst recht nicht als besonders und wertvoll. Nachdem ihre Verbindung zum Baum der Geister einen Anfall auslöst, attestieren die menschlichen Wissenschaftler ihr stattdessen Epilepsie, pathologisieren ihre Besonderheit also lediglich. Hier ist noch Luft nach oben, denn mit ihren Fähigkeiten und den offenen Fragen zu ihrer Herkunft hat Kiri durchaus das Potential, in einem der kommenden Filme zur Hauptfigur und Heldin aufzusteigen. In Avatar: The Way of Water ist ihr, im Gegensatz zu ihrem Bruder, jedoch noch kein eigener Handlungsstrang vergönnt.

Kiri (Sigourney Weaver)

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Botschaft:

“Jungs bleiben Jungs“, Männer bleiben Krieger, Frauen im Hintergrund. 

 

Gesamtwertung: 2

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

 

Avatar: The Way of Water läuft seit dem 14. Dezember 2022 im Kino.

Charlie Hain