Blockbuster-Check: Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins
Weil der Bechdel-Test zwar cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Aufgrund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Ethan Hunt ist zurück. In Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins spielt Tom Cruise zum nunmehr siebten Mal die Rolle des Geheimagenten der Impossible Mission Force (IMF), der die schwersten, scheinbar unmöglichen Fälle übernimmt. Im Wettlauf mit verschiedenen Antagonist:innen suchen Ethan und sein Team diesmal einen Schlüssel, der es ermöglicht, eine gefährliche künstliche Intelligenz, die Entität, zu kontrollieren und als Superwaffe einzusetzen. Der Action-Streifen war im Vorfeld vor allem wegen seiner halsbrecherischen Stunts in aller Munde, die ihn ohne Zweifel zu einem visuell beeindruckenden Kinoerlebnis machen. Doch wie sieht es mit den Figuren und der Handlung aus feministisch-intersektioneller Sicht aus? Dieser Frage gehen wir im Blockbuster-Check nach.
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Held:innen
Protagonist und einziger wirklicher Held des Films ist — wenig überraschend für das Franchise — Ethan. Er erhält den Auftrag, den Schlüssel zu finden, versammelt den Rest des Teams um sich und etabliert das klassische Heldenmotiv des Films: Er will die Entität zerstören, um sicherzustellen, dass niemand die Macht über eine so mächtige Waffe erlangt. Andere Figuren, z. B. die IMF-Agenten Luther Stickell (Ving Rhames) und Benji Dunn (Simon Pegg), schließen sich Ethan zwar in seiner Mission an, sind in der Rangordnung aber lediglich Mitglieder seines Teams. Sie arbeiten ihm fast ausschließlich unterstützend zu, während er die Pläne schmiedet, den Ton angibt und die wichtigen Aufgaben übernimmt.
Somit gehören die klassischen Heldenmomente des Films, von den aufwändigen Stunts bis hin zu den emotionalen Szenen, die eine Figur menschlicher und komplexer erscheinen lassen, fast ausschließlich Ethan. Er ist es beispielsweise, der in dem wohl waghalsigsten Stunt des Films mit einem Motorrad von einem Berg fährt, um auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, und er ist es, der mit dem Tod zweier geliebter Menschen eine persönliche Verbindung zum Antagonisten und ein persönliches Motiv hat. Als Heldengeschichte ist Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins somit eine One-Man-Show.
Gegenspieler:innen
Gegenspieler:innen gibt es im Film einige, denn neben der (geschlechts- und körperlosen) Entität selbst haben auch verschiedene Geheimdienste Interesse daran, den Schlüssel zu finden und damit potenziell die Welt zu beherrschen. Geschlechtsbasierte Unterschiede gibt es hier auf den ersten Blick wenige. Sowohl der mysteriöse Gabriel (Esai Morales), der für die Entität arbeitet, als auch seine Handlangerin Paris (Pom Klementieff) gehen beispielsweise häufig mit roher Gewalt vor, während die Waffenhändlerin Alanna (Vanessa Kirby), DIN Denlinger (Cary Elwes) und CIA-Direktor Kittridge (Henry Czerny) lieber andere Figuren als Spielball nutzen, um sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen. Als Personen bleiben sämtliche Antagonist:innen ähnlich blass und eindimensional. Ihre Motivationen reichen von klischeehaft (Geld, Weltherrschaft) bis undurchsichtig (Hauptsache, Leid verursachen?) und wir erfahren wenig über irgendjemandes Vorgeschichte, nicht einmal über Gabriels, obwohl er und Ethan offenbar eine gemeinsame Vergangenheit haben.
Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass die Antagonistinnen alle auf die ein oder andere Art von Männerfiguren abhängig sind. Alanna ist zwar augenscheinlich ihre eigene Chefin, letztendlich aber auch Spielball von Gabriel und Kittridge, die sie bedrohen bzw. ihr Schutz versprechen. Grace (Hayley Atwell) wiederum handelt zunächst lediglich als Diebin in Alannas Auftrag und schließt sich später Ethan an, der sie mehrmals retten muss, während Paris ausschließlich Gabriels Befehle befolgt, bis sie sich kurz vor Ende auf Ethans Seite stellt, da dieser in einem Kampf ihr Leben verschont hatte. Auch unter den eindimensionalen Antagonist:innen nehmen Frauen also eine untergeordnete Rolle ein.
Geschlechterrollen allgemein
Die Frauen, die an Ethans Seite kämpfen, erfüllen leider häufig die sexistischen Nebenrollen einer Heldengeschichte. So muss Ethan mit Grace mehrmals die „Jungfrau in Nöten“ retten und Kittridge, die Entität und Gabriel verwenden Ethans Beschützerinstinkt und seine Gefühle für Ilsa gegen ihn, was in einer klassischen „Frau im Kühlschrank“-Szene gipfelt. Das irritiert insbesondere deshalb, da der Film beide Frauen an anderer Stelle als durchaus vielversprechende (potenzielle) Teammitglieder einführt. Ilsa hat sich bereits in den beiden vorherigen Mission: Impossible-Filmen als fähige Kämpferin und Schützin bewiesen und kann Ethan im anfänglichen Kampf in der Wüste durchaus das Wasser reichen. Grace wiederum ist eine talentierte und erfolgreiche Diebin, trickst Ethan in der ersten Filmhälfte mehrmals aus und weiß sich im Notfall auch im Nahkampf zu wehren. Ethan selbst erkennt diese Talente an, indem er sie als Agentin für die IMF vorschlägt.
Diese Darstellung beißt sich teilweise mit den schwachen Momenten der Frauen, welche leider mehr im Fokus stehen. Grace versagt bei ihrem Teil des Plans letztendlich, sodass Ethan übernehmen muss. Ilsa wiederum stirbt eigentlich einen Heldinnentod, als sie Grace vor Gabriel retten will, doch der Film inszeniert dies vor allem mit Fokus auf die Tatsache, dass die Entität Ilsa als Spielball benutzt, um Ethan Schmerz zuzufügen. Dass eine erfahrene und starke Kämpferin wie Ilsa in einem Zweikampf recht plötzlich stirbt, während Ethan mehrere solcher Zweikämpfe ebenso wie ein äußerst riskantes Feuergefecht anscheinend ohne einen Kratzer überlebt, verstärkt den Eindruck, dass ihr Tod nur als Mittel zum Zweck dient, um Ethans Geschichte voranzutreiben. Der Film verpasst hier die Chance, Ilsa und Grace als gleichberechtigte Held:innen mit Ethan Seite an Seite kämpfen zu lassen, in dem er ihre Talente und Geschichten beschneidet und herunterspielt.
Intersektionalität
Angesichts des starken Fokus auf Ethan allein ist es in Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins um Intersektionalität wenig überraschend nicht allzu gut bestellt. Alle relevanten Figuren sind augenscheinlich able-bodied, keine von ihnen thematisiert ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität und es gibt keine expliziten Darstellungen sexueller und/oder romantischer Beziehungen — für einen solchen Film nicht unbedingt ungewöhnlich. Wenn es zu Andeutungen sexueller Anziehung oder romantischer Beziehungen kommt, dann jedoch nur zwischen Männern und Frauen.
Mit Esai Morales gibt es einen Latino unter den Hauptdarsteller:innen und unter den Nebenrollen befinden sich mit Luther, Paris und dem Agenten Degas (Greg Tarzan Davis) immerhin drei People of Colour, welche aber, wie die anderen Nebenfiguren, keine eigenständigen Geschichten haben. Paris’ Wandel am Ende und Degas’ Zweifel, ob Ethan nicht doch auf der richtigen Seite stehe, könnten allerdings ein Hinweis darauf sein, dass die beiden sich im zweiten Teil zu komplexeren Figuren entwickeln werden.
Dresscode & Sexappeal
Die Frauen in Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins, ebenso wie Held Ethan und Hauptantagonist Gabriel, sind allesamt normschön und sehen auch nach schweißtreibenden Kämpfen noch blendend aus. Immerhin inszeniert der Film sie jedoch nicht als Sexobjekte oder reduziert sie auf ihr Aussehen. Sie sind eher praktisch gekleidet, sei es im Alltag, im Kampf oder auf einer protzigen Party, und Sexappeal bzw. Sexualität spielen nur in wenigen Szenen eine Rolle. Selbst dann unterbinden Frauen eine Sexualisierung durch andere Figuren entweder schnell, oder nutzen sie zu ihrem Vorteil, jedoch ohne dass die Kamera die Frauen auch für das Publikum sexuell in Szene setzt. Nachdem z. B. zwei Handlanger Denlingers Paris sexuell belästigen, rächt sie sich prompt im folgenden Kampf.Als Alanna wiederum — scheinbar als spielerische Machtdemonstration — mit Ethan und Gabriel flirtet und dessen gutes Aussehen kommentiert, liegt der Fokus der Szene auf Ethans Anspannung und Sorge um den Schlüssel, nicht auf der Reaktion einiger Figuren auf die Attraktivität anderer. Enttäuschend ist dagegen eine Szene, in der Grace Ethan fälschlicherweise der sexuellen Belästigung beschuldigt, um ihn abzuschütteln, und mit Victim Blaming ein schädliches Vorurteil bedient, das häufig gegen Betroffene sexueller Gewalt verwendet wird.
Auffällig ist außerdem, dass der Film — auch in Abwesenheit von romantischen oder sexuellen Beziehungen — ein altes Hollywood-Klischee bedient und relativ junge Schauspielerinnen mit deutlich älteren Schauspielern paart. Das Alter der Darstellerinnen lag zum Drehzeitpunkt unter 40, während Schauspieler (weit) über 50 die relevanten Männerfiguren darstellen. Lediglich in den kleineren Nebenrollen finden sich mit Frederick Schmidt, der Alannas Bruder Zola spielt, und Greg Tarzan Davis auch Darsteller unter 40. Zwar ist das Alter der Figuren im Film nie direkt Thema, doch ähnlich wie ein solches Muster in Liebesfilmen den Eindruck vermitteln kann, Frauen wären (im Gegensatz zu Männern) ab einem bestimmten Alter nicht mehr begehrenswert — oder gar existent —, zeigt Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins fitte und heldenhafte bzw. gefährliche Männer jenseits der Lebensmitte, jedoch keine entsprechenden Frauenfiguren und vermittelt so ein ungleiches Bild. In Kombination mit dem Fokus auf die schwachen Momente von Frauenfiguren wie Grace und Ilsa hinterlässt dies in Bezug auf die Geschlechterdynamik einen schalen Beigeschmack.
Dramaturgie
Als einziger Held und klare Hauptfigur des Films ist es auf Seiten der Guten primär Ethan, der die Handlung antreibt. Er steht die meiste Zeit im Zentrum der Erzählung, schmiedet Pläne, gibt Befehle, übernimmt die größte Verantwortung und hat als einziger Charakter mit den meisten anderen Figuren, inklusive Antagonist Gabriel, eine persönliche Beziehung bzw. Vorgeschichte. Wenn der Film zu den Perspektiven anderer Teammitglieder, z. B. Grace, wechselt, dann in der Regel parallel zu Ethan-Szenen. Der Fokus von Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins liegt grundsätzlich eher auf der Mission als auf den persönlichen Geschichten oder Beziehungen einzelner Figuren, doch wäre es jemandes Geschichte, dann wäre es Ethans.
Auf der Gegenseite zieht primär die Entität die Fäden, welche jedoch nur in wenigen Szenen „persönlich“ in Erscheinung tritt und über deren Motivation und Pläne die anderen Figuren und das Publikum nur spekulieren können. Bis auf die Szene, in der sie Ethan davon abhält, Ilsa zu retten, hat sie keinen erkennbaren direkten Einfluss auf die Handlung. In der physischen Welt ist es Gabriel, der ihre Pläne ausführt und in seinen Szenen andere Teile der Handlung in Gang bringt oder verkompliziert. Mit dem Mord an Ilsa bringt er beispielsweise Ethan in ein Dilemma, das die Mission gefährden könnte, und seine Sabotage des Zuges führt das dramatische Finale herbei. Ansonsten trifft keine:r der anderen Gegenspieler:innen nennenswerte, für die Handlung relevante Entscheidungen und auch Gabriel bleibt als Person eher blass.
Botschaft:
Mission: Frauen als eigenständige Heldinnen? Impossible.
Gesamtwertung: 3
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
Mission: Impossible — Dead Reckoning Teil Eins läuft seit dem 13. Juli im Kino.
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