Drei Gedanken zu: Babylon

Damien Chazelles Babylon, der zweite Film seit dem Oscar-prämierten La La Land, präsentiert eine paradoxe Sezierung Hollywoods inmitten des Übergangs von der Stumm- zur Tonfilm-Phase. Wir beginnen mit Manuel Torres (Diego Calva), einem mexikanischen Einwanderer, der durch seine klugen Entscheidungen und seine Leidenschaft in Hollywood Fuß fassen will; bald treffen wir Nellie LaRoy (Margot Robbie), eine aufstrebende Schauspielerin, die entschlossen ist, sich in der Stadt der Angels einen Namen zu machen; schließlich taucht Jack Conrad (Brad Pitt) auf, der für einen ehemals erfolgreichen Schauspieler steht, der nun in ein neues Zeitalter der sprechenden Bilder eintritt. Während der 189 Minuten verbringen wir weniger Zeit damit, eine Geschichte zu entwickeln, sondern nehmen am Antrieb einer defekten Rakete teil, die ihren höchsten Punkt außerhalb der Atmosphäre erreicht, und werden heimlich Zeuge ihres Falls, während sie vor unseren Augen verbrennt. In seinen übergroßen Ambitionen zeigt der Film eine Vielzahl von Problemen auf, die es den Kritiker:innen schwer machen, über die bloße Kategorisierung von gut und schlecht hinauszublicken und sich mit den Fehlschlägen und Erfolgen zu befassen, die diesen Urteilen zugrunde liegen. In Babylon haben wir einen Film, der in seinen Einflüssen verwirrt ist, einen Film, der die Geschlechterkritik insofern notwendig macht, als er vorgaukelt, dass nichts falsch ist, und einen Film, der zu denken vorgibt, während er seine Frauenfiguren zurücklässt. ___STEADY_PAYWALL___

Ein Film verloren zwischen seinen Einflüssen

Chazelles Vision eines Hollywoods der Stummfilmzeit, das in den Ton übergeht, ist zweifellos ein gelungenes technisches Objekt. Seine anhaltenden Kamerafahrten, Peitschenpfannen und Kamerabewegungen, gepaart mit einem unverwechselbaren und gefühlvollen Einsatz von Farbe, erinnern an: Martin Scorsese und Paul Thomas Anderson. Ob Mensch die beiden in einem Atemzug mit Chazelle nennen möchte,, bleibt eine persönliche Entscheidung, die von der Perspektive dessen abhängt, was Scorsese und PTA in Werken wie Casino (1995) und Boogie Nights (1997) getan haben. In Casino entwickelt Scorsese eine verkorkste Verfallserzählung, die für seine Filme in dieser Zeit charakteristisch ist, mit einem Ensemble von Schauspieler:innen, die für große dramatische Momente gut gerüstet sind. Nostalgie, aber auch ein Gespür für Empathie für seine moralisch fragwürdigen Charaktere, werden für Scorsese zu einer Idee, die es zu verarbeiten gilt. Die Mafia ist in jenem Film ein Objekt, durch welches diese Veränderungen mit Macho-Souveränität und Emotionalität miterleben werden können. So auch Boogie Nights, der einer ähnlichen Schablone folgt, bis hin zum Scorsese-Einfluss, einem Merkmal von PTAs früher Arbeit, indem er den Aufstieg und Fall eines Pornostars in sich verändernden Zeiten verfolgt.

Im Allgemeinen könnte Chazelles Nachahmung von Scorsese und PTA nicht deutlicher sein. Seine Vision von Hollywood ist sowohl von Nostalgie als auch von Begeisterung für die damalige Zeit durchdrungen. Auch seine Darsteller;innen und Mitarbeiter:innen sind bereit für, tja, Exzesse. Doch während Scorsese und PTA begreifen, dass ein solcher Exzess ein Mittel ist, um andere Ideen zu vermitteln, und es trotz einiger fragwürdiger Elemente gelingt, den Exzess zum Mittel, aber nicht zum Zweck ihrer Filme zu machen, füllt Chazelle seinen Film mit einem unverantwortlichen Exzess, der von allen normalisiert werden soll, von den Protagonist:innen über Nebenfiguren bis hin zu einer ganzen Branche. Man könnte sagen, dass der Exzess viele seiner Figuren heimsucht, wie auch zum Beispiel die Charaktere in Casino und Boogie Nights, jedoch scheint Chazelles Vision zu unproduktiv widersprüchlich zu sein: Hollywood ist ein Ort des Exzesses, dessen Vergangenheit man ehren sollte, doch gleichzeitig wird er ja insgesamt als zentraler Punkt des amerikanischen Verfalls beurteilt. Der Regisseur scheint zu glauben, dass dieser Mischmasch von Visionen eine Ambivalenz darstellt, eine „komplexe“ Vision des Überflusses, der seinen Figuren einst zuteil wurde und nun von einer neuen Ära gestoppt wird, die schließlich auch endet und sich entwickelt. Babylon stellt eine traurige Reise dar, nicht wegen des Schicksals seiner Figuren, sondern wegen der reaktionären Tendenz zu glauben, zwischen Nostalgie und technischem Feuerwerk, dass jene Vergangenheitsdarstellung irgendwie „besser“ waren, so sehr er sich auch bemüht, dies zu relativieren.

© Paramount Pictures

Feministische Killjoys: Der Ton von Babylon löscht seine Figuren aus

Nirgendwo werden die reaktionären Tendenzen in Chazelles Werk deutlicher als in seinem Umgang mit weiblichen Figuren: Sie werden durch seine schonungslose, oft zynische Weltsicht auf das Innenleben von Hollywood unterdrückt. Der von Sara Ahmed um 2010 geprägte Begriff des feministischen Killjoys begleitet viele LGBTQI+-Kritiker:innen der Mainstream-Kultur schon seit einiger Zeit, und hier sollten wir ihn heranziehen, um zu verstehen, welche Rolle die Kritik an einem Film spielt, der aufgrund seiner auffälligen Theatralik und seiner technischen Errungenschaften leicht durchgehen kann. Feministische Killjoys weisen darauf hin, wenn etwas nicht stimmt, auch wenn dies die Stimmung des Gesprächs beeinträchtigt. Genau dieser Stimmungsumschwung ist das Ziel. Das, was „normal“ ist, sollte angeprangert werden. Die „Freude“, die getötet wird, ist oft trügerisch und im Film ist es oft die „Freude“, die man an großen Produktionen hat, die unterbrochen werden soll. Denn in vielen Fällen sind die Probleme nicht unbedingt in reinen „Männer“-Erzählungen zu sehen, die zu Recht kritisiert werden sollten, sondern in Werken, die vorgeben, von großen Ideen zu sprechen, und dies mit großen Momenten tun, die sich durch das Gewicht ihrer Ideen bemerkbar machen. In einer sich wandelnden Welt sind „Ideen“ nicht nur die Domäne von Männern, doch oft, und besonders bei Werken des Malestreams sehen wir die männliche Perspektive als wäre sie eine objektive, „große Idee“-Perspektive, die sich auf etwas Größeres als einen bloßen Standpunkt bezieht.

Genau in dieser Begegnung der großen Ideen findet Nellie LaRoy (Margot Robbie) ihr Ende als eine Art signifikantes Zeichen für die Notlage der Hollywood-Schauspielerinnen in der Stummfilmzeit. Auch ihr Leben wird von der Umstellung auf das Tonzeitalter eingeholt, doch im Gegensatz zu ihren Begleitfiguren ist ihr Leben eine Repräsentantin für die tragische, aber auch problematische Natur des Wunsches, Teil dieser Maschinerie zu werden. Ihre Geschichte ist tausendfach erzählt worden, so dass sie zu einem Archetypus geworden ist. Eine junge Schauspielerin möchte eine Zukunft in der Branche haben und beschließt daher, sich auf jeden Fall in diese Welt zu begeben, wobei sie ihr finanzielles und geistiges Wohlergehen riskiert. Nein, Nellie geht es nicht viel anders als Manuel oder Jack, was für den unerbittlichen Willen des Films spricht, das Innenleben der Figuren für die Präsentation von Überflüssigem auszuschlachten. Jedoch bleibt Nellie ein Objekt, das man entweder mit einem Gefühl der Bewunderung, der Verwunderung oder des Ekels betrachtet.  Andererseits ist die Handlungswelt der männlichen Figuren komplizierter, Jack bekommt ein inneres Lebens, das voller Gegensätze ist, indem seine Frauen ein Zeichen für seine mangelnde Stabilität sind, und wird schließlich als Symbol für die schwindenden gesunden Jahre belohnt. In der Tat wird Nellie oft lebendig, wenn sie von Manuel beobachtet wird, da er ein Stellvertreter ist, der neutrale Betrachter, der uns einen Zugang zu Chazelles Welt ermöglicht.

Und diese bliebe noch ein wenig neutraler, wenn Chazelle Manuel nicht nur zu Beginn des Films einen kurzen Blick auf Nellie und Jack gewähren würde. Jack ist dann in seiner eigenen Welt, kämpft mit seinen eigenen inneren Dämonen und bekommt eine Szene, in der Elinor St. John (Jean Smart) erklärt, wie die Dinge im neuen Hollywood sein werden. Nellie hingegen wird an Manuels Existenz gebunden. Sein beruflicher Aufstieg gibt ihm die Oberhand in der Beziehung, als sich das Machtgefälle verschiebt und Nellie nicht mehr die aufstrebende Schauspielerin ist, sondern eine Person, die es zu retten gilt. Während des ersten Teils von drei Stunden wird Nellie beobachtet, angestarrt, ihr Körper ist ihr eigener Machtfaktor, ein Objekt, das zu betrachten gilt, während sie sich in anachronistischen Tanzschritten bewegt. Wenn die Kamera endlich aufhört, ihrem Wunsch nachzugeben, ihren Körper zu bewundern, komplett mit Aufnahmen unter dem Rock, wird sie als weinender Körper benutzt, ausgebeutet von einer Regisseurin, die in Chazelles Welt keinen Funken Rücksicht auf den Körper vor ihr hat. Das geht ja Hand in Hand mit der Kritik an Hollywood als einer Maschinerie der unerbittlichen Produktion, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie sehr ihre Geschichte auf Klischees und Gedankenlosigkeit reduziert wurde, im Gegensatz zu den männlichen Figuren des Films, denen Zeit zum Nachdenken, zum Grübeln, zum Schmücken ihres Lebens mit ihrem Verstand und ihrer List, ihrer größten Erfindung, zugestanden wird.

© Paramount Pictures

Die Schaulust des denkenden Mannes

Laura Mulveys Gedanken zum Male Gaze sollten bei der Betrachtung von Babylon nochmal hervorgeholt werden:  Von seiner normalsten Verwendung (normalisiert von Mulvey in ihrem Essay „Visual Pleasure and Narrative Cinema“), bei der der männliche Beobachter auf das weibliche beobachtete Objekt starrt und somit diese Positionen in passiv und aktiv unterteilt, bis hin zu seinem komplexeren Verständnis, das verschiedene Register der Blicke unterteilt: der Figuren untereinander? dem:der Regisseur:in und den Figuren? Und die begleitenden Kritiken des Begriffs sind nicht weit von diesen Erklärungen entfernt: dass es Filme auf ein sehr grundlegendes Schema reduziert, dass ein sehr wörtliches Verständnis des Konzepts Nacktheit an keiner Stelle erlauben würde, sowie akademischere Debatten (die Psychoanalyse hat seit langem ein Hühnchen mit Mulvey zu rupfen). Die Kraft von Mulveys Argument liegt in seinem denunziatorischen Charakter. Seine zentrale Anklage, dass wir nicht genau genug auf unsere Narrative und deren männliche Voreingenommenheit schauen, mag heute bekannter denn je sein, doch sein populärer Gebrauch tendiert oft zur Reduktion, als ob weniger Nacktheit und mehr weibliche Figuren die Dinge automatisch besser machen würden (Hinweis: es hat lediglich mit der Produktionsweise selbst zu tun und nicht mit der bloßen Darstellung). Darüber hinaus kann ein Verständnis des Films als Ganzes mehr Licht darauf werfen, wie und warum weibliche Figuren zu kurz kommen.

In diesem Sinne wird durch die krawallige Erzählweise von Babylon jede einzelne Figur gleich dargestellt. Es ist ein Film, der sich damit rühmt, seine Titelkarte erst spät zu zeigen, nachdem hemmungslose Sequenzen mit Elefanten, Orgien, Partys und Sex den Rahmen gefüllt haben. Kamerafahrten und perfekt choreografierte Kamera- und Personenbewegungen verführen den Zuschauer:innen zu hypnotischen Reaktionen, die an die Techniken der inzwischen etablierten Meister des „ernsten“ amerikanischen Films erinnern, der in den USA derzeit an den Kinokassen einschläft, ähnlich wie Babylon selbst. Darüber hinaus zeichnet sich der Film durch einen Aspekt aus, der, vielleicht absichtlich, nicht zögert, seine Figuren im Staub zurückzulassen, entweder als Opfer oder als Gewinner von visuellen Streichen und Entscheidungen, die sie selbst herbeigeführt haben. Ist es also wirklich fair, Nellie als ein besonderes Opfer von Chazelles Kartenhaus herauszustellen, wenn jede einzelne seiner Figuren gegen Ende des Films lächerlich gemacht, ausgelacht oder zerstört wird? Ist der Beginn einer neuen Ära nicht zwangsläufig für alle durchaus schwierig? So wie Jacks Zeilenlesen im Film, einer seiner ersten Versuche, einen Tonfilm zu drehen, belächelt wird, muss auch Nellie ihre Takes immer wieder machen, bis sie perfekt sind, was zum Verrücktwerden des ganzen Personnels beiträgt. Leiden diese Figuren nicht in gleichem Maße?

Das Problem hat hier weniger mit erzählerischer als mit historischer Handlungsfähigkeit zu tun. Chazelles Erzählung gleicht seine Figuren zwar aus, gibt ihnen Schmerz und Gewinn gleichermaßen, doch seine, nicht Manuels, nicht Jacks, Behandlung eines historisch entmachteten Körpers sagt mehr darüber aus, was er für intellektuell und kreativ interessant hält, um es zu entwurzeln und auszupacken. Babylon ist zu einem großen Teil eine Entlarvung der Hinterbühne Hollywoods, seiner Verbrechen, seiner Exzesse, alles im Dienste einer äußerst uneinheitlichen Analyse der Widersprüche eines der aufregendsten und gleichzeitig schrecklichsten Arbeitsorte der Welt. Über die gesamte Laufzeit von drei Stunden hinweg sind die Menschen, denen in ihrem Untergang ein gewisses Maß an Würde zugestanden wird, in erster Linie denkende Männer, die, ähnlich wie Chazelle selbst, Frauen als schmückendes Beiwerk betrachten, das ihr Leben „begleiten“ kann, solange sie es ihnen nicht schwer genug machen, in ihrer Nähe zu sein. Schande, Pech, finanzieller Zusammenbruch und emotionale Enttäuschung treffen niemanden gleichermaßen, und soweit ein Revisionismus möglich ist (der mexikanische Migrant, der es nach oben schafft; der ehemals erfolgreiche Schauspieler, der auf seine Weise aus dem Spiel aussteigt), gibt es keinen Raum für ein Überdenken der Rolle der Schauspielerin als ausgebeuteter Körper, der für Tränen und Melodrama bereit ist. Sie bleibt, passend zum Zweck, schlimmstenfalls ein Nebeneffekt der Erzählung und bestenfalls ein sich rastlos bewegender Körper, ein Gesicht voller Tränen, die Schaulust des denkenden Mannes.

Giancarlo M. Sandoval
Letzte Artikel von Giancarlo M. Sandoval (Alle anzeigen)