Im Fokus – Darja Pilz: Sharaf
Für unsere Reihe Im Fokus hat Gast-Löwin Susanna Salonen diesmal Kamerafrau Darja Pilz und ihre Arbeit an dem Film Sharaf ausgewählt. Ihre Entscheidung begründet sie so:
“Der arabische Frühling, der für die ganze Region zwischen Marokko und Syrien neue Hoffnung auf Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit brachte, ist etwa zwölf Jahre her. Ich freue mich, dass es in Europa möglich ist, Filme zu machen, die sich künstlerisch mit der Situation dort heute auseinandersetzen – Filme, die dort von der Zensur nicht zugelassen würden. Ich bin beeindruckt von Darjas Lichtkonzept, seinen Farben – es wirkt auf mich authentisch und außergewöhnlich zugleich… so wie vieles in diesem Film.”
Also hat Susanna Salonen, selbst Kamerafrau und Regisseurin, Kollegin Darja Pilz über ihre Arbeit an dem Film interviewt.
Susanna Salonen: Worum geht es in Sharaf?
Darja Pilz: Der Film erzählt die Geschichte der Hauptfigur Sharaf (arabisch für „Ehre“), die inhaftiert ist und mit einem komplexen hierarchischen Mikrokosmos innerhalb der Gefängnisstrukturen konfrontiert wird. Mit der Zeit muss Sharaf erkennen, dass er völlig auf sich allein gestellt ist und sich schließlich ohne fremde Hilfe behaupten muss. Doch das hat seinen Preis. Als er in die Fänge von Manipulation und Erpressung gerät, beschließt er, seine Aufrichtigkeit aufzugeben, um sich selbst zu retten.
Euer Film hat ein eigenes, klares visuelles Konzept. Wie ist das Konzept entstanden?
Unser Ziel war es, einen Stil des magischen Realismus zu schaffen, der die absurden Ereignisse mit dem ihnen innewohnenden Humor in die Tragödie von Sharafs Gefangenschaft und Leiden einbezieht. So wie unser Protagonist zwischen seiner Traumwelt der materialistischen Erfüllung und der Realität von Armut, Korruption, Willkür und Ungerechtigkeit hin- und hergerissen ist, verwendet die Kamera sowohl stilisierte Elemente als auch direkten Realismus.
Die Lichtgestaltung war ein wichtiges Element, um Authentizität zu schaffen. Ich habe mich an den realen Lichtquellen in den Straßen Nordafrikas orientiert und mich dann für echte HQI-Lampen entschieden, die diesen leichten Grünstich haben, und zusätzlich natriumdampffarbige RGB LEDs eingesetzt. Das ergab einen erstaunlichen Komplementärkontrast. Und deshalb war das Licht auch nicht „sauber“, wie man es vom Filmlicht her kennt. Es waren genau die Farbstiche, die dem Gefängnis seine authentische Düsternis verliehen.
Mit unserem brillianten Oberbeleuchter Dennis Krombach beschlossen wir, kein HMI und nur zwei Dinos als starke Kunstlichtquellen zu verwenden. Er brachte seine speziell angefertigten, ultraleichten und kompakten LED-Panels mit, die über eine App einfach in RGB einstellbar sind. Das hat uns in Anbetracht des Nutzlastgewichts des Lastwagens und des knappen Budgets gerettet.
Am Ende hatten wir nur ein paar Filmscheinwerfer auf unserem Lkw. Ich liebe die Qualität von Kunstlicht für die Hauttöne, verglichen mit HMI.
Wo habt Ihr gedreht?
Wir haben in einem Studio in Tunis / Tunesien gedreht.
Für die technisch Interessierten unter uns: Womit hast du gedreht?
Wir haben auf der Alexa Mini mit Leica Summicron gedreht. Die Leicas gehen wirklich sanft mit Hauttönen um und haben ein tolles Falloff in der Schärfentiefe. Ich finde den Look sehr natürlich und er passt sehr gut zu unserer Herangehensweise, uns an Filmmaterial-Looks anzunähern, weg vom sauberen digitalen.
Wie Viele Drehtage hattet Ihr?
Wir haben den Film in 19 Tagen gedreht.
Es geht um Verbindung, nicht um Trennung, und das ist auch der Grund, warum ich Filme mache.
Der Film spielt in einer arabischen Männerwelt. Wie hast du dich dieser dir fremden Welt angenähert?
Die Konflikte, die die Geschichte widerspiegeln, waren für mich vom ersten Moment an sehr universell. Unterschiede im Geschlecht oder in der Herkunft sind für mich keine Barrieren, die Berührungsängste auslösen. Warum sollte ich nicht auch eine Geschichte erzählen können, die von Männern handelt? Ich denke, es ist wichtig, sich der Unterschiede bewusst zu sein und sie nicht absichtlich zu überspielen. Ich vertraue auf mein Einfühlungsvermögen und meine Sensibilität, auf die Fähigkeit zuzuhören und auf den Mut, Fragen zu stellen. Letztendlich geht es um Verbindung, nicht um Trennung, und das ist auch der Grund, warum ich Filme mache. Das Gleiche gilt für kulturelle Unterschiede. Die Tatsache, dass der Film in einer anderen Kultur spielt als der, in der ich aufgewachsen bin, hat mich dazu gebracht, tiefer zu recherchieren und herauszufinden, welche Dinge ich dadurch vielleicht anders interpretiere oder sehe. Die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Samir Nasr war dabei entscheidend. Wir haben uns viel über Kultur, Lebensweisen und vor allem über die Geschichte der arabischen Länder ausgetauscht.
Wie war es für dich als deutsche Frau in Tunesien und mit einem tunesischen Team zu drehen?
Wenn ich im Ausland drehe, fühle ich mich als ihr Gast und weiß, dass ich diejenige bin, die sich an die lokalen Strukturen anpasst, wo es nötig ist. Das ist an sich eine schöne Herausforderung und gibt mir immer die Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern.
Leider war der Zeitplan für die Produktion so eng, dass wir kaum die Möglichkeit hatten, das tunesische Team vorher richtig kennenzulernen, und das Zusammenfinden fand in den ersten Drehtagen statt. Ich habe gelernt, dass am Set sehr wohl hierarchische Strukturen erwartet werden. Ich arbeite gerne mit flachen Hierarchien, aber ich musste mich anpassen, damit die Kommunikation gut läuft. Ich glaube, wir sind von beiden Seiten aufeinander zugegangen und hatten irgendwann einen guten Rhythmus. Und ich habe ein paar arabische und französische Sätze gelernt, die das Eis schnell gebrochen haben.
Was die Tatsache angeht, dass ich eine Frau bin, muss ich ganz ehrlich sagen, dass das überhaupt kein Problem war. Ich hatte nicht ein einziges Gespräch darüber, wie es ist, eine weibliche DOP zu sein, ob es schwierig ist in der „männerdominierten Branche“. Das sind typische Sätze, die man an deutschen Sets gefragt wird. Ich hatte das Gefühl, dass dort niemand die Tatsache in Frage stellt, dass Frauen genauso hinter der Kamera stehen wie Männer.
Die Verbindung und Liebe zur Geschichte hat mir immer wieder aufs neue Kraft und Motivation gegeben.
Was war die Herausforderung bzw. das Besondere an diesem Projekt im Vergleich zu Deinen vorherigen Arbeiten? Seid Ihr bei der Umsetzung des Konzepts auf Probleme gestoßen, die Du so nicht erwartet hattest? Wie habt Ihr diese Probleme gelöst?
Ich habe bereits Erfahrungen mit Dreharbeiten im Ausland gesammelt. Die Herausforderung besteht immer darin, die visuelle DNA und die Geschichte nicht zu gefährden. Dazu muss man die Bedingungen, unter denen der Film gedreht wird, konzeptionell erfassen und in die eigene Arbeitsweise integrieren, anstatt gegen sie zu arbeiten.
Da wir nur wenige Drehtage hatten, entschieden wir uns für eine sehr klare Aufteilung und für starke Master Einstellungen, die das Zusammenspiel des Ensembles zeigen. Die Nahaufnahmen wurden sehr selektiv eingesetzt. Es gibt Szenen, die fast nur eine Einstellung brauchen und großartig funktionieren. Deshalb haben wir uns entschieden, nicht auf Deckung zu drehen, sondern die wenige Zeit, die wir hatten, in wenige, aber stark realisierte Aufnahmen und vor allem in die Leistung der Schauspieler zu investieren.
Die Menge an Technik, die wir mitbringen konnten, war sehr begrenzt. Also arbeitete ich mit unserem Oberbeleuchter zusammen, um Wege zu finden, den gewünschten Look mit den Mitteln zu erreichen, die den Bedingungen entsprachen. Gemeinsam mit ihm konnten wir sowohl die neueste LED-Technologie als auch ganz klassische Kunstlicht-Looks einsetzen. Diese Mischung verleiht dem Look eine ganz eigene Identität.
Was nimmst du – für dich – mit von diesem Dreh?
Dieser Film war immer lebendig, er hat sich mit den äußeren Begebenheiten immer mit verändert. Die Entstehung wurde in jeder Phase von Pre- zu Postproduktion von politischen Konflikten beeinflusst. Große globale Konflikte sowie auch die kleinen, aber für den Film ausschlaggebenden, die in der Filmbranche auch an der Tagesordnung stehen. Ich musste mich bei all diesen Herausforderungen, die teils sehr nervenaufreibend waren, immer wieder zurückbesinnen, warum es für mich so wichtig ist, diese Geschichte zu erzählen. Die Verbindung und Liebe zur Geschichte hat mir aber immer wieder aufs Neue Kraft und Motivation gegeben. Das hat für mich bestätigt, dass das Wichtigste bei der Auswahl der Projekte nach wie vor der eigene Zugang zu dem Film und seinen Charakteren ist.
Und was genauso wichtig ist, ist die menschliche Verbindung zur Regie und den Teammitgliedern, mit denen man am engsten zusammenarbeitet. Die Kollaboration mit dem Regisseur Samir hat mir gezeigt, dass man, wenn man auf derselben Wellenlänge ist und einander vertrauen kann, auch die schwierigste Herausforderung meistert.
Vieles, was am Set passiert, kann man nur sehen, wenn man ein Gespür für die Figuren entwickelt hat.
Wie bist du zum Film/ zur Kameraarbeit gekommen? Welche Vorbilder hattest Du und welche Kameraarbeit in welchem Film beeindruckt dich noch heute?
Ich habe mit 16 meinen ersten Dokumentarfilm in einer Jugendfilmgruppe gedreht und war da schon hauptsächlich hinter der Kamera. Ich habe dann gleich mit 20 mein erstes Praktikum bei ARRI im Rental gemacht und mein Bachelor Studium in Audiovisuelle Medien / Kamera angefangen, mit dem Ziel an der Hamburg Media School meinen Master abzuschließen. Die Motivation kam eher von Innen heraus, ich hatte keine konkreten Filmvorbilder, die mich dazu gebracht haben den Beruf zu wählen. Das kam eher mit der Zeit, als ich dann mehr und mehr Filme geschaut habe, quer durch die ganze Filmgeschichte. Da haben mich die klassischen Meisterwerke von Tarkovsky und Kubrick sehr fasziniert. Wieviel Detailarbeit in jeder Komposition steckt finde ich absolut wahnsinnig. Jedes Bild ist so eigenwillig und fast schon pedantisch gewählt und es gibt keinen einzigen Frame, der einfach nur dafür da ist den Dialog zu übermitteln. Das ist ein Gestaltungswille den ich bewundere.
Was bedeutet – für dich – die alte Weisheit: „Die Kamera soll der Geschichte dienen”?
Der „Geschichte mit der Kamera zu dienen“ bedeutet für mich in erster Linie, dass die Motivation für alle stilistischen Entscheidungen immer im Einklang mit der Story Arc und der Motivation der Figuren steht. So entsteht ein mehrdimensionales Bild, d.h. nicht nur die physischen Dimensionen, sondern auch die emotional wahrnehmbare Energie.
Vieles, was am Set passiert, kann man nur sehen, wenn man ein Gespür für die Figuren entwickelt hat. Und dann traut man sich auch, präsent genug zu sein, um die unerwarteten Geschenke zu sehen, die sich manchmal bei den Proben ergeben, oder auch aus Herausforderungen oder Dingen, die auf den ersten Blick anders laufen, als man es geplant hatte.
Was wünschst du dir für die deutsche Filmlandschaft?
Einen starken Fokus auf Storytelling und Script Development mit Hauptfokus auf Social Impact, sprich Geschichten, die nah am Menschen das erzählen, was in uns allen und um uns herum vorgeht. Und dabei meine ich keinesfalls das klassische Sozialdrama, sondern stilsichere, ausdrucksstarke, außergewöhnliche Erzählstile und Gestaltungsweisen.
Wo kann man den Film sehen?
Der Film startet am 26.01.2023 in den Kinos. Und ich empfehle ihn im Kino zu sehen, weil ich ein größerer Fan der Musik bin, und die kommt im Kino am besten zur Geltung.