Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht
Die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen im Nationalsozialismus ist bis heute nicht abgeschlossen. Erst im vergangenen Jahr wurden eine 97-jährige KZ-Sekretärin und ein 102-jähriger KZ-Wachmann zu Haftstrafen verurteilt. Die späten NS-Prozesse begleitet stets die Frage: Warum erst jetzt? Oder auch: Warum jetzt noch? Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof suchen in ihrem Dokumentarfilm Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht Antworten auf diese Fragen. Dazu betrachten sie NS-Prozesse aus einer juristischen, politischen und persönlichen Perspektive im jeweiligen zeithistorischen Kontext.___STEADY_PAYWALL___
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht arbeitet heraus, wie sich die Rechtsauslegung mit einem gesellschaftlichen Diskurs um die Aufarbeitung von NS-Verbrechen verändert hat, sodass heute eine strafrechtliche Verfolgung ohne Einzeltatnachweis möglich ist. Fritz Bauer vertrat bereits in den Nachkriegsjahren die Auffassung, dass vor dem Hintergrund der systematischen Massenmorde im Nationalsozialismus keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden müsse, da jede:r Beteiligte ein Rädchen in der Mordmaschinerie gewesen sei.
Warum sich diese Theorie erst deutlich später durchsetzte ergründet Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht in zahlreichen Interviews mit Rechtswissenschaftler:innen und Jurist:innen, wie Prof. Dr. Sybille Steinbacher (Fritz Bauer Institut) oder Jens Rommel (bis 2020 Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen). Die Expert:inneninterviews stellen Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof zu einem detaillierten Überblick zusammen, der auch für Laien verständlich und interessant ist.
Die Bedeutung einer juristischen Aufarbeitung Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus zeigt Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht exemplarisch an zwei Prozessen gegen SS-Wachmänner des Konzentrationslagers Stutthof. Die Verhandlungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und bieten einen Anlass zur Erinnerung. Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof holen die Diskussion aus dem Gerichtssaal in die Öffentlichkeit, indem sie Aufnahmen aus den Prozessen und aus den Lagern als Projektionen auf den Fassaden der Gerichtsgebäude zeigen.
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht begleitet die Überlebenden Judith Meisel und Roza Bloch, ihre Nachfahren und die Anwält:innen der Nebenklage. Der Film hebt hervor, dass die Überlebenden wichtige Zeug:innen der NS-Verbrechen sind, die zugleich ein berechtigtes persönliches Interesse an einer Aufklärung und Aufarbeitung haben. Die Feststellung eines deutschen Gerichts, dass Unrecht geschehen ist, berücksichtigt ihre Perspektive und ihr Gerechtigkeitsempfinden.
In seiner Mischung aus juristischer Sorgfalt und großem Einfühlungsvermögen liefert Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht Argumente und weckt Verständnis für die zwingende Notwendigkeit einer juristischen Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus.
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