Body of Truth

Marina Abramović ist als eine Künstlerin bekannt, die ihren Körper an die Grenzen bringt, über die Grenze vielleicht sogar. Sie muss den Schmerz erfahren, um ihn zu überwinden, so erklärt sie es selbst in Evelyn Schels Dokumentarfilm Body of Truth. Auch die israelische Künstlerin Sigalit Landau nutzt ihren eigenen Körper als Werkzeug für ihre Kunst, arbeitet jedoch im Unterschied zu der für ihre live Performances bekannten Abramović ausschließlich mit Installationen. Die Iranerin Shirin Neshat wiederum erforscht den Körper, insbesondere den weiblichen, über das Medium der Fotografie. Und bei Katharina Sieverding tauchen Körper vor allem in ihrem gesellschaftlichen Kontext auf.

© Börres Weiffenbach

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Der Körper der Wahrheit – was der Titel verspricht, müssen sich Zuschauer:innen in diesem Film recht mühevoll selbst erschließen. Die Verbindungen zwischen den vier portraitierten Künstlerinnen sind nicht immer offensichtlich und vor allem weniger über das Thema Körper als über das Werkzeug der Kunst zum Ausdruck eines subjektiven wie auch politischen Erlebens gegeben. Und so beginnt Evelyn Schels ihren Film auch mit privaten Einblicken in die Familiengeschichte ihrer Protagonistinnen. Oft finden sich bereits hier jene Gewalterfahrungen und Traumata, die die Frauen bis in die Gegenwart durch ihre Kunst verarbeiten und transportieren.

© Börres Weiffenbach

Einen weiteren Themenkomplex bilden die verschiedenen Bezüge zu nationaler Geschichte und Identität. Krieg, Vertreibung, Revolution und ihre gewaltsame Unterdrückung – diese Elemente finden sich in Leben und Kunst aller vorgestellten Frauen. Dabei steht die subjektive und in der Regel von Emotionen geleitete Auseinandersetzung mit diesen Themen im Vordergrund, nicht aber eine moralische oder auch moralisierende Haltung. Die Kunst ist zugleich ein Weg, die eigenen komplexen Emotionen zu erforschen, wie auch ein Vehikel, diese zu materialisieren und zu veranschaulichen.

Indem Evelyn Schels ihre Protagonistinnen im künstlerischen Schaffensprozess begleitet und über ihre Familien- und Lebensgeschichten interviewt, eröffnet sie neue Wege des Verständnisses für die Kunst der vier Frauen. Schels zeigt mit ihrer Auswahl von Protagonistinnen auch unterschiedliche Ansätze, den (weiblichen) Körper zugleich als Subjekt wie auch Objekt von Kunst zu nutzen, verzichtet aber darauf, diese Praxis im Umfeld einer sexistischen Kunstszene zu kontextualisieren oder auch nur zu kommentieren. Die Interpretation überlässt sie auch in dieser Hinsicht größtenteils ihrem Publikum.

Darin liegt sowohl eine Stärke wie auch eine Schwäche des Films: Einerseits gibt Evelyn Schels ihren Zuschauer:innen die Möglichkeit, nach eigenem Interesse und subjektivem Empfinden nach Zusammenhängen zwischen den Künstlerinnen zu forschen und daraus Schlüsse zu ziehen. Die Filmmontage ist in dieser Hinsicht also eher eine Form der Kuration, der Nebeneinanderstellung verschiedener Kunstwerke im Stil einer Ausstellung, und weniger eine sinngebende Narration. Gleichzeitig verschenkt Schels dabei aber die Chance, einem in der Kunstinterpretation weniger geübten Publikum den Zugang zu ihrem Film sowie den darin portraitierten Künstlerinnen zu erleichtern.

Dabei scheint die Dramaturgie das Publikum zunächst noch durch eine Verdichtung der Montage an die Hand nehmen zu wollen. Während anfangs die Passagen zu den einzelnen Künstlerinnen länger ausfallen, rücken die Figuren durch die immer kürzeren Portraitelemente näher zusammen, auch thematisch, so dass sie weniger als beliebig zusammengewürfelte Individuen und mehr als Repräsentant:innen einer Gruppe erscheinen. Doch Body of Truth verfolgt dieses Prinzip nicht bis zum Schluss, sondern lässt die einzelnen Figuren schließlich wieder auseinanderdriften. Dass das Finale dann wiederum im Treffen zweier der insgesamt vier Künstlerinnen besteht, ist ebenso verwirrend wie unbefriedigend. Es fehlt ein Schlusspunkt, der die zu diesem Zeitpunkt wieder nur lose verknüpften Protagonistinnen zu einer logischen Einheit verbinden und damit einen Anhaltspunkt liefern könnte, was uns die Künstlerin, in diesem Fall Evelyn Schels selbst, mit ihrem Kunstwerk Body of Truth sagen möchte.

© Börres Weiffenbach

Weshalb hat sie diese vier Frauen ausgewählt? Weil es Frauen sind? Weil sie (weibliche) Künstlerinnen sind? Weil ihre Kunst sowohl privat wie auch politisch ist? Weil sich vielleicht gerade in dieser Verschränkung weibliche Lebenswelt wie auch weibliches künstlerisches Schaffen ausdrückt – also in der zwangsläufigen Verknüpfung von Privatheit und Politisierung?

Diese letzte überaus spannende Frage liegt in Body of Truth leider nur als leise Andeutung verborgen. Als eine von vielen möglichen Varianten, aus der Zusammenstellung der vier Protagostinnen einen tieferen Sinn zu generieren. Das reicht aus, um Menschen anzusprechen, die ohnehin kunstinteressiert sind. Aber leider nicht als Zugang für jene, die es noch werden wollen.

Kinostart: 10. September 2020

Sophie Charlotte Rieger
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