Blockbuster-Check: Mortal Engines

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein

Und statt einer Inhaltsangabe gibt’s zur Einstimmung wie immer erst einmal den Trailer:

Held_innen

Das Wichtigste vorweg: Mortal Engines hat eine große Fülle an Heldinnen mit unterschiedlichen Funktionen und Positionen innerhalb der Handlung. Dennoch soll es hier in dieser ersten Kategorie um die Hauptfigur Hester (Hera Hilmar) beziehungsweise ihren Sidekick Tom (Robert Sheehan) gehen.

Hester besitzt eine eigene Agenda: Sie trachtet dem Londoner Historiker Thaddeus Valentine (Huga Weaving) nach dem Leben – ein, wie sich herausstellt, nobles und nicht egoistisches Ziel. Auch wenn sie als Alleinkämpferin in die Geschichte tritt, entwickelt sie sich zu einer fürsorglichen Person, die schließlich ihre persönliche Fehde dem Gemeinwohl hintenanstellen kann, wobei es sich zugegebener Maßen trefflich fügt, dass ihr persönliches Ziel zugleich auch das Überleben der Menschheit sichert. Hester ist klug, stark und mutig, mitnichten aber frei jeden Makels. Und genau das macht sie so sympathisch, so greifbar und zu einer guten Identifikationsfigur: Sie ist nicht perfekt!

An ihrer Seite steht mit Tom ein zunächst unterlegener, weil vergeistigter und verwöhnter junger Mann*. Nur mit Hesters Hilfe ist er in der Lage, außerhalb Londons zu überleben. Doch auch er wächst über sich hinaus und wird schließlich zum Helden. Am Ende kämpft er mit Hester und ihren Mitstreiter_innen auf Augenhöhe.

Das macht auch deshalb Sinn, weil es der Geschichte um die Auflösung von Machthierarchien geht, um einen Abschied des „Fressen und Gefressen werden“, das kapitalistische und patriarchale Gesellschaften bestimmt. Und so ist es nur konsequent, dass Heldin und Held nicht einfach nur die Rollen tauschen, eine starke Frauen*figur einen unterlegenen Mann* durch eine Reihe von Abenteuern hindurchrettet, sondern dass zwei Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht gleichberechtigt agieren.

© Universal

Gegenspieler_innen

Auf der Seite des Bösen sieht es etwas weniger gleichberechtigt aus, dort dominieren eindeutig die Männer*. Allen voran der schon erwähnte Thaddeus Valentine, der sich hier sukzessive als klassischer machtbesessener Bösewicht etabliert. Immerhin gibt es an seiner Seite eine ziemlich abgebrühte Ingenieurin (Sarah Peirse als Dr. Twix), hauptverantwortlich für das drohende Unheil, dass die Held_innen verhindern müssen. Und im Gegensatz zu Wonder Womans Doctor Poison steht die fiese Wissenschaftlerin in Mortal Engines auch nicht unter der grausamen Fuchtel ihres Vorgesetzten, sie blickt nicht permanent wie ein verschrecktes junges Reh und weckt infolgedessen bei uns keinerlei Mitleid, sondern ausschließlich Antipathie. Dafür aber hat sie deutlich weniger Screen Time und bleibt eine absolute Randfigur. Insofern fällt Mortal Engines in dieser Kategorie leider gnadenlos durch.

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Geschlechterollen allgemein

Die große Stärke des Films liegt eindeutig im großen Ganzen. Denn Heldin Hester bleibt keine Schlumpfine, sondern ist umgeben von vielen weiteren starken und interessanten Frauen*figuren. Da wäre beispielsweise die berühmt berüchtigte Revolutionärin Anna Fang (Jihae), quasi die Robin Hood dieses postapokalyptischen Europas, die von den Machthabenden gefürchtet und den Unterdrückten verehrt wird. Oh, wie herrlich die Selbstverständlichkeit, mit der diese Figur hier weiblich* identifiziert ist, grandios ihr erster Auftritt voller Autorität und Heldinnentum.

Aber auch in den kleineren Rollen finden sich mannigfaltige Frauen*figuren jenseits der klassischen Stereotype. Hesters verstorbene Mutter ist nicht einfach nur eine Mutter, sondern eine berühmte Wissenschaftlerin. Katherine Valentine (Leila George), die Tochter des Bösewichts, ist mehr als nur eine normschöne Blondine aus gutem Hause und bekommt völlig zu Recht schließlich einen eigenen Heldinnenmoment.

Selbst im Hintergrund, in Gruppenszenen, überall tummeln sich Frauen* unterschiedlicher „Formen und Farben“. Und: Sie dürfen sogar ihr Leben opfern! Entgegen dem Tabu des Hollywood-Kinos gibt es in Mortal Engines gleich zwei Märtyrerinnen!

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Aber auch auf der Seite der Männer* geht es differenziert zu. Neben Hauptfigur Tom wäre da vor allem der nicht mehr ganz menschliche Shrike (Stephen Lang) zu nennen, eine Art Symbol für die Folgen toxischer Männlichkeit*. Shrike ist das was von Menschen übrig bleibt, an die der Anspruch gestellt wird, gefühllos und ausnahmslos stark zu sein. Shrike ist eine entseelte Kampfmaschine, reine Aggression, ohne Menschlichkeit. So scheint es zumindest. Doch tief in ihm drinnen schlummert noch jener Mann*, der mehr ist all das, der Gefühle hat, Fürsorge und Liebe spürt. Shrike ist zugleich eine Warnung wie auch eine Entwarnung: Einerseits zeigt uns die Figur die logische und furchterregende Weiterentwicklung dessen, was wir noch immer mehrheitlich als männlich* definieren, offenbart aber zugleich auch, dass selbst die toxischsten Exemplare einen menschlichen Kern besitzen, den es lohnt zu adressieren.

Wo so viel Lob ist, muss aber auch Raum für Kritik bleiben: So kann ich nicht umhin zu erwähnen, dass alle regierenden Figuren Männer* sind – sowohl im kapitalistischen London wie auch im Osten auf der Seite des Guten.

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Intersektionalität

Die Hauptfiguren sind alle weiß – an diesem traurigen Fakt führt nichts vorbei. In den Nebenrollen jedoch schaut es schon diverser aus. Insbesondere unter den System-Gegner_innen herrscht große Diversität. Nicht zuletzt ist auch die große Revolutionärin Fang eine nicht-weiße Figur. Dazu wirkt sie trotz des durch Pronomen zweifelsfrei als weiblich* definierten Genders durch ihr äußeres Erscheinungsbild und Auftreten queer.

Diese Beobachtung führt jedoch zu einer erschreckenden Leerstelle in der insgesamt vielgestaltigen Welt des Films: Alle Liebesgeschichten, seien sie ausagiert oder angedeutet, sind heterosexuell. Genauso wie homosexuelle Figuren fehlen auch Menschen mit Behinderungen. Die Diversität der Inszenierung hat also spürbare Grenzen.

Nichtsdestotrotz ist Mortal Engines aus interdisziplinärer Sicht außerordentlich interessant, denn hier geht es nicht nur um den Rachefeldzug einer jungen Frau*, sondern um den Kampf politischer Systeme und Ordnungen. Es geht um die Dekonstruktion einer okzidentalen Perspektive, die den Westen immer als über-, den Osten als unterlegen annimmt. Denn wie kann Osten und Westen überhaupt noch eine Rolle spielen in dieser Welt, die nichts mehr mit den Landkarten aus dem 21. Jahrhundert zu tun hat?! Die rollende Mega-Stadt London ist nichts Anderes als eine rücksichtslose Kolonialmacht, die sich alles einverleibt, dem sie begegnet, und die ihre eigenen Werte als absolut und unanfechtbar überlegen definiert. In diesem Subtext finden sich viele Anknüpfungspunkte zu gesellschaftlichen Themen – auch und insbesondere jenseits der reinen Geschlechterfrage.

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Dresscode und Sex-Appeal

Mortal Engines kommt ohne die Sexualisierung der Figuren aus. Sexualität spielt überhaupt eine fast erschreckend untergeordnete Rolle, aber das wäre an anderer Stelle genauer zu erörtern. Besonders hervorzuheben ist der Umgang mit Hesters dominanter Gesichtsnarbe. Diese wird nur an einer einzigen Stelle als Makel erwähnt und das von einer Figur, die wir Zuschauer_innen als unsympathisch wahrnehmen. Ihr Urteil trägt also kein besonderes Gewicht. Am Ende der Geschichte, als sich Hester und Tom langsam näher kommen, tritt die Narbe der Heldin immer weiter in den Hintergrund, wird auch für uns quasi unsichtbar. Wenn wir sie schließlich durch Toms romantisierte Augen sehen, stehen Gesichtsnarbe und Schönheit in keinem Gegensatz mehr. Einfach zauberhaft!

Allerdings muss ich an dieser Stelle auch noch zugeben, dass ich in einer Kategorie gelogen habe: Frauen* kommen nämlich gar nicht in allen Formen und Farben vor. Stattdessen sind sie alle schlank. Die einzige dicke Frauen*figur ist eben erwähnte Unsympathin. Auch hier wäre in puncto Diversität noch etwas Luft nach oben.

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Dramaturgie

Es ist Hester, die mit ihrem ersten Attentat auf Valentine die Handlung des Films lostritt, doch es ist – wie üblich – der Bösewicht der schließlich ihren Verlauf bestimmt. Im Unterschied zu Tom aber, bleibt Hester der rote Faden der Handlung. Sie ist das Verbindungsglied zwischen den Guten und den Bösen ebenso wie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Oder anders formuliert: Sie ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte, die vor allem ihre Geschichte ist. Denn Hester nimmt nicht nur daran teil, sondern entwickelt sich als Figur weiter und ergänzt somit die Handlung um eine eigene Storyline. Darin unterscheidet sie sich maßgeblich von Tom, der zwar auch über sich hinauswächst, dessen Geschichte jedoch viel weniger Raum einnimmt, keine Rückblenden in Kindheitstage beinhaltet und in keinem engeren Zusammenhang mit dem Kernkonflikt des Films steht.

Botschaft

Es ist noch nicht zu spät, die Menschen aus dem Panzer toxischer Männlichkeit* zu befreien.

Gesamtwertung: 8

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Kinostart: 13. Dezember 2018

Sophie Charlotte Rieger
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