Blockbuster-Check: Wonder Woman

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!

Held_innen

Fünfzehn Jahre nachdem Sam Raimis Spider-Man im Kino die Ära der Comic-Superhelden einleitete, bekommen wir endlich einen Superheldinnenfilm zu sehen: Wonder Woman aus dem DC Universe. Das alleine ist schon ein Grund zur Freude, aber noch positiver ist die Tatsache zu werten, dass hier eine Frau*, Patty Jenkins, Regie geführt hat, was mitnichten selbstverständlich, sondern außergewöhnlich ist. Denken wir nur an Die Tribute von Panem oder Ghostbusters, die zwar um starke Frauen*figuren kreisten, aber trotzdem unter männlicher* Regie entstanden. Wonder Woman ebnet als großer Blockbuster mit entsprechendem Budget (auch wenn sich insbesondere an der CGI zeigt, dass hier weniger Geld als bei den „Männer*-Filmen“ floss) den Weg für mehr Regisseurinnen ins Mainstream Unterhaltungskino und ist damit definitiv ein Meilenstein in der Geschichte der Filmlöwinnen.

Doch Wonder Woman setzt auch in anderer Hinsicht neue Maßstäbe. Alleine dass der Film wie die weibliche* Hauptfigur heißt, es sich also nicht nur um eine Heldin, sondern um eine Titelheldin handelt, ist bemerkenswert. Und es geht weiter: Wonder Woman ist auch ganz und gar ihre Geschichte, ihre „Origin Story“, ihre Heldinnenwerdung. Der Film widmet sich voll und ganz seiner Hauptfigur.

© Warner

Als übernatürlich starke, mutige und edle Heldin ist Wonder Woman (Gal Gadot) ohne Frage eine durch und durch kraftvolle und darin außergewöhnliche Frauen*figur. Isoliert von der Menschen- bzw. Männer*welt aufgewachsen, hat sie im Gegensatz zu den dortigen Frauen* nicht „gelernt“, demütig den ihr zustehenden begrenzten Platz einzunehmen. Das Konzept der Misogynie ist ihr vollends fremd. Und so nimmt Wonder Woman alias Diana Prince mit herzerfrischender Selbstverständlichkeit den ihr zustehenden Raum ein – eine Einstellung, von der wir Frauen* uns alle eine große Scheibe abschneiden können. Zudem ist sie zu keinem Zeitpunkt auf die Hilfe von Männern* angewiesen, sondern rettet im Gegenteil ihrem Love Interest gleich mehrere Male das Leben. Patty Jenkins spart bei der Inszenierung dieser Szenen nicht an Pathos, sondern zelebriert mit Zeitlupen und dramatischer Musikuntermalung die gnadenlose Überhöhung ihrer Hauptfigur. Ob sie dabei das richtige Maß gefunden hat, ist eine Frage, die an dieser Stelle nicht erläutert werden soll.

Spannend an der Heldinnenfigur ist auch ihre Entwicklung, denn Wonder Woman muss zunächst die in ihr schlummernden Kräfte erkennen, bevor sie sich ihrer bedienen kann. Es handelt sich um einen klassischen emanzipatorischen Prozess, innerhalb dessen frau* sich ihrer Stärken ebenso bewusst wird wie der Ziele, die sie damit erreichen kann. Vollkommen entfalten aber kann die Heldin ihre Kraft erst mit einem gewissen Maß an Wut. Es ist dieser Moment, der in meinen Augen in Wonder Woman der wahrhaft magische ist: Diana, so ihr „bürgerlicher“ Name, darf, nein, sie muss wütend sein. Ich glaube nicht, dass sich hierin eine Befürwortung von Gewalt und Aggression versteckt, sondern vielmehr eine kraftvolle Absage an ein nett lächelndes, diplomatisches Frauen*bild. Wut ist in Ordnung. Es gibt gute Gründe wütend zu sein. Und Wut ist kraftvoll.

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Die im Superheld_innen-Genre obligatorische Liebesgeschichte, die auch hier freilich nicht fehlen darf, sollte im feministischen Kontext besonders kritisch hinterfragt werden, dienen Erzählstränge dieser Art doch zu oft der Unterminierung emanzipierter Frauen*figuren. In Wonder Woman allerdings raubt die Lovestory der Hauptfigur an keiner Stelle ihr Empowerment und ist somit keine Schwäche, sondern lediglich eine von vielen Facetten der mehrdimensionalen Charakterzeichnung. Denn Diana verlässt die Insel der Amazonen, auf der sie aufgewachsen ist, nicht für den zauberschönen Steve (Chris Pine), so wie dies in jedem Märchen der Fall wäre. Sie geht, um die Welt zu retten! Zugleich verbirgt sich in der Tatsache, dass Steve sich mit Diana in eine Frau* verliebt, die ihm in nun wirklich allen Belangen haushoch überlegen ist, ein kraftvolles Statement. Denn Jenkins zeigt uns hier keinen „Waschlappen“, der sich an die Schulter einer starken Frau* lehnen möchte, sondern einen überzeugten Kriegshelden, der sich selbst als überdurchschnittlich bezeichnet und dennoch von Wonder Woman niemals in seiner Männlichkeit* bedroht fühlt.

Aber… Wenn nur das Wörtchen „aber“ nicht wäre… Denn nebst aller Freude und Lob gibt es durchaus Wermutstropfen. Wonder Woman ist bei all ihrer Power ein weitgehend asexuelles Mädchen* und keine sexuell ermächtigte Frau*. Und damit meine ich nicht ihre Ausstrahlung, dazu komme ich später, sondern ihre eigene sexuelle Agenda. Mit kindlichen Rehaugen und überbordender Naivität hinsichtlich körperlicher Liebe, wirkt Diana auf eine kindliche Weise asexuell. Wo ihr an anderer Stelle so viel Kraft zugesprochen wird, entbehrt sie in dieser Hinsicht einen entscheidenden Teil weiblichen Empowerments. Denn auch wenn sich zwischen ihr und Steve eine Liebschaft anbahnt, so bleibt Wonder Woman das „Mädchen“, das vom starken Mann* verführt wird. Es scheint, als habe der Versuch, Diana nicht als Objekt der Begierde zu inszenieren, zu einer vollkommenen Entsexualisierung der Figur geführt, als wäre der Schritt vom Objekt zum Subjekt sexuellen Begehrens für Hollywood noch immer zu groß.

Schade, schade… für eine volle Punktzahl reicht das nicht. Einen weiteren Punktabzug gibt es zudem für die Tatsache, dass Wonder Woman trotz aller Heldinnenhaftigkeit der Märtyrerinnenmoment versagt wird. Auch diese Bastion der Leinwandmännlich*keit bleibt tragischer Weise unangetastet bestehen.

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Gegenspieler_innen

Der Geschlechterverhältnis der Bösewicht_innen liegt bei 2:1 – für die Männer*. Aber immerhin. Dennoch strauchelt Wonder Woman in dieser Kategorie erheblich. Dr. Poison (Elena Anaya), die grausame deutsche Chemikerin, kann als boshafte Figur leider kaum überzeugen, was auf ihre marginalisierte Position im Drehbuch zurückzuführen ist. Der Bösewichtin ist im Gegensatz zum männlichen* Endgegner keinerlei Hintergrundgeschichte vergönnt. Selbst die auffällige Narbe in ihrem Gesicht bleibt ohne jede Erklärung. Zudem erscheint sie unter der Fuchtel eines männlichen* Vorgesetzten mehr als Opfer denn als Täterin und löst schließlich als einzige der bösen Figuren Mitleid bei Wonder Woman und dem Kinopublikum aus. Schwierig gestaltet sich auch eine Szene, in der Steve Dr. Poison mit romantisch-kitschigen Phrasen zu bezirzen sucht, was nur deshalb nicht gelingt, weil er zu auffällig der überperfekten Diana hinterherstarrt. Dr. Poison lässt sich also nicht nur mit Schmeicheleien um den Finger wickeln, sondern performiert auch die eifersüchtige Zicke und bedient damit gleich zwei Klischees, die ihr Empowerment unterminieren. Insgesamt wirkt ihre Figurenzeichnung überaus bemüht, als hätte das Filmteam unbedingt noch eine Frauen*figur integrieren wollen, ohne so recht zu wissen, wie dies anzustellen sei. Letztlich verfügt Dr. Poison über kaum mehr Charisma als ein Goldhamster.

Eine Besonderheit ihres Handlungsstrangs ist jedoch der Schöpfungsakt eines weiteren Bösewichts – ein kreativer Akt, der so lange es nicht um Geburten geht, im Hollywoodkino fast ausschließlich männlichen* Figuren vorbehalten ist. Leider ist das Drehbuch an diesem Meilenstein so wenig interessiert, dass Dr. Poisons „Schöpfung“ für die Haupthandlung schließlich kaum eine Rolle spielt und – im Gegensatz zum Endgegner – Wonder Woman auch nicht annähernd das Wasser reichen kann. Insgesamt legt der Handlungsstrang Dr. Poisons die Vermutung voreiliger Kürzungen im Drehbuch nahe.

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Geschlechterrollen allgemein

Wie schaut es nun aber neben Wonder Woman aus? Bleibt sie eine „Schlumpfine“ oder gibt es in der Welt dieses Films tatsächlich noch weitere starke Frauen*? Die Antwortet lautet: Jein. Diana stammt von der Insel der Amazonen, eines reinen Frauen*- und Kriegerinnenvolkes. Die zum Teil von Schauspielerinnen über 40 (ja, auch das ist etwas Besonderes!) verkörperten Amazonen sind wahrlich atemberaubend – und das liegt nicht (nur) an ihren knappen Outfits, sondern vor allem an der ihnen sichtlich innewohnenden Kraft. Sie sind zugleich wunderschön wie auch kraftvoll wie auch sympathisch: mutige Kämpferinnen, versiert im Umgang mit Waffen und bei all dem moralisch integer. Es ließe sich aber durchaus die Frage formulieren, weshalb sich in der Logik der Geschichte Mutterschaft und Krieger*innentum auszuschließen scheint. Die einfache Antwort wäre das Fehlen von Männern* auf der Insel, doch ist dies eine sehr oberflächliche Analyse. Denn was auch immer die Erklärung auf der Handlungsebene sein mag: Die implizite Botschaft stellt Mütter und Kriegerinnen einander gegenüber, statt sie zu vereinen.

Tragisch gestaltet sich natürlich auch das nicht vorhandene Sexleben der Amazonen, auch wenn dieser Wermutstropfen durch einen kleinen Dialog zwischen Diana und Steve ein wenig abgeschwächt wird. Während zur Fortpflanzung Männer* sehr wohl dienlich seien, so die Amazone, wären sie für den Lustgewinn eher nebensächlich. Wir können also immerhin davon ausgehen, dass die Kriegerinnen irgendeine Form von Sexualität besitzen. Ein schwacher Trost.

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Insgesamt scheinen die Amazonen für einen zweite Welle Feminismus zu stehen, der sich vor allem in der Aufwertung des Weiblichen* und der Abgrenzung vom Männlichen* ausdrückt. Die Menschenwelt, die im Englischen auch als „Männer*welt“ übersetzt werden kann, habe Diana nicht verdient – so die Warnung ihres Volkes. Diana aber entscheidet sich gegen das Schwarz-Weiß-Denken und kommt schließlich zu dem Fazit, dass Menschen (= Männer) nicht durch und durch schlecht seien, sondern durchaus positive Eigenschaften besäßen. Insofern kann Wonder Woman auch als Entwicklungsgeschichte des Feminismus gelesen werden, von einer Kultur der Abgrenzung und (notwendigen!) Selbstwertstärkung hin zu einem Aufbrechen der binären Unterschiede. Weiterhin dient Diana als Beispiel für das Empowerment junger Mädchen*: Die Nachwuchsamazone soll zunächst nicht in die Kampfkunst eingeführt werden, auf dass sie niemals den Gefahren eines Schlachtfelds ausgesetzt sei. Doch ihre Mutter muss erkennen, dass das Schlachtfeld bereits da ist: Statt Mädchen* und junge Frauen* zu verstecken, um sie zu beschützen, sollten wir sie empowern, ihnen ihre Stärken aufzeigen und das Werkzeug in die Hand geben, mit dem sie sich in einer korrumpierten Welt ihren verdienten Platz erstreiten können.

Jenseits der Amazonen hat die Geschichte kaum mehr Frauen*figuren zu bieten. Neben der streitbaren Bösewichtin bleibt nur noch Steves Sekretärin Etta (Lucy Davis), die viel zu wenig Screentime hat, um ihr großes Potential einer tatsächlichen Identifikationsfigur (denn wer ist schon stark und perfekt wie Wonder Woman?) zu entfalten. Andere Frauen*figuren mit Namen gibt es nicht. Die Realität außerhalb der Amazoneninsel ist tatsächlich nicht nur eine Menschen- sondern auch eine Männer*welt.

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Dresscode und Sexappeal

Etta ist übrigens auch die einzige dicke Figur. Von der quirligen Sekretärin (denn dicke Frauen* müssen ja immer quirlig sein) einmal abgesehen, gibt es im Wonder Woman Universum nur schlanke, durchtrainierte, bildhübsche, wenn auch in Hinblick auf ihre Hautfarbe diverse, Frauen*. Während die Kleidung der Amazonen insgesamt unnötig sexy ausfällt, schießt das Outfit der Titelheldin endlos über das Ziel hinaus. Und hier argumentiere mir bitte niemand mit der Comic-Vorlage. Ich sehe einfach nicht ein, warum Superman und Batman Ganzkörperstrampler tragen dürfen und Wonder Woman mit einem Lendenschurz rumrennt, der nicht einmal ihr Höschen komplett bedeckt. Da muss eins sich wahrlich nicht wundern, wenn Menschen auf die Idee kommen, der Playboy sei das passende Geschenk zum „Men Only“-Screening.

Allerdings, und das macht der Film sehr deutlich, gibt es einen bahnbrechenden Unterschied zwischen halbnackten und sexualisierten Figuren. Denn obwohl Wonder Womans Outfit locker als Reizwäsche durchginge, verzichtet die Kamera von Matthew Jensen konsequent darauf, sie als Sexobjekt zu inszenieren. Im Gegenstz zu Chris Pine, der sich uns in einer Badeszene in all seiner maskulinen* Schönheit präsentieren darf und dabei auch noch seinen (leider unsichtbaren) Penis als „überdurchschnittlich“ beschreibt, muss Hauptdarstellerin Gal Gadot kein einziges Mal blankziehen. Einen absolut positiven Akzent setzt auch eine feministisch-bissige Szene, in der Diana Frauen*kleidung, zumindest die in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, als ungemein unpraktisch und ausschließlich von dekorativem Wert entlarvt.

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Der Teufel liegt aber auch hier mal wieder im Detail. Denn wo zwar die Kamera auf eine Sexualisierung der Figur verzichtet, macht es der Dialog bedauerlicher Weise zigfach wett. So wird Dianas makelloses Erscheinungsbild überdurchschnittlich oft thematisiert, weitaus öfter als ihre physischen und intellektuellen Fähigkeiten. Zudem gibt es einen wahrhaft ekelhaften Dialog zwischen zwei männlichen* Figuren, die in der Logik der Geschichte als Sympathieträger fungieren. Wenn sie als Figuren, die das Kinopublikum nicht in moralischen Zweifel zieht, die Amazonen auf potentielle Sexualpartnerinnen reduzieren, verändert sich auch unser Blick auf die Kriegerinnen.

Fragwürdig ist in meinen Augen auch die puppenhafte Perfektion der Heldin. Im Gegensatz zu ihren männlichen* Mitstreitern, haftet Wonder Woman einfach kein Körnchen Dreck an. Ja, selbst wenn ein ganzes Haus über ihr einstürzt, hat sie nicht einmal Staub im Haar. Und gibt es eigentlich wirklich einen triftigen Grund, Wonder Woman auf Keilabsätzen laufen und kämpfen zu lassen? Stets perfekt geföhnt und mit makellos manikierten Nägeln sind Diana ihre physischen Strapazen niemals anzusehen. In diesem Kontext entbehrt sie dieselbe Körperlichkeit wie hinsichtlich ihrer Sexualität: Sie bleibt in gewisser Weise ein engelsgleiches Kunstwesen, das nur bedingt als emanzipatorisch wertvolle Identifikationsfigur gelten kann.

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Dramaturgie

Wie bereits oben erwähnt, ist Wonder Woman eine Origin Story, die Hintergrundgeschichte für alle kommenden Abenteuer dieser Heldin. Diana Prince ist damit das unangefochtene Zentrum der Handlung, aber nicht zwingend auch ihr Katalysator. Auch wenn sie sich aus eigenem Antrieb dazu entscheidet, ihre Heimatinsel zu verlassen, um die Welt zu retten, ist es vorübergehend Steve, der den Weg der Rettung vorgibt, eine Strategie und einen Plan ausheckt und Diana dort hindurch manövriert. Bis die Heldin sich freistrampelt und beschließt ihren eigenen Weg zu gehen: „What I do is not up to you!“ Dennoch bleibt Steve bis zum Ende des Films eine starke Triebfeder für den Handlungsverlauf. Wenn wir Steve mit den weiblichen Sidekicks von Peter Parker oder Clark Kent vergleichen, nimmt er als Nebenfigur noch immer eindeutig zu viel Raum ein.

Und so bleibt Wonder Woman auch in dieser Kategorie hinter meinen Erwartungen zurück. Zu Groß ist Steves Einfluss auf den Verlauf der Dinge, zu zentral seine eigene Mission, neben der Dianas Ziel, den abtrünnigen Sohn von Zeus aufzustöbern, ohnehin eher nach diffusem Wahn und weniger nach durchdachter Weltrettungsstrategie klingt.

Botschaft

Frauen* glaubt an euch, versteckt euch nicht, seid wütend und kämpft für Euren Raum: „What you do is just up to you!“ Und es ist nie zu spät, die Welt zu retten!

Gesamtwertung: 6

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Kinostart: 15. Juni 2017

Sophie Charlotte Rieger
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