Berlinale 2018: Figlia Mia
Mit ihrem ersten Langfilm Sworn Virgin war Laura Bispuri schon 2015 im Berlinale-Wettbewerb vertreten. Nun konkurriert auch ihr neuer Film um den Goldenen Bären und zumindest was die Leistung ihrer Hauptdarstellerin Alba Rohrwacher angeht, hat Figlia Mia meiner Meinung nach durchaus Chancen.
Rohrwacher, die schon in Bispuris letztem Film die Hauptrolle übernommen hatte, tritt diesmal als trinksüchtige Verliererin am Rande der Gesellschaft auf, als die Sorte Frau*, die hierzulande vielleicht mit dem misogynen Begriff „Dorfmatratze“ betitelt würde. Trotz der tatkräftigen Unterstützung durch ihre Freundin Tina (Valeria Golino) nehmen die Schulden überhand und Angelicas einziger Ausweg scheint der zu sein, ihre wenigen Güter zu verkaufen und sich aus dem Staub zu machen. Aber was ist es eigentlich, das diese Frauen* miteinander verbindet, die verschiedener kaum sein könnten?
Während Angelica auf ihrer kleinen heruntergekommenen Farm isoliert in der sardinischen Pampa lebt, wohnt Tina mit Mann* und Kind im nächsten Ort. Wo sich die eine um gesellschaftliche Normen nicht zu scheren scheint, ist die andere überangepasst. Tina ist eine überaus treusorgende Mutter, die Wert darauf legt, alles „richtig“ zu machen und ihre Tochter Vittoria (Sara Casu) vor allen Übeln der Welt zu beschützen. Auch oder insbesondere vor Angelica.
Wie schon in Sworn Virgin lässt Laura Bispuri also auch in Figlia Mia zwei ungleiche Frauen* aufeinandertreffen, um verschiedene Formen weiblicher* Identität zu verhandeln. Diesmal steht, wie schon der Titel verrät, das Thema Mutterschaft im Zentrum. Vittorias auffällige Ähnlichkeit mit Angelica formuliert hier gleich zum Einstieg die Frage danach, bei wem es sich in dieser Geschichte um wessen Tochter handelt und wie der Begriff Mutterschaft überhaupt zu definieren sei. Im Zuge der Geschichte, der durch Tina nahezu panisch beobachteten Annäherung von Vittoria und Angelica, müssen auch die drei Heldinnen Antworten auf diese Fragen finden.
Das Setting des Films im sardinischen Küstenort ist wenig idyllisch. Die Menschen arbeiten hart, die Sonne scheint erbarmungslos und verwandelt die Natur in eine trostlose staubige Steppe. Angelica taumelt im Rausch äußerst unansehnlich durch ihre Kneipe. Es tut fast weh, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich für das nächste Glas Schnaps bereitwilligt erniedrigt. Und auch Tinas Leben ist keine Bilderbuch-Version der Kleinfamilie. Die Ehe wirkt kühl, die Arbeit in der Fischfabrik alles andere als glamourös.
Laura Bispuri geht es um ungeschminkte Echtheit, einen möglichst direkten Zugang zu ihren Figuren und deren Geschichte. Die meisten Szenen kommen ohne Schnitt aus, die dynamische Handkamera bleibt nah bei den Figuren und deren Perspektive. Die Wirkung ist eine authentische und intime, die Distanz zwischen Kinopublikum und Leinwandgeschehen minimal.
Bispuri nimmt uns mit in die Lebenswirklichkeiten ihrer drei Frauen*figuren, ohne diese gegeneinander aufzuwiegen. Es gibt kein Schwarz und Weiß, kein eindeutiges Gut und Böse, nur drei Menschen, die auf unterschiedliche Weise nacheinander und sich selbst suchen. Die Stärke von Figlia Mia liegt unter anderem darin, dass der Film nicht einer, sondern allen Perspektiven treu bleibt, ohne dabei eine seiner Heldinnen aus dem Blick zu verlieren. Wer hier wessen Tochter ist und was Mutterschaft ausmacht, müssen wir als Zuschauer_innen also schließlich selbst beantworten.
Leider habe ich trotz all des handwerklichen Lobes ein großes inhaltliches Problem mit Figlia Mia. Die Figur der Angelica ist trotz Bispuris spürbarem Streben nach Authentizität am Ende leider doch ein Abziehbild. Das liegt nicht an Alba Rohrwacher, die die emotionale Achterbahn ihrer Figur in den Abgründen ebenso wie in den Höhenflügen mithilfe eines betont körperlichen Schauspiels glaubwürdig zu vermitteln weiß. Doch die promiskuitive Säuferin, der es am Ende vor allem an der Liebe zu sich selbst mangelt und deren Seele durch Mutterschaft erlöst und gerettet wird, ist nicht nur ein Leinwandklischee, sondern auch ein sexistisches Stereotyp, das in Bispuris Skript leider die einzig Erklärung dafür bleibt, dass Angelica vorübergehend neue Wege einschlägt.
Auch wenn Laura Bispuri der Geschichte genug Ambivalenzen lässt, um jenseits des klassischen Läuterungsnarrativs zu verlaufen, das die „Hure“ in die Rolle der „Heiligen“ zwingen muss, scheint Figlia Mia doch die Grundannahme zu vertreten, dass Mutterschaft das Ziel einer jeden Frau* sein müsse. Die Ablehnung dieses Instinkts ist dann logischer Weise nur eine Form – von glücklicher Weise – reversibler Hysterie: Die „verirrte“ Angelica kann heilen, indem sie endlich die „Mutter“ in sich umarmt. Das ist mir leider dann doch entschieden zu banal.
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