Berlinale 2024: Des Teufels Bad

CN: Gewalt an Kindern, Suizid 

Eine Frau läuft durch den Wald, ihr weinendes Baby im Arm. Sie steigt auf einen Wasserfall und wirft es hinunter. Nicht um das Baby zu töten, sondern sich selbst. In Des Teufels Bad erzählen Veronika Franz und Severin Fiala die historisch belegte Geschichte von mittelbaren Selbstmörderinnen im Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts. Weil Selbsttötung als Sünde nach katholischer Theologie in der Hölle endet, vor einer Hinrichtung von Mörder*innen aber eine Beichte und somit Vergebung möglich ist, wählten viele Menschen, vor allem aber Frauen, diesen indirekten Weg in den Tod.

Portrait der Hauptfigur Agnes. Das Bild ist dunkel, Agnes ist größtenteils im Schatten. Ihre Haare sind wirr, sie trägt ein weißes Gewand. Ihre Augen sind rot und aufgequollen, ihr Gesichtsausdruck ist erschöpft und ihr Blick in unsere Richtung doch intensiv.

© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Des Teufels Bad begleitet Agnes (Anja Plaschg), die nach ihrer Hochzeit weg von der eigenen Familie und in die Nähe ihrer Schwiegereltern zieht. Das Leben ist unerwartet hart: Agnes muss in der Fischerei mit anpacken und alle Haushaltstätigkeiten erledigen, ist alleine für die Ziegen, die Wäsche, das Kochen verantwortlich. Doch was die junge Frau am meisten beschwert, ist die sexuelle Zurückweisung durch ihren Ehemann (David Scheid) und die daraus resultierende Kinderlosigkeit. Zudem ist Agnes für den eisernen Griff der Patriarchats um die Frauen ihrer Zeit besonders sensibel. So dauert es nicht lange, bis sie in eine schwere Depression verfällt, die als solche in ihrem Zeitalter und sozialen Umfeld natürlich nicht erkannt, sondern Des Teufels Bad genannt wird.

Ein von Bäumen gerahmtes Feld. Es ist bewölkt und neblig. Wir sehen Menschen, die auf dem Feld arbeiten, einfach gekleidet im Stil von Bäuer*innen des 18. Jahrhunderts. Sie sind zu klein, um ihre Gesichter zu erkennen. Die Stimmung des Bilds ist düster.

© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Veronika Franz und Severin Fiala, seit Ich seh, ich seh für verstörendes Kino bekannt, etablieren schon mit ihrer Eingangsszene den düsteren und beklemmenden Tonfall ihres Films. Während das Regie-Duo sich nicht davor scheut, Grausamkeit, Misshandlungen und Schmerzen anschaulich zu machen, vermeiden sie doch eine voyeuristische Zurschaustellung des Leids ihrer Hauptfigur. Die Unausweichlichkeit des drohenden Übels erzählen sie vor allem über eine düstere, bedrückende und beängstigende Atmosphäre: der Wald als Schauplatz des Geschehens ist nie ein Ort der Geborgenheit oder Freude, sondern stets kühl, neblig und bedrohlich. Sie platzieren Agnes in ein brutales Dilemma, in dem sie einerseits in eine von Unterordnung und Selbstaufgabe geprägte Frauenrolle gedrängt wird, dieser aber gleichzeitig durch die körperliche Ablehnung des Ehemanns in der Kinderlosigkeit nicht erfüllen kann.

Ein kurzhaarige, in eine dunkle Jacke und dunkle Hose gekleidete Person läuft durch einen nebligen Walt. Wir sehen sie von hinten. In der linken Hand trägt sie einen großen weißen Sack. Über der Schulter trägt sie eine schlaffe Person mit langen braunen Haaren, Pullover und Rock, deren Arme scheinbar leblos baumeln.

© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Auch wenn Des Teufels Bad auf überlieferten historischen Ereignissen basiert, ist seine Geschichte hoch aktuell, denn noch immer leben wir in einer Gesellschaft, die Frauen eine Aufgabe aufzwingt, deren Erfüllung sie gleichzeitig verhindert. Sei Mutter, sei erfolgreich in Deinem Job, sei eine fürsorgliche Ehefrau, sei unabhängig, sei alles und das bitte selbstverständlich und ohne Jammern, während Du weniger verdienst, weniger Respekt und dafür mehr Diskriminierung und sexualisierte Gewalt erfährst als cis Männer. Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Parallelen ist es fast bedauerlich, dass Des Teufels Bad eine durch Ausstattung und Setting so überzeugende Reise in die Geschichte darstellt, sich so einfach als düstere Vergangenheit abtun lässt. Aber nur fast. Denn gleichzeitig ist der Realismus des Films wichtig, um die hier geschilderten Ereignisse als lange unbekanntes Kapitel unserer Geschichte anzuerkennen. Denn auch das ist ja Teil unserer Gegenwart: Das Unsichtbarmachen von jenen historischen Ereignissen, die Frauen und andere marginalisierte Gruppen betreffen oder die das Patriarchat als solches entlarven.

Der nacken einer Person mit auf den Kopf hochgesteckten Armen und einem einfachen graubraunen Wollpullover. Am Nacken befinden sich zwei nebeneinanderliegende Einstichstellen, durch die ein Faden gezogen wurde. Die Person zieht mit den Händen an den beiden Enden, die Einstichstellen sind rot.

© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Zum Ende sei gesagt und gewarnt: Des Teufels Bad ist ein schonungsloser Film, der wenig Raum für Hoffnung lässt. Er ist nicht gemacht für Menschen wie Agnes, die die Omnipräsenz patriarchaler Gewalt ohnehin schmerzhaft wahrnehmen und den Kinosaal beschwerter verlassen als sie ihn betreten haben. Schlimmstenfalls fungiert er als ebensolcher Trigger wie jene enthauptete Frauenleiche, von der sich Agnes inspiriert fühlt. Möge Des Teufels Bad stattdessen die Übrigen aufrütteln und ihnen dabei helfen, erstere zu schützen.

Sophie Charlotte Rieger
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