Berlinale 2024: Gloria!
Ein kleiner italienischer Konvent nahe Venedig Anfang des 18. Jahrhunderts. In St. Ignacio herrscht der Priester Perlina (Paolo Rossi) als unantastbarer Patriarch über seine Angestellten und die Waisenmädchen, die in seiner Musikschule eine Heimat gefunden haben. Die Ankündigung eines Papstbesuchs versetzt ihn in Panik, da er zu dessen Ehren ein neues Konzert komponieren soll, tatsächlich aber trotz seines verheißungsvollen Titels „Maestro“ seit Jahren nichts mehr zu Papier gebracht hat. Umso fleißiger sind seine Zöglinge, die als Frauen mit ihren Kompositionen vom großen Meister allerdings nicht ernst genommen werden. Heimlich finden sie sich im Keller um ein Piano Forte zusammen und entwickeln angeführt von der vermeintlich stummen Dienerin Teresa (Galatéa Bellugi) eine ganz neue Art von Musik, um dem Schmerz der vom Patriarchat Unterdrückten Ausdruck zu verleihen.
Gloria! von Margherita Vicario ist eine feministische Utopie irgendwo zwischen Märchen und Musical, mit einem Score, der – ebenso wie ein Großteil der von den Frauen komponierten Stücke – deutlich moderner ist als die hier portraitierte Barock-Epoche. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – ist das Zusammenspiel aus Bildern und Musik in der Lage, ein heutiges Publikum mit der Magie des Kinos zu erfüllen, vor Freude und Trauer weinen zu lassen und mit ermächtigenden Botschaften spürbare Kraft zu verleihen. Dabei ist es vor allem die Umwandlung von Alltagsgeräuschen von Hof und Küche in musikalische Rhythmen, die der Inszenierung eine besondere Magie verleiht, indem sie ordinäre und vermeintlich minderwertige Tätigkeiten zu Kunst erhebt. Oder anders formuliert: Margherita Vicario, die zusammen mit Davide Pavanello auch die Komposition zum Film übernommen hat, gelingt es, feministische Diskurse in Musik zu verwandeln.
Zugrunde liegt dieser Geschichte, so erzählen Texttafeln am Ende, das Verbot von musikalischen Ausbildungseinrichtungen für Frauen durch ein napoleonisches Dekret im Jahr 1807 und den darin resultierenden Verlust nicht nur begabter Musikerinnen, sondern vor allem auch ihrer Werke. Zu keinem Zeitpunkt behauptet Gloria! allerdings eine wahre Geschichte zu erzählen. Der Bruch mittels der anachronistischen Musik oder auch komödiantisch angelegten Figuren wie Maestro Perlina ist zu groß, um hier historische Ereignisse zu vermuten. Und doch steckt in diesem unterhaltsamen wie mitreißenden Film eine Menge Wahrheiten – historische, aber auch gegenwärtige. Er erzählt von der Unterdrückung begabter Frauen mit dem Ziel, künstlerischen Genius weiterhin männlich zu definieren. Und erzählt, wie standesübergreifende weibliche Solidarität das Patriarchat zerschlagen kann.
Dabei hebt sich Gloria! von anderen, thematisch ähnlich gelagerten Filmen durch seinen lebensbejahenden und optimistischen Tonfall ab, den utopischen Moment, der das Leiden der Protagonist*innen lediglich als Sprungbrett für ihre Befreiung nutzt, der nicht deprimieren, sondern ermächtigen will. Umso bedauerlicher, dass Margherita Vicario Vereinbarkeit als einen der größten feministischen Kämpfe der Gegenwart aus ihrer Utopie ausschließt und damit auch einen Großteil ihrer vom Patriarchat gebeutelten Zuschauer*innen.
Aber auch wenn die feministische Utopie in dieser Hinsicht unvollständig bleibt, ist Gloria! ein Beispiel dafür, wie ein feministisches Kino abseits von niederschmetternden Sozialdramen oder inhaltlicher und ästhetischer Provokation aussehen kann. Gefällig und doch gehaltvoll, schmerzhaft wahr und doch beflügelnd. Oder ganz kurz gefasst: Unglaublich sehenswert.
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