Berlinale 2024: Love Lies Bleeding

Ein etwas artifiziell anmutender Sternenhimmel über der US-amerikanischen Wüste, düster-geheimnisvolle Synthie-Musik, die nahendes Unheil andeutet, dann statt der Wüste ein 80er Jahre Fitness-Studio, in dem aufgepumpte Mucki-Männer einem auf Stärke und Überlegenheit ausgerichteten Körperbild nacheifern. Doch die Musikuntermalung lässt diesen Ort ebenso absurd erscheinen, wie das hier kultivierte Männlichkeitsbild und sofort ist klar: Love Lies Bleeding möchte etwas gegen DEN Strich bürsten.

Regisseurin Rose Glass inszeniert einen blutigen Genrefilm an der Grenze zum Körperhorror, in jedem Fall mit großer Freude an der audiovisuellen Inszenierung von muskulösen Armen wie auch von Gewalt gezeichneten Gesichtern. Dabei bricht sie mit den Konventionen des männlichen Blicks und den Erwartungen ihres Publikums, wenn sich Lou (Kristen Stewart), angestellt im eingangs erwähnten Fitnessstudio, in die Bodybuilderin Jackie (Anna Baryshnikov) verliebt und damit eine Gewaltspirale ins Rollen bringt. Denn Gewalt hat in Lous Familie Tradition: der Vater ist durch illegalen Waffenhandel reich geworden und die Aggressionen von Lous Schwager JJ (Dave Franco) lassen sich regelmäßig am Gesicht ihrer Schwester  Beth (Jena Malone) ablesen. Kein Wunder, dass Lou beiden lieber aus dem Weg geht. Bis Beth im Krankenhaus landet und die durch Steroide aufgewiegelte Jackie beschließt, JJ zur Rechenschaft zu ziehen.

Vor einem dunkelblauen Nachthimmel sehen wir zwei weiblich lesbare Personen. Eine kurzhaarige schlanke Person sitzt leicht erhöht. An sie gelehnt steht eine muskulöse Person mit langen lockigen Haaren.

© Anna Kooris

Obwohl es in Love Lies Bleeding zuhauf Blicke des Begehrens gibt, die sich auf weibliche Figuren richten, allen voran Jackie, vermeiden Rose Glass und ihr Kameramann eine Objektifizierung, verzichten beispielsweise auf die Kamerafahrten über weibliche Körper. Jackie ist zwar Objekt von Lous sexueller Begierde, doch sind es vor allem ihre Muskeln, die Glass in den Fokus stellt, ihre physische und mentale Stärke. Glass gelingt es, Begehren für eine Figur zu illustrieren, ohne sie zu verdinglichen, ohne sie der blickenden Figur und dem blickenden Publikum unterzuordnen. Jackie bleibt Mensch, Persönlichkeit – und ja, zugegebenermaßen eine Filmfigur, die anzusehen Freude macht. Doch es ist jemand anderes, dessen Entmenschlichung Loves Lies Bleeding geradezu zelebriert: eine brutal zugerichtete Männerleiche, deren wiederholte betont ungerührte Einblendung sogar Komik erzeugt. Damit dreht Rosa Glass den Spieß des Genres um: es ist der Mann, der nur noch als von Gewalt gezeichneter Körper fungiert, und die Frau, deren körperliche Stärke uns beeindruckt.

Jackies durch die Steroide induzierten körperlichen Veränderungen, bekommen zunehmend einen surrealen Charakter. Close-Ups auf die Spritzen, durch Sound verstärkten Injektionsszenen und vor allem das Geräusch von Jackies wachsenden Muskeln, führen Schritt für Schritt auf das Finale hin, in dem Jackie im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinauswächst. Insgesamt verkörpert Jackie einen Kernpunkt zeitgenössischer Misogynie, nämlich die Frau, die Männer gleichzeitig begehren und fürchten und sie daher abwerten, ihr also die Macht nehmen müssen. Ein solches Spannungsfeld existiert in der lesbischen Liebe zwischen Lou und Jackie nicht, so dass sich  Love Lies Bleeding  ganz auf deren Begehren konzentrieren kann. Und entsprechend ihrer Faszination für Körper und ihre Geräusche, inszeniert Rose Glass dabei Momente großer Erotik.

In gewisser Weise ist Love Lies Bleeding ein Liebesfilm, wenn auch mit einer großen Portion schwarzen Humors und expliziter Gewaltdarstellungen – so wie wir es von zahlreichen Variationen des Bonnie-und-Clyde-Plots bereits kennen, nur dass sich Love Lies Bleeding dabei deutlich weniger ernst nimmt. Statt dramatischer Erhöhung ihres kriminellen Liebespaars, erzählt Rose Glass ihre Heldinnen Lou und Jackie mit einem bewundernden und einem zwinkernden Auge. Ganz sicher ist die Geschichte als solche nicht ernst zu nehmen, aber Elemente von ihr sind es eben doch: die Dynamik patriarchaler Gewalt innerhalb von Familien und deren Folgen insbesondere für ihre weiblichen Mitglieder, die Kultivierung eines toxischen Männlichkeitsbilds, das mit der Herabwürdigung von Feminität einhergeht, und die große Angst vor der entfesselten Stärke der von dem Patriarchat Unterdrückten. Weil es seine Verbrechen kennt. Weil es weiß, was ihm blüht. Weil es weiß, wenn Menschen über die ihnen zugedachte Rolle hinauswachsen, sie das Patriarchat erst in Schutt und Asche legen und dann auf seinem Grab eine Orgie feiern.

Sophie Charlotte Rieger
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