Zwischen uns – Das Drama der guten Mutter

Der Debütfilm Zwischen uns, zu dem Regisseur Max Fey gemeinsam mit Michael Gutmann das Drehbuch geschrieben hat, erzählt die Geschichte einer Mutter (Liv Lisa Fries als Eva) und ihres autistischen Sohnes (Jona Eisenblätter als Felix), wobei der Fokus im übertragenen wie auch buchstäblichen Sinne auf der weiblichen Hauptfigur liegt. Es ist vor allem Evas Erleben und Empfinden, das die Kamera von Vasco Viana nachvollzieht. Durch leichtes Schwanken oder Zittern bis hin zur klassisch wackligen Handkamera lässt Viana das Publikum Evas Ängste und Anspannung miterleben. Und doch will keine rechte Nähe zu ihr entstehen, vermag Max Fey weder die Beziehung zwischen Mutter und Sohn noch die Mutter an sich als Mensch greifbar auf die Leinwand zu bringen. Was ist da los? 

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Perspektiven auf Mütter brauchen Mütter

Es ist die alte Leier, aber sie muss wohl noch einmal erklingen: Wenn Männer Geschichten über Frauen schreiben, dann treten sie ebenso in eine fremde Erfahrungswelt ein wie weiße Filmemacher:innen, die eine Geschichte Schwarzer Menschen erzählen, oder cis geschlechtliche Regisseur:innen, deren Film von trans Personen handelt. Das ist zwar alles möglich, aber mit vielen Klischeefallen verbunden, weshalb es in diesen Fällen noch wichtiger als ohnehin schon ist, das Filmteam so divers wie möglich zu besetzen. Auch Elternschaft im Allgemeinen und Mutterschaft im Besonderen ist eine solche Perspektive, die aus einer spezifischen Lebenssituation heraus entspringt und sich auf vielen Ebenen im künstlerischen Schaffen niederschlägt – ein Umstand, dem beispielsweise die „Writing with Care“-Konferenz 2021 Rechnung trug.

Zwischen uns ist in den kreativen Schlüsselpositionen eine reine Männerproduktion, was sicherlich dazu beigetragen hat, dass das hier gezeichnete Bild von Elternschaft dem Stereotyp der im Drama gefangenen guten Mutter entspricht – einem Bild so gesellschaftlich problematisch wie auch konstruiert und primär der emotionalen Erregung des Publikums, weniger der Identifikation und in keiner Form dem Empowerment anderer Mütter dienlich.

Felix und Eva sitzen nebeneinander. Felix lehnt seinen Kopf an Evas Schulter.

© NikolasTusl PSSST Film

Konstruierte Tragik vs. Echte Dramen

Weil ein Film, der einfach nur mit audiovisuellen Mitteln die liebevolle Beziehung einer Mutter zu ihrem autistischen Kind veranschaulicht, kein Stoff für’s Kino ist (warum eigentlich nicht?) muss Zwischen uns seine Protagonist:innen mit Problemen konfrontieren. Felix fühlt sich in der Regelschule unwohl, da weder die Lehrer:innen noch seine Mitschüler:innen einen angemessenen Umgang mit ihm finden. Seine aggressiven Reaktionen wiederum stoßen immer wieder die Debatte an, ob er auf einer Sonderschule nicht besser aufgehoben sei. Eva verliert ihren Job, weil sie als Alleinerziehende zu oft dem Arbeitsplatz fernbleiben muss, um Felix zu betreuen. Und dann droht auch noch das Vertrauen zu Nachbar Pelle (Thure Lindhardt) zu zerbrechen, der Evas einzige Stütze ist.

Tragisch das alles. Noch tragischer aber ist, dass der Film seine durchaus realistischen Problemfelder ausschließlich zur dramatischen Zuspitzung seiner Geschichte nutzt und nicht, um Gesellschaftskritik, Aufklärung oder gar Problemlösung zu betreiben. Welche Rahmenbedingungen für eine gelungene Inklusion von Felix in der Regelschule beispielsweise notwendig wären, bleibt ebenso unerwähnt wie die Strukturen, die Eva als alleinerziehende Mutter eines be_hinderten Kindes unterstützen könnten. Die Situation wirkt alternativlos, demütige Akzeptanz als einziger Ausweg.

Pelle und Eva sitzen gemeinsam am Tisch, vor ihnen ein Abendessen. Sie schauen zu Felix hinüber, der außerhalb des Bildes sitzt.

© NikolasTusl PSSST Film

Der noble Retter in der Not beschützt vor allem das Patriarchat

Zwischen uns kann für die tatsächlich missliche Lage der Hauptfiguren keine andere Lösung anbieten als die heterosexuelle Romanze zwischen Eva und Pelle, der hier als „Knight in Shining Armour“ nur zu gerne als liebevoller Ersatzpapa für Felix und potentieller Liebhaber oder gar Lebensgefährte für Eva auftritt. Dass die Liebesgeschichte in der Andeutung verbleibt, also Max Fey nur ein gegenseitiges romantisches Interesse, nicht aber die Liebesbeziehung an sich erzählt, ändert an dieser recht klischeehaften Auflösung leider wenig, zu auffällig bleiben andere Optionen ungenutzt. Was ist mit Elena (Lena Urzendowsky), der Schulbegleiterin von Felix, die wiederholt den freundschaftlichen Kontakt mit Eva sucht? Und wieso überhaupt hat Eva keine einzige Freundin? Und keine Eltern? Und was ist eigentlich mit dem Kindsvater?

Insbesondere hier treten implizite sexistische Grundannahmen deutlich zu Tage. Ließe sich dieser Film auch mit einem Vater erzählen? Bliebe auch eine abwesende Mutter gänzlich unkommentiert? Oder spiegelt dieser Umgang mit den beiden Eltern von Felix, der starke Fokus auf die Mutter, während der Vater an keiner Stelle Erwähnung findet, nicht viel mehr eine patriarchale Logik wider, in der Mütter an der Seite der Kinder zu sein haben, während die Abwesenheit der Väter einen zwar bedauernswerten, aber irgendwie als Norm(al) akzeptierten Umstand darstellt? So paradox es auch klingen mag, entstammt Pelle als Retter in der Not derselben patriarchalen Logik: Nur er kann Eva aus ihrer Lage „retten“, nämlich sie unterstützen, wo Sozialarbeiterin, Klassenlehrerin und Jugendamtsmitarbeiterin – also alle sicher nicht zufällig weiblich besetzten “Ersatzmütter” – versagen. Weil Frauen gerettet werden müssen. Von Männern. Immer. Dafür sind Männer da. Wie gut, dass es sie gibt. Wie gut, dass wir ihnen die Rolle andichten, sich schützend an die Seite von Alleinerziehenden zu stellen. Sonst müssten wir – Göttin behüte – darüber nachdenken, welche gesellschaftlichen Institutionen das an ihrer Stelle tun könnten.

Felix unscharf im Vordergrand - er macht seine Hausaufgaben. Im Hintergrund Eva, die zu ihm herüber sieht.

© NikolasTusl PSSST Film

Die perfekte Mutter leidet leise

Eva muss auch deshalb eine Frau sein, weil nur Mütter in der Vorstellung des Patriarchats in ihrer Aufopferungsfähigkeit und Geduld so perfekt sein können. So schwierig sich die Situation mit Felix auch gestaltet, so viele Steine ihr Umfeld Eva auch in den Weg legt, die Alleinerziehende bleibt stets Herrin ihrer Sinne. Nie wird sie laut und ungerecht, nie weint sie vor wütender Verzweiflung. Sie mag vielleicht beim Elternabend eine andere Mutter anfauchen, um ihr Kind zu verteidigen, so wie sich das für eine gute Mutter gehört, doch es braucht schon eine Extremsituation, die Gefährdung ihres eigenen Lebens, um sich Felix gegenüber schuldig zu machen.

Das hier transportierte Mutterbild ist hoch problematisch. Nicht nur, dass es einen falschen Standard setzt, denn kaum eine Person kann in einer derart belastenden Situation stets einen kühlen Kopf bewahren. Es schiebt auch die Verantwortung weg von Gesellschaft und Staat hin zum Individuum Mutter. Es ist ihre Aufgabe, ohne jegliche Unterstützung Sorge- und Lohnarbeit zu jonglieren. Sie muss ausgleichen, dass die Welt sich weigert, ihrem Sohn entgegenzukommen und stattdessen versucht, ihn auf schmerzhafte Weise in eine Norm zu pressen. Es ist deshalb ihre Aufgabe, ihr Leben allein auf Felix auszurichten und jenseits der Mutterrolle weder Hobbys noch Interessen zu besitzen.

Es ist nicht nur die Mixtur aus Klischee und konstruierter Tragik, die dieses Mutter-Sohn-Drama blutleer wirken lassen. Es ist vor allem der fehlende Zugang zur emotionalen Erfahrungswelt der Protagonist:innen, der – vielleicht, vielleicht – durch die limitierte Perspektive der Filmemacher erschwert wurde. Die komplexen Emotionen einer Mutter, die nicht nur mit ihren Lebensumständen, sondern vielleicht auch mit der Sorge für einen Menschen überfordert ist, dessen „emotionale Sprache“ sie nicht beherrscht, der sie ebenso wenig lesen kann wie sie ihn und dem sie trotzdem nahe sein möchte, sind nur zu erahnen. Denn was hier auf der emotionalen Ebene fehlt, ist die Erschöpfung, die Evas Lebensumstände eigentlich mit sich bringen müssten. Und was ist mit der Wut und der Verzweiflung über so viel Ungerechtigkeit, so viel Hilflosigkeit? Aber wütende Frauen… das will Mann nicht.

Eva und Felix sitzen auf einem Bett und schauen gerade aus. Eva zieht ihre Mundwinkel mit den Fingern zu einem Lächeln nach oben.

© NikolasTusl PSSST Film

Gut gemeint, aber…

Sehr wahrscheinlich gehört Zwischen uns zu den Filmen, die gut gemeint, aber schon allein deshalb nicht gut gemacht sind, weil die Perspektive jener fehlt, die sie betreffen. „Im Prozess des Schreibens wurde uns bewusst, dass wir die Geschichte einer Mutter erzählen wollen. Einer alleinerziehenden, starken Frau, die wirklich alles in Bewegung setzt, um ihrem Sohn zu helfen“, sagt Max Fey über seinen Film. Und vielleicht liegt genau hierin das Problem: Warum die Geschichte einer starken Frau erzählen? Warum nicht die einer schwachen? Warum die Geschichte einer allzeit aufopferungsbereiten, unendlich geduldigen und nicht die einer überforderten Mutter? Warum nicht die eines Vaters?

Max Fey – das ist offensichtlich – möchte die Probleme von Menschen mit Asperger Syndrom adressieren. Das ist erstmal ein gut gemeintes Ansinnen, wenn auch die Besetzung einer autistischen Figur mit einem neurotypischen Darsteller in dieser Hinsicht fragwürdig ist und durchaus darüber zu diskutieren wäre, wie viel Aufklärung und wie viel Fortschreiben von Vorurteilen der Film zum Thema Autismus bietet. Leider versäumt Fey es aber vor allem bei der Wahl seiner Hauptfigur, die patriarchalen Strukturen in den Blick zu nehmen, die deren Tragik überhaupt erst erzeugen. Er setzt den Fokus bewusst auf eine weibliche Hauptfigur, ohne sich die geschlechtsspezifische Dimension der hieraus resultierenden Erzählung näher anzusehen. Eva bleibt damit ein Mittel zum Zweck: Sie dient dazu, ein Sozialdrama zu erzählen, das sich für sie als Mensch, als Individuum im Grunde nicht interessiert. Und Fey versäumt es ebenso, über den rührenden, weil tragischen Status Quo hinaus eine Perspektive zu eröffnen – das Potential zum Widerstand, die Chance auf Ermächtigung. So viele Möglichkeiten, so viele verpasste Chancen. 

Kinostart: 16. Juni 2022

Sophie Charlotte Rieger
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