Zwei Gedanken zu: Hagen – Im Tal der Nibelungen
Ein weißes Ross reitet mit wehender Mähne durch die Landschaft, ein starker, stiller Krieger ist unsterblich in eine holde Maid verliebt und die Langobarden stehen an den Grenzen von Burgund, mein König!
Zwei Fragen: Wo sind wir? Und was geschieht?___STEADY_PAYWALL___ Wir sind in Worms im Mittelalter. Wobei es nicht das „echte” Mittelalter ist, sondern ein Fantasy-Mittelalter mit Drachen und alten Wesen (was auch immer das sein mag), wo Island ständig Isenland genannt wird. Erzählt wird (mal wieder) die Nibelungen-Sage. Aber! Mit einem Twist. Ja, alte Kamellen hat der deutsche Film (bzw. das Regie-Duo aus Cyrill Boss und Philipp Stennert) satt, gemacht wird etwas ganz Neues: Die Nibelungen-Sage aus der Perspektive von **Trommelwirbel** Hagen von Tronje (das ist der Bösewicht… angeblich).
Ein Blumenstrauß totgetretener Klischees
Eines vorab: Nicht alles an diesem Film ist grottenschlecht. Chapeau an Rosalinde Mynster, die Brunhilde wenigstens ein bisschen ihrer Würde zurückgibt, und Maria Erwolter, die als Brunhildes Stellvertreterin nicht annähernd genug zu tun bekommt. Jördis Triebel hat als Königin ungefähr einen Satz und ist trotzdem exzellent und Gijs Naber als Hagen versteht es, sich darstellerisch zurückzunehmen. Was man von Jannis Niewöhner als Siegfried von Xanten nicht behaupten kann.
Siegfried ist ein charmanter Chaot, dessen Körper durch das Bad im Drachenblut zwar unverwundbar ist (bis auf die Lindenblatt-Stelle zwischen den Schultern natürlich, da hätte er besser aufpassen sollen), der aber psychisch nicht in der besten Verfassung ist und das (Überraschung!) mit exzessivem Trinken, exzessivem Kämpfen und exzessivem Schauspiel ausgleichen muss. Siegfried sagt Dinge wie „Manchmal weiß ich auch nicht, was mit mir los ist” – als wäre er nicht im Fantasy-Mittelalter, sondern in einer Tatort-Folge aus den frühen 2000ern. Vielleicht soll Siegfried ja so ungestüm und modern sein, dass er ein komplett anderes Vokabular benutzt, vielleicht zeigt sich hier der Brecht’sche Verfremdungseffekt in Aktion – egal wie, es ist anstrengend.
Das Ganze wäre unterhaltsam im Sinne von unfreiwillig komisch, wenn es nicht auch so zum Kotzen wäre. Hagen ist eine Aneinanderreihung solch totgetretener Klischees, das Zusehen löst Klaustrophobie aus. Hier ist absolut nichts neu. Die Bilder, wenn sie nicht gerade einen Schimmel im Galopp zeigen, sind eine Mischung aus Der Herr der Ringe, Vikings und The Northman. Die Musik ist ein einziges Hans-Zimmer-Rip-off inklusive eines komplett unerklärlichen Popsongs, der die wohl überflüssigste Sexszene des Jahres untermalt.
Der Plot liest sich wie Nibelungen meets Sturm der Liebe: Hagen ist unglücklich verliebt in Kriemhild und Kriemhild liebt plötzlich doch Siegfried, den sie anfangs gar nicht mochte und der sie irgendwie gern hat, der aber eigentlich in Brunhilde verliebt ist, die auch Siegfried liebt, aber gezwungen wird, König Gunther zu heiraten. Hagen schauen, fühlt sich an, wie mit Balmung (weil natürlich hat Siegfrieds Schwert einen Namen) eins über den Schädel gezogen zu bekommen.
Ein Schlag ins Gesicht
Es ist aber nicht nur ein metaphorisches Schwert über den Schädel. Aus feministischer Sicht ist der Film ein Schlag ins Gesicht. Was die Darstellung von Frauen angeht, haben die Filmschaffenden Entscheidungen getroffen, die nicht nur klischeehaft sind, sondern reaktionär.
Erstens bemüht Hagen ganz unironisch Ideale toxischer Männlichkeit. Da ist der Titelheld, der stille, starke Kämpfer à la Charles Bronson, dessen emotionale Starre nicht hinterfragt wird, sondern erstrebenswert erscheint. Und da ist Siegfried, den Kriemhild (Lilja van der Zwaag) ernsthaft als „verlorene Seele” bezeichnet, der komplett egoistisch und verantwortungslos handelt, aber ja nur, weil er so einsam und unglücklich ist. Es gibt eine Szene, in der Siegfried schlecht träumt und daraufhin die neben ihm schlafende Kriemhild fast mit seinem Schwert ersticht – alles ganz normal, alles okay, weil er einfach eine verlorene Seele ist, die ein bisschen Liebe braucht. Wenn Hagen am Schluss den toten Siegfried im Arm hält, wird die Idee, Männer könnten sich nur im Kampf oder im Tod nah sein, nicht etwa kritisiert, sondern verklärt.
Zweitens und viel wichtiger kommen die weiblichen Figuren nicht nur zu kurz, sie werden mit Füßen getreten. Hagen hat alibimäßig eine Kriegerin in seinem Gefolge, die aber nach einer Dreiviertelstunde stirbt. Jördis Triebel als Königin hat, wie gesagt, nur einen Satz und die Walküren kommen gefühlt zweimal vor. Kriemhild fungiert gewissermaßen zwar als Erzählerin, ist aber im gesamten Film nur ein Spielball machtpolitischer Männerinteressen. Am Ende schwört sie Rache für ihren verstorbenen Ehemann Siegfried – eine eigene Motivation bekommt sie nicht.
Und Brunhilde? Die starke Königin, die von keinem Mann besiegt werden kann, die Island beherrscht und übernatürliche Kräfte hat – sie wird gedemütigt. Zunächst betont der Film nicht ihre Stärke, sondern ihre Fähigkeit, Männer in ihren Bann zu ziehen. Und gezeigt wird sie später weder stolz noch herrschaftlich, sondern oben ohne. Brundhilde hat circa zwei Zeilen Sprechtext, eine davon mit Siegfried, in den sie vollkommen unerklärlich verliebt sein soll. Es ist zum Haareausreißen, wie es dieser drittklassige Blockbuster es schafft, eine komplexe Frauenfigur so zu erniedrigen.
Und warum zum Henker treffen Filmschaffende im Jahr 2024 die Entscheidung, die Nibelungen-Sage „neu” aus der Perspektive von Hagen zu erzählen, wenn Brunhilde die spannendere, aussagekräftige Hauptfigur ist? Ach so, es gibt eine literarische Vorlage, einen Bestseller von Wolfgang Hohlbein. Das ist mehr als nur zynisch. Denn gerade jetzt, wo griechische Sagen aus einer feministischen Perspektive neu erzählt werden und sich enormer Beliebtheit erfreuen, wäre der perfekte Zeitpunkt, um Brunhildes Perspektive einzunehmen, statt Bestseller von alten weißen Männern zu verfilmen.
Denn eins ist klar: Wie Brunhilde von drei Männern hintergangen wird, die ihr einzeln nicht einmal das Wasser reichen können, wie sie zur Ehe mit einem unglaublich durchschnittlichen Dude gezwungen wird – aus männlicher Perspektive erzählt, kann dem keine Gerechtigkeit widerfahren. Es reicht nicht, zu zeigen, dass Brunhilde am Wormser Hof leidet. Und es kommt einer weiteren Erniedrigung gleich, wenn dieses Leid mit der unglücklichen Liebe zu Siegfried verbunden ist. Hagen macht Brunhilde zur Anführerin der Truppen und der Film denkt, damit hätte er seinen feministischen Teil getan. Er könnte kaum weiter davon entfernt sein. Denn wohin entwickeln wir uns als Gesellschaft, wenn wir uns zwar Worms im Mittelalter mit Drachen und Walküren und Langobarden vorstellen können, aber keine weiblichen, geschweige denn queeren Figuren mit selbstbestimmter Handlungsfähigkeit?
Hagen versucht, um jeden Preis ein klassischer Vier-Quadranten-Film zu sein, also die vier Hauptbevölkerungsgruppen (Männer und Frauen unter und über 25 Jahren) anzusprechen. Er zeigt dabei ganz deutlich: Feminist*innen gehören nicht dazu. Ein Film, der rückwärtsgewandter kaum sein könnte, erhält Filmförderung in Millionenhöhe – das spricht Bände über Deutschland in der Gegenwart.
Ab 17.10.2024 im Kino.
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