Yes, God, Yes – Böse Mädchen beichten nicht

Der klangvolle Titel Yes, God, Yes lässt bereits erahnen, besonders, wenn eins die Beistrich-Atempausen mitliest, worum es in Karen Maines Debütfilm geht: Die Lust im Hause Gottes. Weiße nordamerikanische Teenagerinnen, die inmitten katholisch-schuldbehafteter Sitten ihre Sexualität zu entdecken suchen, machten Regisseurinnen in den letzten Jahren oft zu den Protagonistinnen ihrer Coming-of-Age Geschichten. Gemeinsam ist diesen Filmen ihr Nostalgiefaktor digital eingeschränkter Zeiten: The Miseducation of Cameron Post ist Anfang der 1990er angesetzt, während Ladybird und Yes, God, Yes um das Jahr 2000 spielen.

© Capelight Pictures ___STEADY_PAYWALL___

Regisseurin und Drehbuchautorin Karen Maine erzählt in Yes, God, Yes von der Teenagerin Alice (Natalia Dyer), die eine katholische Highschool besucht. Alice’ Alltag spielt sich in einer Zeit vor Smartphones und uneingeschränkter Verfügbarkeit von pornografischen Bildern und Aufklärungsseiten, die sexuelle Begrifflichkeiten und Praktiken erklären würden, ab. Zeitlos bleibt der hohe Stellenwert, den das sexuelle Erwachen während dieser Altersphase potenziell einnimmt. So offen wie in Sex Education spricht aber in Alice’ Freund:innenkreis keine:r über die eigenen Erfahrungen. Bin ich die einzige, die masturbiert, fragt sich die Protagonistin. 

Es macht den Eindruck, Alice’ Mitschüler:innen eifern dem Regelwerk des unterrichtenden Schulpfarrers gehorsam nach. Nachdem eine Mitschülerin (Alisha Boe) Alice und ihrer besten Freundin Laura (Francesca Reale) strahlend erzählt, die Absolvierung eines viertägigen „Kirkos“- Retreats habe ihr Leben verändert, entschließen sich die zwei, ohne wirklich zu wissen, was sie erwartet, bei der nächsten Gelegenheit ebenso daran teilzunehmen. Was wie ein Verschwörungskreis oder eine mystische Truppe erscheint, ist in Wahrheit eine vom Schulpfarrer angeleitete katholische Jugendfreizeit. Diese Art von Retreat-Programm ist keine Erfindung der Filmemacherin: Unter dem Namen „Kairos“ existieren in den USA tatsächlich derartige Gemeinschaften.

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Die Retreat-Tage bestehen aus gemeinschaftlichen Aktivitäten und Gesprächskreisen. Nachdem um Alice das Gerücht kursiert, sie habe mit einem Mitschüler geschlafen, ist für die Leitung des Kirkos-Programms klar, dass sie sich v.a. in Enthaltsamkeit üben sollte. Sex soll erst nach der Ehe erfolgen und diene nur zum Zwecke der Nachwuchsproduktion. Folglich ist an Masturbation ebenso nicht zu denken. Alice’ Lustempfinden lässt sich von den Moralpredigten des Pfarrer-Lehrers aber nicht zu schnell beeindrucken. Sie tauscht über seinen Bürocomputer heimlich erotische Chatsprüche mit Unbekannten aus und empfindet die Vibrationen ihres Nokia-Handys genauso stimulierend wie das Beobachten ihrer vermeintlich keuschen aber in Wahrheit sexuell aktiven Mitschüler:innen. Diese unverkrampft inszenierten Szenen weiblicher Lust sind befreiend und geben dem adoleszenten Erwachen eine selbstverständliche Existenzberechtigung. Dafür gewinnt Yes, God, Yes deutlich Pluspunkte.

Die obligatorische Liebesgeschichte fehlt in der Teenie-Erzählung natürlich auch nicht. Alice interessiert sich ausgerechnet für den Kirkos-treuen Chris, klassisch: In der Highschool  ist er alsr Star des Football-Teams bekannt. Maine inszeniert auf unterhaltsame Weise Alice’ begehrende Blicke. Mehrmals sehen wir ihre Augen im Close-Up und dazu sehr nahe Einstellungen von Chris behaarten Unterarmen. Die mit dem Song „Geenie in the Bootle“ untermalte Passage, in der Alice von der Ferne imaginiert, Chris’ Armhaare zu streicheln, passen zum komödiantisch, oft plakativen Ton des Films – “My body’s sayin‘ let’s go. Oh, oh, oh. But my heart is sayin‘ no“. Solche Momente stellen explizit weibliches Begehren in den Vordergrund und schaffen eine lockere Atmosphäre. Zugleich lässt sich darin auch ein humorvoller Kommentar auf medial dominierende Blickkonstellationen – männlicher Blick fällt auf weibliches Körperteil – lesen. Denn mit diesen sehr nahen Einstellungen, der Zeitlupe, der Popmusik funktioniert die Montage auch als Parodie auf dieser Art des männlichen Blicks. Alice’ Versuch, Chris’ Aufmerksamkeit zu erlangen, indem sie sich als hilfsbedürftig gibt, kann auch entweder als stereotypes, längst überholtes Rollenbild – sie ist schließlich kurzfristig damit erfolgreich – oder als ironische Übertreibung gelesen werden. Die Einordnung hängt hier deutlich von der rezipierenden Person ab.

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Was Yes, God, Yes von vielen thematisch ähnlichen Coming-of-Age Filmen unterscheidet, ist der Grund für das Außenseiterinnentum seiner Protagonistin. Ihre Peers beginnen Alice mit kritischen Augen anzusehen, weil sie ihre sexuelle Lust nicht unter den Teppich kehrt. Einerseits kommt ihr der negative Ruf der Promiskuität nach, andererseits sorgt erst der Skandal, sie hätte pornografische Inhalte am PC des Pfarrers abgerufen, für den Bruch ihrer besten Freund:innenschaft. Laura sind die Grundsätze des Pfarrers wichtiger als Alice und sie wendet sich von ihr ab, nachdem sie sie als „Perverse“ abstempelt. Der Film arbeitet mit konservativen Stereotypen, denen sexuell aktive Frauen begegnen. Indem er seine Protagonistin ernst genug nimmt, schafft er es gleichzeitig, weibliche Sexualität als wichtige Erfahrung zu erzählen und negative Stereotype aufzubrechen.

Der deutsche Untertitel „Böse Mädchen beichten nicht“ ist hingegen leider kontraproduktiv gewählt, impliziert er doch, dass nur „böse“, geheimnisvolle, nicht-gläubige Mädchen wie Alice sexuell aktiv und selbstbestimmt seien. Das erinnert an Frauenbilder wie die der femme fatale, deren Sexualität und Begehren mystifiziert und so in eine exklusive Nische gedrängt wird oder an final girl Narrative, in denen sexuell aktive Frauen am Ende für ihre Lust bestraft werden.

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Ein wenig enttäuscht auch die Auflösung des Konfliktes um den PC des Pfarrers. Nachdem die meisten Mitschüler:innen Alice verdächtigen, sie habe pornografische Inhalte am Standcomputer des Leiters aufgerufen, folgt keine Klärung, sondern eine Verschiebung des Konfliktes: Darin bestrebt, ihren Ruf zu retten, wendet Alice den Verdacht von sich selbst auf einen Mitschüler ab (dem sie so auch eine Retourkutsche liefern kann). Hier lässt der Film leider keine alternative Lösung zu und macht Alice dann doch zu einem „bösen“ Mädchen. Im Kosmos der religiösen Sittenwache, so suggeriert dieser Ausgang, gibt es nur die Möglichkeit nach Außen hin den lusttötenden Anforderungen zu entsprechen und sexuelle Aktivität heimlich auszuüben. Im Endeffekt setzen sich also die Anforderungen des Pfarrers, der eine heteronormative, patriarchale Gesellschaft verkörpert, durch und die junge Generation trägt sie weiter.

Yes, God, Yes ist zwar ein unterhaltsamer, kurzweiliger Film, der mit dem Thema weiblicher Sexualität spielerisch umgeht, enttäuscht aber mit seinem Ende. Vergleicht eins die rebellische Ladybird mit Alice, wird klar, dass Yes, God, Yes weniger aneckt und den Hauptkonflikt seiner Protagonistin – ein sexuell aktives Leben zu führen und gleichzeitig Teil einer katholischen Gemeinschaft zu sein – eher allzu versöhnlich verebben lässt als emanzipatorisch aufzulösen. Karen Maine bringt dennoch laufend gelungene Pointen ein und kreiert eine Erzählung, die die Erfahrungen der Protagonistin nicht nur ins Lächerliche abfallen lässt. Das Publikum begegnet vertrauten High-School Settings und Figurenkonstellationen, die Haltungen der Schüler:innen gegenüber Geschlechterrollen und sexueller Orientierung hätten aber durchaus mehr Potenzial zur Dekonstruktion gehabt.

Yes, God, Yes ist ab 5. Februar 2021 als DVD, Blu-ray und seit 18. Januar 2021 digital verfügbar.

Bianca Jasmina Rauch
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