FFMUC 2018: The Miseducation of Cameron Post
Die christliche Kirche ist mit Recht eine der am meisten kritisierten Institutionen unserer Gesellschaft. In ihrem Namen wurden und werden schreckliche Kriege geführt, im Großen und im Kleinen. Heute mag es keine Kreuzzüge und Hexenverbrennungen im wortwörtlichen Sinne mehr geben, aber auch Umerziehungslager für homo- oder trans*sexuelle Menschen, wie sie es insbesondere in den USA immer noch gibt, sind eine Form nicht zu rechtfertigender Gewalt. Nächstenliebe sehe ich weder in der einen noch in der anderen Unternehmung. Und so fällt The Miseducation of Cameron Post, die Coming of Age Geschichte eines lesbischen Mädchens* im christlichen Läuterungsinternat bei mir auf fruchtbaren Boden.
Aber ich bin nicht nur Queerfeministin, sondern auch Christin – eine sehr komplizierte Position. Und das übrigens nicht, weil meine Kirchengemeinde versuchen würde, mich zum rechten Glauben zurückzuführen oder mir in irgendeiner Weise das Gefühl gäbe, unzulänglich, falsch oder irregeführt zu sein. Sondern weil ich in queerfeministischen Kreisen regelmäßig mit schmerzhaft hasserfüllten Aussagen über meine Religion konfrontiert bin.
Versteht mich nicht falsch: Mir ist bewusst, dass diese Position oft aus ebenso schmerzhaften Erfahrungswerten resultiert. Nur ist niemandem geholfen, den erlebten Hass umzudrehen und alle Christ_innen pauschal in den Topf hirnverbrannter Fundamentalist_innen zu werfen. Das Schlachtfeld ist – wie so oft – ein durch uns konstruiertes. Und Frieden entsteht nur, wenn beide Seiten die Waffen niederlegen.
Wenn Titelheldin Cameron (Chloë Grace Moretz) das christliche Internat betritt und mitten in einem Lobpreis landet, wird das auf die meisten Zuschauer_innen, insbesondere in Deutschland, befremdlich wirken. Ebenso wie das christliche Rockkonzert, das die Jugendlichen gemeinsam besuchen, oder die regelmäßigen Gebetsrunden. Für mich jedoch sind diese Dinge für sich genommen weder fremd, noch lächerlich, noch bedrohlich, sondern schlicht und einfach Ausdruck einer religiösen Überzeugung.
Ganz anders verhält es sich mit der in Engelsstimmen vorgetragenen verbalen Gewalt, die den Jugendlichen das Gefühl gibt, falsch und verdorben zu sein. Die in frommen Versen getarnte Gehirnwäsche geht selbst an der sonst so taffen Cameron nicht vorbei, der schließlich Zweifel kommen, ob sie nicht vielleicht doch an sogenannter „gender confusion“ leidet. Die Art und Weise, wie die jungen Menschen, ohnehin in einer Phase starker Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, hier psychisch anhaltend destabilisiert werden, ist schwer mit anzusehen.
Dabei geht es Regisseurin Desiree Akhavan nicht um ein voyeuristisches Auskosten der subtilen seelischen Folter und dementsprechend ist die Stoßrichtung ihrer Erzählung auch nicht Mitleid, sondern Empathie. Die gefällige Inszenierung im Stile zeitgenössischer US-amerikanischer Indie-Produktionen sorgt für die notwendige Portion Leichtigkeit, ohne dabei den Ernst der Lage aus dem Blick zu verlieren. The Miseducation of Cameron Post ist klar auf ein möglichst breites Publikum ausgerichtet. Und das ist grundsätzlich eine völlig legitime Ausrichtung.
Allein mit der anhaltenden Gegenüberstellung von Homosexualität und Christentum habe ich dann doch ein maßgebliches Problem. Cameron ringt zu keinem Zeitpunkt mit der Vereinbarkeit von Glauben und sexueller Identität bzw. Orientierung. In der Logik des Films geht es stets um ein Entweder-Oder, wobei Desiree Akhavan keine Zweifel daran aufkommen lässt, was hier die richtige Entscheidung wäre. Aber auch das ist diskriminierend und in gewisser Weise gewaltvoll. Könnte es nicht auch sein, dass homosexuelle Jugendliche ihren christlichen Glauben weiterhin leben wollen? Sollten sie hierfür nicht eine Perspektive aufgezeigt bekommen, anstatt für diese religiösen Gefühle ebenso beschämt und verurteilt zu werden wie auf der anderen Seite für ihre Homosexualität? Ich jedenfalls glaube fest daran, dass die Unvereinbarkeit von Homo- bzw. Trans*sexualität und christlichem Glauben auch dann gewaltvoll und destabilisierend wirken kann, wenn sie statt von der Kirche seitens der queeren Community behauptet wird.
Insofern ist mir The Miseducation of Cameron Post eintschieden zu eindimensional. Die binäre Schwarz-Weiß-Logik, die klare Einordnung der Figuren in Gut und Böse, Opfer und Täter, lässt keinen Raum für Graustufen und ähnelt in ihrer Engstirnigkeit im Grunde dem Weltbild fundamentalistischer Christ_innen. Damit ist wirklich nichts gewonnen. So einfach ist die Welt eben nicht, auch wenn wir das gerne manchmal so hätten. Es gibt eben nicht nur eine Vielzahl an sexuellen Identitäten und Orientierungen, sondern auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, den christlichen Glauben zu leben und zu praktizieren. Und diese Vielfalt, in beiden Bereichen, sollte sich in kulturellen Repräsentationen wiederfinden.
Wer mir übrigens nicht glaubt, dass Queerness und Christentum vereinbar sind, dem empfehle ich, die Glide Memorial Church in San Francisco zu besuchen, folgenden Wikipedia Eintrag zu lesen oder mal in meiner Gemeinde in Berlin-Wedding vorbei zu kommen.
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