The Iron Claw: Leben im toxischen Superlativ

Das Familiendrama von Regisseur und Drehbuchautor Sean Durkin beruht auf wahren Gegebenheiten und erzählt von toxischen Männlichkeitsidealen, emotionaler Hilflosigkeit und der Fantasie, den patriarchalen Teufelskreis ein für allemal zu durchbrechen.___STEADY_PAYWALL___

Harris Dickinson als David Von Erich reckt einen Arm in die Höhe, um bei seinem zu Boden fallenden Gegner sein Markenzeichen, The Iron Claw, anzuwenden

© Leonine Distribution

Professionelles Wrestling in den 1980er und 90er-Jahren: Es ist die Zeit der abgedrehten Kostüme, der langen Haare, der über-theatralischen, über-inszenierten Kämpfe. Es ist die Zeit von Hulk Hogan, von André the Giant, von Rick Flair und den Von Erich Brüdern. Bei den Von Erichs hat das Wrestling Famillientradition. Der Vater, Fritz (Holt McCallany), war in den 1960er Jahren ein Bösewicht im Ring (im Wrestlingjargon auch „heel” genannt). Seine Söhne Kevin (Zac Efron), David (Harris Dickinson), Kerry (Jeremy Allen White) und Mike (Stanley Simons) erzieht Fritz mit protestantischer Strenge. Erfolg um jeden Preis, kein Scheitern, keine Tränen, kein Widerspruch. Eine ganze Weile geht das gut, bis die Familie von einer Tragödie nach der anderen heimgesucht wird. Ein Flucht, heißt es, laste auf den Von Erichs. Außer natürlich, dass das Ganze nichts mit Flüchen zu tun hat. Was auf den Von Erichs lastet, ist menschengemacht und nennt sich Patriarchat.

Der Stärkste, der Härteste, der Erfolgreichste

Der Film beginnt mit Vater Fritz im Ring. Schwarz-weiß, unheimlich brutal. Sieg und Jubel. Kurz darauf, mit Ehefrau Doris (Maura Tierney) und zwei Kindern im brandneuen Cadillac dann ganz andere Töne: „Der einzige Weg, dieses Ding zu besiegen, ist, der Härteste, der Stärkste, der Erfolgreichste zu sein.” Und Doris antwortet etwas verblüfft und ziemlich müde: „Aber es gibt kein Ding.” Fitz allerdings klammert sich an dieses Lebensmotto. Jahre später, die Söhne sind inzwischen erwachsen, zieren das Wohnzimmer drei Dinge: Sporttrophäen, Schusswaffen und Familienfotos.

Die Von Erich Brüder: David (Harris Dickinson), Kevin (Zac Efron), Kerry (Jeremy Allen White) und Mike (Stanley Simons). Alle mit unterschiedlichen Variationen derselben Topfschnittfrisur

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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und falls er es doch gut, wird halt nachgeholfen. Die Söhne folgen ihrem Vater in den Ring – ob sie es wollen oder nicht. Finanziell sind sie abhängig von Fritz, denn der leitet und verwaltet das Familienunternehmen. Das Wrestling-Markenzeichen der Von Erichs ist übrigens „the iron claw”. Mit einer Hand wird dem Gegner der Schädel an den Schläfen zusammengepresst. Die Eisenklaue hat auch Kevin, David, Kerry und Mike fest im Griff. Gemacht wird, was der Vater sagt.

Die Von Erich Familie beim sonntäglichen Gottesdienst

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Der Stärkste, der Härteste, der Erfolgreichste sein. Wie lebt es sich im toxischen Superlativ? Schlecht, mühsam, unter Schmerzen. Auch wenn Wrestling in den 80ern schon lange ein abgekartetes Spiel ist, bei dem Gewinner und Verlierer feststehen – der Schmerz ist echt. Und das nicht nur im Ring. Gewichte stemmen, Bodyslams, Chokeholds und Backbreaker üben ist in The Iron Claw so ziemlich das Gegenteil der locker-leichten Trainingsmontage anderer Sportdramen. Es tut weh, es macht keinen Spaß und es ist nie genug.

Der Erfolgsdruck nämlich hört nicht auf. Es gibt kein entscheidendes Match mit anschließendem Ende gut alles gut. Es geht weiter und weiter und weiter. Von lokalen Preisturnieren zur Weltmeisterschaft und anschließend von einem Sohn zum nächsten. Das kann nicht gut enden und das tut es auch nicht.

Wrestling ohne camp, Tragik ohne Seifenoper

Dabei ist Wrestling choreografiert, die Rivalitäten geskripted. Es geht nicht ums Siegen, darum wer „der Beste” ist, sondern darum, eine gute Performance abzuliefern. Das wiederum erinnert an Leistungsdenken jenseits des Rings.

Beim Footballspiel stehen sich Bürder und Vater gegenüber

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Professionelles Wrestling ist kein klassischer Sport, es ist Theater, Akrobatik, Performance. Die Strassstein-besetzten Kostüme, die knappen Hosen, die Comicbuch-artigen Körper, die Darstellung von Gut und Böse – all das zelebriert, reproduziert und unterwandert Vorstellungen von Männlichkeit. The Iron Claw erzählt Wrestling in seiner düstersten, nüchternsten, „echtesten” Version. Hier und da blitzen ein paar Strasssteine, werden üppige Frisuren und übertriebene Reden in Wrestlingpromotions geschwungen. Im Vordergrund aber steht immer der Schmerz, der Druck, die Qual. Eine Entscheidung, die zum Ton des Films, zur Trauer und zum Verlust der Figuren passt. Schade ist es trotzdem manchmal, wenn die überzogenen, Seifenoper-artigen, campen Wrestling-Elemente und damit auch alle unfreiwillig-queeren Lesarten fehlen. Es ist mehr ein Familiendrama als ein Wrestlingfilm.

Alte Kamellen?

Strenger Vater, kaputte Kinder – it was patriarchy all along! Dazu eine kräftige Prise toxischer Männlichkeit. Die Schlagworte, mit denen sich The Iron Claw beschreiben lässt, schmecken merkwürdig schal. Geht es vielleicht nur darum, Zac Efron, Jeremy Allen White und Harris Dickinson – muskelbepackt und in engen Hosen – anzuschauen?

Der Punkt, an dem der  Film etwas zu sagen hat, an dem er uns etwas spüren lässt, ist dieser: Zac Efrons Kevin ist unter seinen riesigen Muskeln, in diesem viel zu großen Körper erst ziemlich unglücklich und am Ende einfach nur noch einsam. Die Muskeln sind ein löchriges Schutzschild, eine schlecht sitzende Maske. Dahinter verbirgt sich ein Mensch, der fehl am Platz ist. Der läuft und läuft und läuft und nicht vom Fleck kommt. Auf Anerkennung von seinem Vater hofft er vergebens. Aber eigentlich bleibt Kevin auch nicht wegen seines Vaters im Ring, sondern weil er Zeit mit seinen Geschwistern verbringen will.

Die Von Erichs bei einer Gruppenumarmung im Wrestling-Ring

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Die väterliche Anerkennung kommt nie, weil Fritz es beim besten Willen nicht schafft, etwas anderes als höher, schneller, weiter an seine Kinder zu vermitteln. Wenn es um Gefühle geht, ist er vollkommen hilflos. Eingefroren und abgekapselt. Was nicht heißt, dass er keine hat. Holt McCallany zeigt uns deutlich und mit großer Verletzlichkeit, was Fritz für seine Kinder fühlt.

Seine emotionale Hilflosigkeit gibt Fritz natürlich weiter. Aber – auch das ist eine Stärke des Films – nicht eins zu eins. Der Strenge und Kälte des Elternhauses zum Trotz gehen Kevin, David, Kerry und Mike erstaunlich liebevoll miteinander um. Sie begegnen einander irgendwo zwischen männlichem Schulterklopfen und wortloser Behutsamkeit. Das kommt einer stillen Revolte, einem Auflehnen gegen die vom Vater forcierte Rivalität gleich. Nur wenn es ums Reden geht, wenn Nähe nicht durch Gesten ausgedrückt werden kann und eine gemeinsam durchzechte Nacht nicht ausreicht, laufen die Von Erich Brüder gegen die Wand.

Und was ist mit den Frauen?

Der Film lässt an zwei, leider recht zentralen Punkten allerdings zu wünschen übrig. Da sind einmal (Überraschung!) die weiblichen Figuren. Das sind Maura Tierny als Doris Von Erich und Lily James als Pam Adkisson, Kevins Partnerin und Ehefrau. Der Film bemüht sich, die beiden als mehrdimensionale Figuren zu zeichnen. Pam hat eigene Karriereambitionen und kein Interesse daran, ein Leben als Hausfrau zu fristen. Doris durchläuft im Hintergrund ihre eigene Entwicklung und lässt sich, wie wir aus den Endcredits erfahren, am Ende scheiden. Aber das war es dann auch. Die beiden kommen selten vor und wenn sie vorkommen, dann um den Handlungsstrang der männlichen Figuren voranzutreiben.

Im Brautkleid mit Schleppe umarmt Pam (Lily James) stürmisch ihren Ehemann Kevin (Zac Efron) in The Iron Claw

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Ein Stück weit ist das verständlich – der Film konzentriert sich auf Kevin und seine Brüder. Es wird aber dann lächerlich, wenn weibliche Figuren aktiv aus der Geschichte herausgeschrieben werden. Kevin und Pam haben insgesamt vier Kinder, von denen im Film zwei Söhne gezeigt werden. Die beiden Töchter tauchen nie auf. Sind sie vielleicht jünger und deshalb nicht im Film? Nein, sie sind älter und der Film radiert sie einfach aus der Handlung, weil es um Kevins Beziehung zu seinen Söhnen gehen soll. Da diese aber sowieso nicht besonders viel Platz einnimmt, hätten es die Töchter auch getan.

Kevin Von Erich in Aktion: Er führt einen Wrestling-Move aus, bei dem er hochspringt und seinen Gegner in der Luft seitlich mit den Füßen zu Fall bringt

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Ja, in The Iron Claw geht es darum, dass das Patriarchat auch heterosexuelle cis-Männer unterdrückt. Das aber sollte nicht bedeuten, dass alle weiblichen Figuren an den Rand gedrängt oder ganz außen vor gelassen werden können. Im Film, so betont Regisseur Sean Durkin in Interviews, gehe es darum, den Teufelskreis von Erfolgsstreben und Einsamkeit zu durchbrechen. Die Männer, das schwingt im Film sehr deutlich mit, regeln das Teufelskreisbrechen unter sich. Pam kann Kevin dabei nur liebevoll die Hand halten. Dabei wäre es doch spannender, wenn die Figuren sich zusammentun würden, um gemeinsam Teufelskreise zu brechen. Der Film ist ja genau dann am stärksten, wenn er die Sehnsucht nach Zwischenmenschlichkeit, den Zusammenhalt trotz liebloser Erziehung beschreibt.

Kerry Von Erich (Jeremy Allen White) hinter dem Lenker seines Motorrads in The Iron Claw

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Womit wir beim zweiten Punkt wären. Im Interview mit Vanity Fair erzählt Sean Durkin:  „Das Streben nach Größe findet nicht im Ring statt – es findet zu Hause statt. Deshalb […] bricht [Kevin] nicht unter dem Druck von: ‘Oh, wenn ich nicht Weltmeister werden kann, ist das Leben nicht lebenswert’ zusammen.” Durkin war es wichtig, dass der Film ein Happy End hat. Auch das ist nachvollziehbar. Eine Geschichte mit Vorbildcharakter sozusagen: ‘Wenn Kevin es geschafft hat, kannst Du es auch schaffen!’

Dass die Rettung in der heteronormativen Kernfamilie liegt, ist aber dennoch irgendwie enttäuschend. Hier hätte dem Film ein wenig Ambivalenz gut getan. Natürlich ist es wichtig, patriarchale Muster zu durchbrechen, aber einfach ist es nicht. Innerhalb einer Generation schafft es wohl auch der entschlossenste Held mit der liebenswertesten Frau an seiner Seite nicht. Dass Kevin einfach Zuhause nach Größe strebt, wirkt am Ende dieses Films, der an anderen Stellen so einfühlsam erzählt, eher kitschig als inspirierend.

Mike Von Erich (Stanley Simons) beim Gitarrespielen in The Iron Claw

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Und noch eine Sache: In einem Film, der die Töchter von Kevin Von Erich, die Ehepartnerinnen und Kinder seiner Brüder und (kein Witz) einen weiteren Bruder –  Chris Von Erich – aus dramaturgischen Gründen weglässt, ist es doch merkwürdig, Endcredits zu lesen und ein Familienfoto zu bestaunen, die den Anschein erwecken, hier hätte es sich um nichts als die Wahrheit gehandelt.

Also – ist The Iron Claw sehenswert? Schon, ja. Der Film verliert am Ende an Wucht und er hält nicht immer, was er verspricht, aber die guten Teile sind phänomenal. Braucht es noch einen Film über traurige Männer im goldenen Käfig des Patriarchats? Definitiv. Wir müssen uns diese Geschichten immer und immer wieder erzählen, bis sie sich einprägen – wie Wiederholungen beim Vokabellernen. Noch einmal und jetzt mit Gefühl. Oder: Jetzt mit komplexen Frauenfiguren, die auch tatsächlich vorkommen dürfen.

Filmstart 21.Dezember 2023

Theresa Rodewald