The Drover’s Wife

Mit The Drover’s Wife eignet Leah Purcell sich das kolonial und patriarchal geprägte Genre des Western an. Sie schrieb das Drehbuch, führte Regie und spielte selbst die Hauptrolle. Die Legende von Molly Johnson beschäftigt die indigene Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin seit längerem. Aus einer kolonialen Erzählung von 1890 über eine weiße Frau, die ihre Kinder gegen eine Schlange im Haus verteidigt, schuf Purcell zunächst ein Theaterstück (2016), welches sie anschließend als Erzählung veröffentlichte, und nun einen Kinofilm über rassistische und patriarchale Gewalt.

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The Drover’s Wife spielt im australischen Outback im Jahr 1893. Britische Siedler:innen kolonisieren das Land der Aborigines und implementieren ihre Vorstellung von Zivilisation. Die gesellschaftliche Ordnung ist von Hierarchien geprägt, in denen Männer über Frauen und weiße über Schwarzen stehen.___STEADY_PAYWALL___

Molly Johnson lebt mit ihren Kindern fernab der nächsten Siedlung. Leah Purcell verkörpert Molly als abgehärtete, verschlossene Frau, die ihren Alltag hochschwanger mit vier Kindern bestreitet. Ihr Mann sei Viehtreiber und komme bald wieder, erzählt sie Fremden. Den Status als Ehefrau trägt sie ebenso wie ihr Gewehr als Schutz vor sich her. Welche Gefahren auf Molly lauern, bleibt zunächst im Verborgenen. The Drover’s Wife hält eine hohe Anspannung mit Stilmitteln, die an Mystery-Thriller erinnern. Irgendetwas verfolgt Molly, die Kamera umkreist und bedrängt sie. Flashbacks bringen sie immer wieder zurück zu einem für sie traumatischen Augenblick, der im Film zunächst fragmentarisch bleibt: Ein Schuss, Blut, Dunkelheit. Die aufziehenden Nebelschwaden scheinen weiteres Unheil anzukündigen. Sie suggerieren, dass die Gefahr wie in der Geschichte mit der Schlange aus der wilden Natur in ihre Hütte eindringt.

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Als Yadaka (Rob Collins), ein aus dem Gefängnis entflohener Aborigine, Zuflucht in Mollys Hütte sucht, scheint sich diese Befürchtung zu bewahrheiten. Entgegen der Erwartung nutzt Yadaka Mollys Schwäche jedoch nicht aus, als ihre Wehen einsetzen, sondern ist ihr sogar eine Stütze. In ihrer Trauer um das totgeborene Kind lässt Molly erstmals emotionale Nähe zu und beginnt sich ihren Traumata zu stellen. Yadaka konfrontiert sie damit, dass ihre leibliche Mutter eine Aborigine ist. In Mollys Auseinandersetzung mit der eigenen Identität wird deutlich, dass die Gefahren nicht im Outback lauern. Vielmehr geht die Gewalt von der eigenen gesellschaftlichen Ordnung aus, die von Rassismus und Misogynie geprägt ist, in der Ehemänner ihre Frauen verprügeln und Kinder indigener Abstammung verschleppt werden.

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Die anhaltende Spannung aus dem ersten Teil des Films entlädt sich mit expliziten Gewaltdarstellungen. Der Kampf von Gut gegen Böse im klassischen Western beruht auf der Prämisse, dass der weiße Mann Recht und Ordnung schafft. Molly hingegen erlebt, wie diese Ordnung einer kolonialen und patriarchalen Herrschaft mit Gewalt durchgesetzt wird. Sichtbar wird diese alltägliche Gewalt in The Drover’s Wife erst, als Molly sich dagegen zur Wehr setzt. Purcell verweigert dem Publikum die Befriedigung eines feministischen Rachefilms. Molly Johnson erfährt keine Gerechtigkeit, stattdessen begegnet das gesellschaftliche System ihrer Widerständigkeit mit immer mehr Gewalt.

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Leah Purcell fügt der Legende von The Drover’s Wife mit ihrer Neu-Erzählung eine wichtige Perspektive hinzu: Die Perspektive von Molly Johnson, einer widerständigen indigenen Frau. Dieser Perspektivwechsel bringt die im Western ebenso wie in der kolonialen Geschichtsschreibung verankerten Glaubenssätze ins Wanken. Er macht die Brutalität der Kolonialisierung sichtbar und verleiht dem Leid der Kolonisierten Gehör.

Kinostart: 10. November 2022

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