Please Baby Please: Leder, Lust und Rollenspiele

Please Baby Please ist der erste Spielfilm der Musikerin Amanda Kramer, die mit Bands wie Information Society, The Golden Palominos oder The Psychedelic Furs Bekanntheit erlangte. Ihr Film folgt Suze (Andrea Riseborough) und Arthur (Harry Melling), einem mehr oder weniger durchschnittlichen New Yorker Paar in den 1950er-Jahren – irgendwo zwischen aufkeimender Counterculture und Bürojob/Hausfrauendasein. Eines Abends beobachten sie eine Straßenbande  – die Young Gents, deren Mitglieder in Leder gekleidet und mit pomadisiertem Haar aussehen, als wären sie Grease (Randal Kleiser, 1978) oder einer Tom-of-Finland-Zeichnung entsprungen – bei ihrem Mord an unschuldigen Zivilist:innen. Suze und Arthur  sind schockiert, aber irgendwie auch … erregt. Es folgt ein Musicalfilm zwischen erotischem Fiebertraum und nostalgischer Greaser-Hommage.___STEADY_PAYWALL___

Andrea Riseborough in Please Baby Please

© Mubi

Please Baby Please ist seltsam und stolz drauf. Der Film ist absichtlich theatralisch – die Figuren führen keine Dialoge, sie halten Reden: „Die Männerwelt ist immer eine Welt des Vergleichs und Maßnehmens,” sagt Arthur, als würde er im Globe Theatre Shakespeare zitieren. Harry Mellings Schauspiel ist dabei vergleichsweise zurückgenommen. Andrea Riseborough, die dieses Jahr für einen Oscar nominiert war, spielt Suze so absichtlich gekünstelt und riesengroß, als wäre der Ausdruck Camp für sie erfunden worden. Szenenbild und Beleuchtung erschaffen ein konstant in Pink und Azurblau getauchtes retro Manhattan, das definitiv mehr von einer Bühne hat als von einer echten Stadt.

Harry Melling und Andrea Riseborough als Arthur und Suze - geschockt und fasziniert zugleich

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Blicke, Verlangen und Macht

Wieso inszeniert Amanda Kramer ihr Musical als Film anstatt als Bühnenshow, wenn er mit Letzterem doch mehr zu tun haben scheint?. Die Nähe, die ein Film im Gegensatz zum Theater ermöglicht, beschwört Kramer durch Nahaufnahmen und Kamerafahrten ganz bewusst herauf, um sie dann durch die bühnenhafte Inszenierung immer wieder zu brechen. Diese ständig gebrochene Nähe übt einen eigenwilligen Sog aus, ein wenig wie ein umgekehrter Brecht’scher Verfremdungseffekt. Das deutlich vom Theater beeinflusste Szenenbild, die irreale Lichtgestaltung und das affektierte Schauspiel schaffen eine Distanz zwischen Publikum und Film. Gleichzeitig bringt uns die Kameraarbeit nah an die Figuren heran und nimmt stellenweise ihre Perspektive ein. Dadurch werden die erotisch aufgeladenen Blicke, das Verlangen und die Fantasien der Protagonist:innen verstärkt und erfahrbar.

Queeres Begehren und Sehnsucht nach Macht

Interessant ist dabei, dass Suze und Arthur sich nach ganz unterschiedlichen Dingen sehnen. Arthur ist fasziniert von Gang-Mitglied Teddy (Karl Glusman), der in Lederjacke und -mütze wie eine Mischung aus Teddy Boy und Marlon Brando in Endstation Sehnsucht (Elia Kazan, 1951) daherkommt. Die liebevoll-voyeuristische Kameraarbeit lässt uns wissen, womit Arthur zunächst hadert: dass er Teddy an die Wäsche will. Arthur erzählt zwar allen, die es hören wollen, dass er „nicht das Bedürfnis verspürt, [sich] männlich zu verhalten”, sein queeres Begehren wirft ihn dann aber doch aus der Bahn.

Arthur und Teddy stehen sich auf einer pinkish-rot ausgeleuchteten Strasse gegenüber

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Amanda Kramer spielt mit der Fantasie vom harten Kerl, der bei genauerem Hinsehen doch nicht so hart ist. Und ja, Teddy sieht nicht nur gut in Leder aus, da ist auch etwas unter seinem Draufgängertum, seiner überdeutlichen „performance of masculinity”, etwas, das verzweifelt und verletzlich ist und lieben will. Arthur fühlt sich dazu hingezogen. Aber er ist genauso fasziniert von Teddys Gewaltausbrüchen: Als dieser eine halbe Hochzeitsgesellschaft zur Strecke bringt, schaut Arthur zu. Er verfolgt das Geschehen mit großen Augen und halboffenem Mund, sein Gesichtsausdruck, genau wie das halb geflüsterte “Gott, Teddy…” am Ende der Szene, zeugen jedoch mehr von Bewunderung als von Schock. Auch die Kamera widmet der Gewaltorgie dabei übrigens dieselbe liebevolle Aufmerksamkeit wie Teddys Körper.

Karl Glusman als Teddy in Please Baby Please

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Im Gegensatz zu Arthur sehnt Suze sich nach der männlich-patriarchalen Macht, die die Greaser Bande symbolisiert. Es scheint zunächst, als würde sie sich selbst gerne unterwerfen („Was, wenn du nur ein bisschen gewürgt werden willst, nur ein bisschen, nicht zu viel.”) – unter dieser Fantasie verbirgt sich jedoch der Wunsch, selbst zu dominieren, selbst Gewalt auszuüben. Suze will nichts von Teddy, sie will Teddy sein – sie ist fasziniert von der Macht, die mit hegemonial-toxischer Männlichkeit einhergeht, begehrt danach, aus ihrer langweiligen (Haus-)Frauenexistenz auszubrechen.

Mary Lynn Rajskub und Andrea Riseborough Zigarette-rauchend in Please Baby Please

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Das Machtgefüge in Please Baby Please ist komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Suze und Arthur verbindet beispielsweise, dass sie in ihren Fantasien ihr Lustobjekt verklären, ihm damit aber auch jegliche Komplexität absprechen. Als Paar sind sie finanziell abgesichert, sind Teil jener bequemen Mittelklasse, die es heute kaum noch gibt. Arthur hasst seinen Job und die Person, zu der er ihn macht; Suze will mehr vom Leben. Beide übersehen von ihrer privilegierten Position aus, dass die Young Gents möglicherweise nicht aus vollkommen freien Stücken eine Straßenbande sind, die Leute ausraubt.

Geschlechterrollen als Käfig, Performance als Befreiung

Eines eint alle Figuren in Please Baby Please – sie hängen zunächst fest in patriarchal-heteronormativen Rollenmustern. Keine Figur ist mit der ihr auferlegten Rolle zufrieden. Männlichkeit, Weiblichkeit und Heterosexualität sind Käfige, an deren Gitterstäben gefeilt wird, was das Zeug hält. Der Schlüssel ist auch hier die bühnenhafte Inszenierung, denn wenn sowieso alle Figuren (Theater) spielen, dann können sie sich auch eine andere Rolle aussuchen. Hier streckt uns der Film – gewissermaßen durch den Bildschirm – eine Hand entgegen, lädt uns ein, weniger mitzuspielen, spielerischer zu sein und uns selbst neu zu erfinden.

Please Baby Please kann seit 10. März auf Mubi gestreamt werden

Theresa Rodewald