Mond – Kurdwin Ayub im Interview

Mit ihrem zweiten Spielfilm lotet Kurdwin Ayub “Beziehungen von Frauen, die in unterschiedlichen regionalen und sozialen Kontexten leben, Fragen von Solidarität und Emanzipation subtil und zugleich eindrücklich aus”, wie Filmlöwin Bianca Jasmina Rauch in ihrem Bericht zur Viennale 2024 schrieb. Mond erzählt von der ehemaligen Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger), die als Personal Trainerin für drei Schwestern (Andria Tayeh, Celina Antwan und Nagham Abu Baker) in Jordanien angeheuert wird. Die Situation vor Ort ist für sie zunächst befremdlich und wird zunehmend bedrohlich. Zum deutschen Kinostart am 27. März 2025 sprach Filmlöwin Lea Gronenberg mit Regisseurin Kurdwin Ayub.

Lea Gronenberg: Wir sprechen heute über deinen aktuellen Film Mond, der jetzt in die deutschen Kinos kommt. Darin erzählst du die Geschichte einer ehemaligen Kampfsportlerin aus Wien, die für einen Job nach Jordanien geht. Was hat dich an dieser Geschichte gereizt?

Kurdwin Ayub: Die Geschichte kommt von einem echten Ereignis, und zwar der Geschichte von der Prinzessin Latifa, die aus Dubai flüchten wollte. Sie hatte dabei Hilfe von einer finnischen Capoeira-Lehrerin. Was mich ur interessiert hat, ist, dass der Fluchtversuch gescheitert ist, aber diese Europäerin, ihre Personal Trainerin, hat es heil nach Europa geschafft und diese Prinzessin Latifa war dann jahrelang irgendwie verschwunden. Es ist wie so ein Sinnbild für Europa. Dass man glaubt, Europa hilft, aber tut es dann nicht und kann aber auch heil zurück in seine Wohnung gehen als wär nichts. ___STEADY_PAYWALL___

Filme, die mich noch tagelang danach verfolgen, das sind Filme, die ich toll finde und deshalb ist auch Mond so geworden.“

Wieso hast du die Perspektive der Europäerin gewählt, um diese Geschichte zu erzählen?

Hauptsächlich wird der Film hier gezeigt. Er läuft auch auf einigen Festivals im arabischen Raum, aber hier kommt er ins Kino. Eine westliche Perspektive, egal ob durch Sarah oder durch Nour oder irgendwen anders, existiert hier sowieso, weil sie durch das Publikum entsteht. Deswegen leite ich es mit Sarah durch den Film und werde es im Laufe des Films mit Erwartungen triggern, würde ich sagen, die ich dann vielleicht bremse. Damit sich die Leute ihre eigenen Gedanken machen. Filme, die mich noch tagelang danach verfolgen, das sind Filme, die ich toll finde und deshalb ist auch Mond so geworden. Das Publikum soll sich fragen: Was will der Film von mir? Was ist wirklich passiert? Wer ist schuld? Und was würde ich tun?

©Grandfilm UlrichSeidlFilmproduktion

Ein Beispiel für diese Erwartungen, die du beim Publikum aufbaust, liegt in der Gestaltung deiner Figuren, die sich Flim-Klischees wie dem des White Saviours oder auch der Powerfrau entziehen.

Sarah wirkt wie eine geborene Actionheldin, so wie in diesen 80er Jahren Filmen. Der ehemalige Boxer, der irgendwo hingeht und irgendwas ist da und dann muss er seine Boxertricks anwenden. Ich habe halt damit gespielt. Wenn Sarah reale Gewalt sieht, wird sie total passiv und Nour ist eigentlich die echte Kämpferin, die, obwohl sie nicht diese Tricks hat, den Willen oder den Mut hat.

Wir sind alle in so Rollen drinnen und aus denen können wir ausbrechen oder auch nicht.“

Gewalt und Unterdrückung spielen auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine große Rolle im Film, sie werden aber kaum explizit gezeigt. Wie ist deine Haltung zu der Frage, was man zeigen darf, was man seinem Publikum vielleicht auch zumuten muss?

Ich bin der Meinung, dass Kunst im Grunde vieles darf und ein Publikum auch erschüttern kann. Wir leben in einer Welt, wo es so viele schreckliche Nachrichten gibt, wo ich das Gefühl habe, dass Leute langsam abstumpfen. Ein Meme nach dem anderen über arge Themen. Ich wollte einen Film machen, der zwar nicht die Gewalt zeigt, aber bei dem man sie im Publikum spürt. Man muss sie nicht zeigen, um Gefühle zu erzeugen und ob sie jetzt gezeigt wird oder nicht, es kann genauso weh tun.

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Mond hat Genre-Elemente aus dem Thriller von Foreshadowing und Suspense. Während ich den Film gesehen habe, dachte ich, das ist genau die Art und Weise, wie man das Patriarchat im Film zeigen kann. Es ist immer präsent, bedrohlich, aber nie zu sehen. Der Patriarch der Familie, der Vater der drei Schwestern, taucht nie selbst auf.

Ja, er steht für ein System. Es war mir auch wichtig, dass man nie die Eltern sieht oder dass man nie jemanden sieht, der irgendwie sagt: “Du darfst und du darfst nicht.“ Sondern sie fühlen es alle und es ist irgendwie eine Rolle, in der sie sind. Aber auch Sarah, die nichts macht oder nur im Hotelzimmer sitzt und nicht richtig mit ihrer Schwester reden kann. Wir sind alle in so Rollen drinnen und aus denen können wir ausbrechen oder auch nicht.

„Wenn man gewagte Sachen macht, dann kann es sein, dass es polarisiert. Damit musste ich umgehen lernen bei Mond.“

Du hast Mond bereits bei einigen Festivals gezeigt und auch Preise z.B. in Locarno erhalten. Du weißt also, dass er gut ankommt. Ich habe mich aber gefragt, inwiefern es schwierig für dich war, an den Erfolg von Sonne anzuknüpfen.

Der Druck war natürlich sehr groß. Aber ich hab dann gelernt, dass der Film nicht bei jedem gut ankommt. Genauso ist Sonne auch nicht bei jedem angekommen und das ist okay. Wenn man gewagte Sachen macht, dann kann es sein, dass es polarisiert. Damit musste ich umgehen lernen bei Mond. Lustigerweise glauben alle, Sonne ist ein persönlicherer Film, aber eigentlich ist es Mond. Wenn Leute bei Sonne irgendwie schlecht geredet haben, hinter meinem Rücken oder so und ich das erfahren hab, hat es nicht so weh getan, wie bei Mond

Was ist so eine Kritik, die dir wehtut?

Ich habe das Gefühl, dass bei Mond meistens “Bio Europäer” gern moralisch urteilen. Wenn ich solche Sachen erfahren hab, hat mich das immer sehr, sehr wütend gemacht. Wenn man Themen zeigt, die gewagt sind oder nicht in der Bequemlichkeitszone der Menschen, überhaupt wenn es um Personen geht, die eine andere Ethnie haben als österreichisch-deutsch, dann kann man angreifen und kritisieren. Und das ist schon etwas, was mich die letzten Jahre belastet hat, auch das letzte Jahr wegen Mond.

Wie gehst du mit dieser Kritik um?

Ich glaube, es herrscht so ein Trend in unserer Kulturbürgerlichkeit wie man migrantische Personen oder Personen aus anderen Ländern, dem arabischer Raum oder dem afrikanischen, wie man sie darstellen darf oder nicht. Und weil man sich so viele Gedanken darüber macht, aus einem guten Willen heraus, schießt es manchmal übers Ziel hinaus. Ich kann nur damit umgehen, indem ich es viel ärger provoziere. So wie in meinem Theaterstück Weiße Witwe. Da gibt es wirklich so den gut meinenden, paternalisierenden Gutmenschen, der dem migrantischen Mädchen erzählt, wie es zu sein hat, obwohl das auch wiederum Rassismus ist.

©Grandfilm UlrichSeidlFilmproduktion

Du hast mal gesagt, es sei vielleicht deine Lebensaufgabe, diese Beziehung zwischen Europa und dem Nahen Osten zu erzählen. Bist du froh, dass du diese Aufgabe hast oder ist es eher eine Last?

Ich glaube, ich kann nicht anders, weil ich so zwischen den Türen stehe, also ich bin die beiden Welten zusammen. Diese Welten interessieren mich, weil ich immer nach einer Identität gesucht habe. Ich habe mich immer gefragt, wer bin ich? Jetzt glaube ich, ich habe keine Identität und das ist okay. Ich stehe zwischen den Räumen, aber ich kann auch in die Räume hineinsehen, was andere nicht können. Deswegen ist es meine Aufgabe, aber ich kann auch nicht anders. Vielleicht wäre es einfacher, österreichische Komödien zu machen, es gäbe weniger Kritik, aber das interessiert mich einfach nicht.

Die Schauspielerinnen haben die ur große Verantwortung, indem sie das Gesicht für den Film sind. Mir ist wichtig, dass das Spiel sehr naturalistisch ist und dass sie die beste Performance abgeben können – für sich selbst, auch für mich, für uns alle.“

In deinen Filmen arbeitest du viel mit Improvisationen. Das bedeutet, du gibt einen Teil der Kontrolle oder Macht als Regisseurin ab. Fällt dir das schwer?

Nein. Ich schreibe z.B. nie Dialoge, weil ich der Meinung bin, die Schauspielerinnen können das besser, wenn sie improvisieren. Ich caste sehr lange und wir lernen uns sehr, sehr lang kennen, weil ich möchte, dass wir uns alle gegenseitig vertrauen. Trotzdem hören alle auf mich, ich bin weiterhin die Regie und möchte das nicht zu sehr romantisieren. Aber wenn wir uns alle vertrauen und sich alle irgendwie wohlfühlen und nicht schämen vor der Kamera, dann können sie auch mehr preisgeben und besser spielen. Die Schauspielerinnen haben die ur große Verantwortung, indem sie das Gesicht für den Film sind. Mir ist wichtig, dass das Spiel sehr naturalistisch ist und dass sie die beste Performance abgeben können – für sich selbst, auch für mich, für uns alle.

©Grandfilm UlrichSeidlFilmproduktion

Wie lief dieser Castingprozess bei Mond ab?

Flo kenne ich schon länger. Wir haben also länger zusammen gearbeitet und auch gemeinsam gecastet. Bei den Schwestern war es so, dass ich zuerst Andria Tayeh hatte. Die ist ein Star im arabischen Raum. Sie ist Influencerin und Model und hat in der Netflix-Serie Al Rawabi School for Girls mitgespielt. Sie mochte die Botschaft des Films und als sie dazu gekommen ist, sind auch alle anderen dazu gekommen.

Ein Teil deiner Crew kommt auch aus Jordanien. Macht es das einfach praktischer oder ist es auch eine ideelle Entscheidung, Menschen vor Ort einzubeziehen?

Ich möchte, dass die Jordanier genauso stolz sind auf den Film. Vielleicht ist Stolz ein komischer Begriff in dem Zusammenhang, aber ich bin das Buch immer wieder mit ihnen durchgegangen und habe es so überarbeitet, dass es für alle okay ist, die mitmachen. Ich habe zum Beispiel alle sexuellen Andeutungen rausgenommen. Das kann in Ländern wie Jordanien oder dem Irak ein Problem sein, wenn Leute von vor Ort mitspielen. Es gab schon Serien oder Filme, die einen Shitstorm oder Drohungen gegen Mädchen oder junge Frauen ausgelöst haben. Das wollte ich nicht.

Sonne und Mond gehören zu einer Reihe. Kannst du schon sagen, was als nächstes kommt?

Ja, Sterne. Es geht um eine amerikanische Journalistin, die in Mossul einen Beitrag filmt. Es ist aber 2014 und der Islamische Staat hat Mossul in einer Blitzoffensive eingenommen. Die Journalistin muss aus dem Irak flüchten. Es geht um Krieg und Krieg im Alltäglichen. Es geht darum, wie westliche Länder in einem anderen Land Krieg spielen und wieder gehen können und die Bevölkerung bleibt zurück.

Kinostart: 27. März 2025

 

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