Viennale 2024
Ein Filmfestival lässt sich sehr verschieden erleben. Abhängig von der getroffenen Auswahl und den Orten, an die eins sich begibt, steht am Ende einer Reihe von Tagen das individuelle Programmerlebnis. Festivalgänger*innen ist die Viennale bekannt dafür, im Spätherbst die Möglichkeit zu bieten, ausgewählte Highlights des Festivaljahres zu präsentieren. Manche haben bemerkt, dass seit der Leitung von Direktorin Eva Sangiorgi lateinamerikanischen Produktionen eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Während sich das internationale Staraufgebot dieses Jahr noch mehr in Grenzen hielt als bereits zuvor, feierte die heimische Branche ihre Österreich-Premieren wie jedes Jahr. Unterdessen signalisiert die Viennale mit einem Anteil von 20% Langfilmen von Frauen leider, dass sie sich aus paritätischer Verteilung im Programm nicht viel macht. Damit setzt sie Wiens altem Ruf als konservativer Stadt, die stets ein bisschen hinterherhinkt, nichts entgegen. Auch sonst bot die Viennale wenig Raum für Auseinandersetzung (etwa in Hinblick auf das Rahmenprogramm), sodass ein tiefergehender Diskursraum sich auf den Festivalbühnen selten öffnete. Neben dem männlich dominierten Hauptprogramm wurde immerhin der Filmemacherin Juliana Rojas eine Monografie gewidmet.
Cidade; Campo
Die Filme von Juliana Rojas präsentierte das Festival unter dem Titel „Shifting Genres, Untamed Bodies“. In ihren gesellschaftskritischen Arbeiten spielt die an der Universität von Saõ Paulo studierte Filmemacherin entsprechend mit Genreelementen aus Mystery, Horror oder auch Musical. Die Hauptstadt nimmt als eine der größten Metropolen weltweit auch in ihrem Werk viel Raum ein, etwa in Cidade; Campo (2024), ihrer jüngsten und, wie der Titel unterstreicht, einer zweigeteilten Geschichte. Die Handlung dreht sich um drei Frauen, die zwischen Stadt und Land, Vergangenheit und Gegenwart hin- und hergerissen sind. Im ersten Teil zieht Joana von ihrem ländlichen Heimatort, der von einer Katastrophe (der Bruch eines Staudamms für Bergbauabfälle überflutete den Ort mit Schlamm) heimgesucht wurde, in die Hauptstadt zu ihrer Schwester und deren Sohn. Mit den traumatischen Erlebnissen und den Gedanken an vermisste, nahestehende Personen versucht sie sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Auf Anraten ihres Neffens schreibt sie sich als Reinigungskraft eines App-basierten Services ein. Sie gerät dabei in prekäre Arbeitsverhältnisse, denn die selbstständigen Arbeitnehmerinnen werden vom Unternehmen dazu angehalten 5-Sterne-Bewertungen zu sammeln, um die meisten Kund*innen an Land zu ziehen. Für Versicherungsleistungen müssen sie selbst aufkommen, den erlebten sexuellen Belästigungen setzen die Bosse auch nichts entgegen (das erinnert an Ausbeutungsverhältnisse und Plattformen auch anderswo).
Trotz Konkurrenz- und Optimierungsfallen, oder gerade deswegen, freundet sich Joana mit zwei Kolleginnen an. Sie findet in ihnen Frauen, die für ihre Rechte einstehen und mit denen sie ihre Sorgen auch mal vergisst. Aber das Miteinander und der Blick auf die Straßen und endlosen Wolkenkratzer können ihre Sehnsucht nach der Heimat kaum trösten. Das Schrubben und Wischen von glatten Oberflächen, dessen Resultate immer nur von kurzer Dauer bleiben müssen, ersetzt das Beackern der Erde, das Kümmern um Wachsendes und Gedeihendes. Es ersetzt einen Kreislauf, der noch daran erinnert, dass Menschen Luft zum Atmen brauchen statt Staub zum (schlecht bezahlten) Herumwirbeln. Dass diese Luft auch ihrem Pferd genommen wurde, als es der menschengemachten Katastrophe zum Opfer fiel und ertrank, geht Joana nicht mehr aus dem Kopf. So legt sich die Erinnerung fortwährend wie ein Netz über die Gegenwart. Die Filmbilder legt Rojas dabei einander über, um die Gleichzeitigkeit von Erinnerung und dem Hier und Jetzt auszudrücken.
Auch das Pärchen Flávia und Mara wird im zweiten Teil des Films von den Geistern der Vergangenheit besucht. Die beiden entfliehen zunächst dem Großstadtmoloch São Paulo, um die Farm von Flávias verstorbenem Vater zu übernehmen. Zwischenweltliche Vorgänge und ein Ayahuasca-Trip mit einer alten Freundin des Vaters lassen reale und surreale Begegnungen miteinander verschwimmen. Mara fühlt sich nach einer Begegnung im Wald überwältigt und folgt alsbald dem Ruf, in die Stadt zurückzukehren. Dieser Beziehungsbruch wirkt besonders schmerzhaft, nachdem Rojas durch die Darstellung liebevoller Momente der Zuneigung und Intimität die Innigkeit zwischen den beiden hervorgekehrt hat. Es zeigt auch die Schwierigkeiten von Stadt- und Landflucht, vom Einfinden in neue Lebensverhältnisse, über die auch harmonische Beziehungen nicht hinwegtäuschen können.
All We Imagine As Light
Während Rojas sich Saõ Paulo und seinem Verhältnis zum Land widmet, nimmt Mumbai bei Payal Kapadia eine ähnliche Rolle ein. Ist die 20-Millionen-Stadt eine der Träume oder der Illusionen, die letztlich wie Eis in diesem Tiegel schmelzen? Wenn der Platzregen im bläulichen Monsunzeitlicht einsetzt, gehören die Farben und Sehnsüchte den diffusen Lichtern, die Sorgen aber auch die Träume schwimmen für einen Moment davon. Das Wasser prasselt gleichgültig auf diejenigen ein, die routiniert ihren Schirm ausbreiten, und auf jene, die gedankenverloren vom Schauer überrascht werden. Mehrere Stimmen dringen zu Beginn von Kapadias ersten Spielfilm aus dem Off zu uns, um einen Eindruck der Vielzahl von Geschichten und Schicksalen zu geben, die die Häuser und Straßen säumen. Eine sanft-süße Stimmung trägt die Erzählung, atmosphärisch untermalt unter anderem durch die Musik der Komponistin (und Nonne) Emahoy (Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou).
Die beiden Protagonistinnen und Mitbewohnerinnen Prabha (Kani Kusruti) und die etwas jüngere Anu (Divya Prabha) arbeiten als Krankenpflegerinnen. Als ein hochwertiger Reiskocher „Made in Germany“ an ihrer Adresse anlangt, wundert sich Prabha, dass ihr kurz nach der Hochzeit emigrierter Ehemann sich nach einem Jahr Funkstille überhaupt noch meldet. Anu trifft sich unterdessen heimlich mit Shiaz, mit dem sie händchenhaltend durch die Straßen flaniert oder ihn belustigt und zugleich verzweifelt Fotos von Heiratskandidaten zeigt, die ihre Eltern für sie ausgewählt haben. Die Arbeitskolleginnen beobachten ihre Heimlichtuerei argwöhnisch und spielen hinter ihrem Rücken Moralapostel. Prabha bestreitet regelmäßig ihren Heimweg mit einem Arzt, auf den sie sich aber nicht einlassen möchte, schließlich ist sie verheiratet. Und dann ist da noch Parvaty (Chhaya Kadam), die nach dem Tod ihres Ehemannes keine Beweise für das Besitzrecht auf die gemeinsame Wohnung hat und beschließt, zurück in ihr Heimatdorf zu ziehen. Davor aber bewirft sie mit Prabha noch ein riesiges Werbeplakat einer Immobilienfirma, dessen Lichter sie erfolgreich demolieren und damit ihre Antwort auf dessen Slogan geben: „Class is privilege. Privilege is not for everyone“.
Alle drei Frauen stehen in Kapadias All We Imagine As Light mit beiden Beinen fest im Leben, das nichtsdestoweniger von den abwesenden ehemaligen oder zukünftigen Ehepartnern, die ihnen mit ihren Privilegien stets voraus sind, geprägt ist. Ihre Freundinnenschaft ist der Raum, in dem sie jene Außenwelt, die ihre Geschlechterrollen beschränkt und festschreibt, beiseitelegen können, um ihren eigenen Safe Space zu schaffen. Hier wird sich auch die Frage stellen, ob Mumbai oder die Küstenregion Konkan ein Ort für Träume und alternative Gemeinschaften sein können. Doch letzten Endes kommt es weniger auf die Lage, sondern auf die Beziehungen an, die die Frauen sie selbst sein lassen. Kapadia konkurrierte als erste indische Filmemacherin im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes und gewann dort den Großen Preis der Jury. Nach diesem berührenden Debüt ist eindeutig auf Nachfolgeprojekte zu hoffen.
La Prisonnière de Bordeaux
Auch zu Mitbewohnerinnen werden im Verlaufe des Films Visiting Hours (La Prisonnière de Bordeaux) von Patricia Mazuy (deren Filmschaffen als Editorin an der Seite von Agnès Varda seinen Anfang fand) Alma (Isabelle Huppert) und Mina (Hafsia Herzi). Die zwei, einander noch unbekannt, besuchen anfangs ihre Ehemänner im Gefängnis in Bordeaux. Als Mina lautstark ihren Ärger kundtut, da sie nach stundenlanger Anreise ihren Mann nicht sehen darf, lädt Alma sie ein, die Nacht bei ihr in ihrem großen, leerstehenden Haus zu verbringen. Schnell führt eines zum anderen und Mina zieht mit ihren beiden Kindern in die Stadt und zu Alma, die ihr durch ihre guten Beziehungen zudem einen neuen Job und Schulplätze für ihre zwei Kinder besorgt. Eine Zeit lang bildet diese Gemeinschaft die Erfüllung von Almas Wünschen und Minas Bedürfnissen.
Ein Höhepunkt ereignet sich in dem Moment, als Alma sich eines Abends in Minas Arme legt und an sie schmiegt wie ein schlafendes Kind, das nach Geborgenheit sucht. Dass die Ehe mit ihrem Neurologen-Mann nur auf ihr Ende wartet, wird durch die Gefängnisbesuche bald klar. Mina hingegen verhält sich zurückhaltender. Als sie mit einem kriminellen Partner ihres Mannes eine Aktion in Almas Haus einfädelt, reißt die Bande zwischen den Frauen. Damit wirkt es, als hätte Mina, die von der Großzügigkeit Almas profitiert, von dieser aber gleichzeitig abhängt, sich ihre Agency zurückgeholt. Die Lösung des Konflikts hält ein überraschend gutes Ende bereit, in dem Huppert nochmal in ihrer Rolle als bourgeois-drollige Frau glänzen darf.
Mond
Noch ein Viennale-Film mit temporären Mitbewohnerinnen. Diesmal in dem nach Sonne zweiten Spielfilm von Kurdwin Ayub: Mond. In ihrer Erzählung lotet Ayub Beziehungen von Frauen, die in unterschiedlichen regionalen und sozialen Kontexten leben, Fragen von Solidarität und Emanzipation subtil und zugleich eindrücklich aus. Während in ihrem Erstling drei Wiener Teenagerinnen im Zentrum standen, führt die Erzählung uns diesmal mit der in Wien lebenden Kampfsportlerin Sarah (gespielt von der Performerin Florentina Holzinger) nach Jordanien. Nachdem sie kaum etwas in der österreichischen Hauptstadt hält, nimmt sie dort das Jobangebot an, drei Mädchen als Personal Trainerin mit dem Boxen vertraut zu machen. Bald schon merkt sie aber, dass Sportinteresse und -motivation kaum da sind und hinter den Türen des vom älteren Bruder geführten palastartigen Anwesens, das die drei Schwestern kaum verlassen dürfen, dringen Schreie hervor. Mond wird zu einem Thriller, in dem die politische Situation von Frauen, häusliche Gewalt, psychische Gesundheit, Solidarität und Flucht ein dramaturgisches Mosaik bilden, das sich bis zuletzt Eindeutigkeiten entzieht.
So kann Sarah sich auch nicht zum white savior aufspielen, als ihr die Schwestern anvertrauen, dass sie eine Flucht planen, um ihrem freiheitsberaubten Leben zu entkommen. Es ist auch Sarah, die in der Hotelbar das Servicepersonal unangenehm anflirtet und ihre Privilegien ausnutzt, um Grenzen fast zu überschreiten. Die durch die zweite jordanische Netflix-Serie „AlRawabi School for Girls“ bekannte Schauspielerin und Influencerin Andria Tayeh bildet an der Seite von Celina Antwan und Nagham Abu Baker das präzise inszenierte Trio einer Generation von Frauen, die sich gegen ihre Unterdrückung wehren und sich dabei auch digitaler Möglichkeiten – Smartphone-Aufnahmen fehlen auch in dieser Arbeit von Auyb nicht – habhaft machen. Dass die Filmemacherin für ihre Arbeit im Internet nun mit Hasskommentaren konfrontiert ist, lässt die Dringlichkeit der Themen leider umso augenscheinlicher werden.
Bluish
Poolwasser, Nagellack, Jeans, Bettwäsche, Lidschatten, Klebeband, ein Massageball, der Himmel, Quallen, die Donau. Blau ist eine Farbe – im Fall von Bluish wohl eine lauwarme. Blau ist ein Gefühl, blau kann man machen, blau kann eins sein. Und bluish – das könnte so alles dazwischen sein. Farben beweisen in Lilith Kraxner und Milena Czernovskys zweitem Langfilm – wir erinnern uns an den knallroten Ball des Beatrix Sujets – nicht nur die Lust der beiden Filmemacherinnen auf ästhetisch harmonische Kombinationen, in ihnen mischen sich auch die Tonalitäten des Alltags, um immer neue 4:3 formatige Paletten zu erzeugen.
Parallel sehen wir zeitlich hintereinander angeordnete Situationen, in denen sich zwei Protagonistinnen befinden. Beide sind irgendwie Teil der Wiener Kunst- und Kulturszene, wo sich die Wege immer überschneiden, aber nicht zwingend über einen Blickkontakt hinaus und zu einem persönlichen Austausch hinführen. Zwischen Zoom-Seminaren im Bett und Performance- und Ausstellungsgewusel finden Besuche bei der Ärztin, cute Dates, Sport, Mediationen, Pinkeln im Freien (Frauen pinkeln im Freien: eine Szene, die sich auffällig oft in Viennale-Filmen wiederfinden ließ, so auch in All We Imagine as Light und Dormir de olhos abertos) kurze Kontakte mit fremden Menschen statt. Das meist unaufgeregte Leben eben, das in Studienzeiten manchmal so dahintreibt und -fließt.
Die Situationen des Films stehen für sich, geben dem sich Treibenlassen seine Seinsberechtigung und entwerfen zugleich ein Kaleidoskop der Vergänglichkeit, in dem kurze Begegnungen mit fremden Menschen oft mehr herausstechen als die vertraute Zweisamkeit einer Beziehung. Während „Blue“ tausendfach in der Popkultur besungen wird, bannt das Regieduo das mit Farbtönen konnotierte Melancholiegefühl in manchmal mehr und manchmal weniger erinnernswerten Momente auf Zelluloid. An den Sog der Beatrix-Bilder können sie damit aber nicht ganz anknüpfen, was an den Performances oder einer fehlenden Situationsspannung liegen mag. Gesungen wird aber übrigens auch, von einer dreiköpfigen Band, die am Anfang deklamiert: „Bist du klein, bist du groß? Bist du verrückt, bist du normal? Bist du schwach, bist du stark? Bist du bitter, bist du süß? Bist du böse, bist du gut?“ Was sind wir, scheint der Film zu fragen. Darauf lässt sich wohl keine Antwort finden, vielleicht sind wir und das Leben oft mehr so „-ish“ – so dazwischen eben.
The Ballad of Suzanne Césaire
Suzanne Césaire: antikoloniale, feministische Aktivistin aus Martinique, Poetin, Autorin im Kreise der surrealistischen Pariser Avantgarde und darüber hinaus. Erst letztes Jahr erschienen ihre poetisch-revolutionären Essays Die große Maskerade. Schriften der Dissidenz (1941-1945) aus dem von ihr mitbegründeten Journal Tropique in deutscher Übersetzung. Nun hat die New Yorker Künstlerin Madeleine Hunt-Ehrlich ein fragmentarisches Porträt geschaffen. Biopic will es keines sein, denn Texte, inszenierte Szenen und Naturaufnahmen der 1966 verstorbenen Césare nähern sich, verschränkt ineinander, dem Werk der Künstlerin auf poetische Weise, ohne den Anspruch, es einfach zu vermitteln.
Césaire reflektierte mit ihrem Schreiben (post-)koloniale Strukturen, stand im Zeichen des Widerstands der Karibikinsel gegen die französische Vichy-Regierung. Politik, Poesie, Beschreibung von Lebensraum überlagern einander. Eine Verbindung, der auch Hunt-Ehrlich folgt, indem sie Passagen aus den Essays mit Bildern von Martinique (bzw. gedreht wurde größtenteils in den USA statt in der Karibik) verknüpft. Brechungen finden dabei fortwährend statt. Das Team tritt etwa vor die Kamera oder wir hören die Erklärung über das Vorhaben der Regisseurin: ein Film „about an artist who didn’t want to be remembered.“ Ohne mit dem Schreiben von Césaire vertraut zu sein, fordern die Texte aus dem Off heraus, lassen uns mitunter rätselnd aber mit Sehnsucht nach einem leichteren Zugang zu Césaires Zeilen zurück. Neugierig über diese Frau, die lange im Schatten ihres Mannes Aimée Césaire bzw. André Breton als einer der meist beachtetsten Surrealisten stand, wird eins allemal zurückgelassen.
Najeun Moksori
(TW: sexualisierte Gewalt)
In der Reihe „Haunted History. Die Darstellung der japanischen Kolonialzeit im koreanischen Kino“ eröffnete Byun Young-Joos Najeun Moksori (The Murmuring) aus dem Jahr 1995 einen zweifachen Blick in die Geschichte. Byun, Mitbegründerin des feministischen Filmkollektivs Bariteo, sprach mit Frauen aus Seoul, die während der Besetzung durch Japan im Zweiten Weltkrieg als Zwangsprotituierte missbraucht wurden. Jahrzehnte später, Anfang der 1990er Jahre, gehen sie jeden Mittwoch auf die Straße, um nach einem Schuldeingeständnis der Verbrechen und nach Reparationszahlungen von Seiten Japans zu verlangen. Hundert Mal haben sie sich bereits zusammengeschlossen und in der Öffentlichkeit Aufklärung gefordert, als Byuns Kamera sich unter die Menge mischt. Vor der japanischen Botschaft setzen sie ein Zeichen – dort, wo die Aktivist*innen im Jahre 2011 schließlich die Errichtung eines Denkmals auf eigene Initative durchsetzen würden. Weitere Errichtungen im Rahmen ihrer Proteste erfolgten weltweit, auch in Deutschland.
Mit Byuns Linse werden wir Zeug*innen der Geschehnisse Anfang der 1990er Jahre. Neben Versammlung auf der Straße besucht Najeun Moksori auch das House of Sharing, eine Wohngemeinschaft ehemaliger „Trostfrauen“ (wie sie verharmlosend genannt wurden). Dort kommt Byun mit ihnen ins Gespräch über die erlebten Traumata und lichtet sie beim Tanzen ab. Auch zu einem ehemaligen Gebäudekomplex nach Wuhan – damals von Japan besetzt –, wohin Frauen verschleppt wurden, führt Najeun Moksori. Viele von ihnen wurden nach Kriegsende ermordet oder an der Rückkehr zu ihren Familien in der Heimat gehindert. Die Überlebenden hüllten sich in Schweigen und dachten, mit ihrem Schicksal alleine zu sein. Bis die erste von ihnen ihre Stimme erhob – Ende der 1980er Jahre. Die Vergangenheit ist in jedem Moment auch Teil der Gegenwart, denn die Lebenswege der Frauen wurden durch die Zwangsprostitution bestimmt, der Schmerz sitzt tief, aber die solidarische Gemeinschaft verleiht Stärke und neue Lebensenergie.
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